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Rezension zu
Kaffee und Zigaretten

Ein zum Nachdenken anregender literarischer Genuss

Von: Buchbesprechung/Sigismund von Dobschütz aus Bad Kissingen
28.07.2019

REZENSION - Es gibt wohl keinen zweiten zeitgenössischen Schriftsteller, der wie Ferdinand von Schirach (55) plötzlich als neuer Stern am Literaturhimmel aufgetaucht ist und seitdem alle anderen überstrahlt. Erst als 45-Jähriger landete der frühere Promi-Anwalt vor zehn Jahren mit dem Erzählungsband „Verbrechen“ auf Anhieb einen Bestseller. Seitdem folgte Jahr für Jahr ein neuer, jeder vielfach übersetzt, manche verfilmt. Ob Erzählung, Essay, Theaterstück, Roman oder der bemerkenswerte philosophische Dialog „Die Herzlichkeit der Vernunft“ (2017) mit Alexander Kluge – jedes Buch ist anders, jedes aufs Neue überraschend wie auch sein neuestes Buch „Kaffee und Zigaretten“. Es ist eine nur 190 Seiten umfassende Sammlung von Notizen, Beobachtungen und kurzen Erzählungen. Schirach beschreibt flüchtige Momente des Glücks, von Einsamkeit und Melancholie, er schreibt über Entwurzelung und die Sehnsucht nach Heimat, denkt über Kunst und Gesellschaft und als langjähriger Strafverteidiger über die Würde des Menschen nach. „Wir erschufen eine Ethik, die nicht den Stärkeren bevorzugt, sondern den Schwächeren schützt. Das ist es, was uns im höchsten Sinn menschlich macht: die Achtung vor unserem Nebenmenschen.“ Von dieser Überzeugung ausgehend, ist es nicht weit zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen: „Hass ist der Anfang. Es ist immer der Hass, der aus der Dummheit kommt.“ Ferdinand von Schirach will uns nicht belehren. Aber er vertritt eine klare Haltung - kurz und knapp, vor allem klug formuliert. Eigentlich ist es eher das Ungesagte, dass in seinen Texten für Nachhaltigkeit sorgt - wie in Kapitel 19: Zehn kurze Zeilen, die uns, morgens beim Frühstück gelesen, den ganzen Tag lang beschäftigen können. Schirach gibt uns Lesern nur Anstöße zum Nachdenken, ohne seine eigenen Gedanken moralisierend vor uns auszubreiten. Nur in wenigen Passagen vertritt der in einem Jesuiten-Internat humanistisch geschulte Autor seine Meinung zu Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft eindeutiger: „Die gebundene Ausgabe von 'Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich' von David Foster Wallace kostet 20 Euro. Das Ausmalbuch für Erwachsene mit dem Titel 'Alpen' ist sieben Euro teurer.“ Die Beobachtungen seiner Mitmenschen und seine daraus gezogenen Erfahrungen münden im Satz: „Irgendwann hat man keine Vorbilder mehr. Man weiß zu viel. Zu viel über sich selbst und zu viel über die anderen.“ Dies lässt den Autor an seine Jugend denken: „Ich träumte von der Zeit, als wir glaubten, dass uns alles gelingen würde, weil wir nur wenig wussten und weil die Wirklichkeit noch keine Macht über uns hatte.“ Geben Schirachs Texte nun Erdachtes oder selbst Erlebtes wider? Es dürfte beides und von beidem eine Mischung sein. Es sind 48 völlig unterschiedliche Texte, ohne jeden Zusammenhang untereinander, teils nur zehn Zeilen kurz, teils nur fünf Seiten lang. Aber jeder transportiert eine Botschaft, für deren Vermittlung andere Autoren Romanlänge brauchen. Eben diese Kürze seiner Geschichten, seine knappen Sätze, in denen jedes einzelne Wort sorgsam abgewogen und feinsinnig gefeilt scheint, sind es, die Schirachs Bücher so faszinierend, so einzigartig, so geistig anregend, so lesenswert machen.

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