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Rezension zu
Die Unruhigen

Linn Ullmann, Die Unruhigen

Von: Susanne Becker
03.08.2019

"Um über wirkliche Personen zu schreiben wie Eltern, Kinder, Geliebte, Freunde, Feinde, Onkel, Brüder oder zufällige Passanten, ist es notwendig, sie zu fiktionalisieren. Ich glaube, dies ist der einzige Weg, ihnen Leben einzuhauchen. Sich erinnern heißt, sich umzuschauen, immer wieder, jedes Mal von Neuem erstaunt." Linn Ullmanns Buch "Die Unruhigen" ist so vieles auf einmal: ein zärtliches Buch über das Alter, über einen Vater, über eine Kindheit, über den Wunsch, ganz schnell erwachsen zu werden, über die Suche nach Eltern, die nicht wie Kinder sind, über ein Mädchen, das diese Eltern nicht finden konnte... Während ich es lese, muss ich oft an meine Eltern denken, die ganz anders waren, aber auch nicht erwachsen und immer wieder steigt in mir die Frage hoch, ob ich mich meinen Töchtern gegenüber wie eine Erwachsene verhalten habe. Dieses Buch ist so persönlich und offen, es berührt einen vom ersten Satz an tief im eigenen Inneren. "Die Unruhigen", so wie in Pessoas "Buch der Unruhe". Ewig suchend. Ewig sehnend. Die Unruhe vielleicht eines der prägendsten Elemente der Kindheit des Mädchens, das keinen Namen bekommt, genauso wenig wie die Eltern. Der Vater, die Mutter, das Kind. Der Vater und die Mutter trennen sich, als das Kind drei Jahre alt ist. Manchmal wird von ihnen in der dritten Person erzählt, aber oft auch in der ersten. Linn Ullmanns Eltern sind die Schauspielerin Liv Ullmann und der Regisseur Ingmar Bergman. Das Mädchen hat acht Geschwister von den vielen anderen Frauen des Vaters. Diese Geschwister heißen Daniel, Maria, Ingmarie.... Die anderen Frauen des Vaters heißen Käbi, Ingrid...Sie trifft sie im Sommer, wenn sie den Vater auf seiner schwedischen Insel für mehrere Wochen besucht. Ansonsten lebt sie mit der Mutter in Oslo, zeitweise auch in den USA. Ein autofiktionales Buch, in dem alle Namen tragen außer den drei Hauptpersonen. Diese werden von der Handlung umkreist, als bestünde die Hoffnung, sie in einen Zustand der Ruhe zu zwingen, wenn man ihnen nur lange genug auf den Fersen bleibt. Noch zu Lebzeiten des Vaters entstand die Idee zu diesem Buch, eine gemeinsame Idee. Es sollte auch ein Buch über das Altern werden, welches der Vater als schwere Arbeit empfand. Die Dinge begannen, ihm zu entgleiten. Es gibt sechs Tonbandaufnahmen, die in dem Jahr vor seinem Tod entstanden. Nach dem Tod des Vaters konnte die Autorin sie lange nicht anhören. Aber irgendwann fand ihr Mann sie auf dem Dachboden wieder und da begann sie, sich erneut mit der Idee zu diesem Buch zu beschäftigen. "Sie: Wir haben über die Damen gesprochen. Er: Was? Sie: Wir haben über die Damen gesprochen, über dein kolossales Interessse an den Frauen. Er: Ich glaube, ein Großteil meiner beruflichen Tätigkeit drehte sich darum, dass ich kolossal an Frauen interessiert war. Sie: Auf welche Art haben die Frauen geprägt, was... Er unterbricht sie und lehnt sich vor. Er: Auf jede denkbare Art, mein Herz." Dieses Buch nimmt sich oft aus wie die Suche nach dem Vater, den sie durch die Trennung der Eltern verlor. Denn die Mutter nahm sie mit in ihr Leben, in welchem die Tochter sich nicht besonders gut aufgehoben fühlte Das Buch ist in vieler Hinsicht zärtlich, aber nicht, wenn es von der Mutter erzählt. Da ist es von einer unendlichen Verlorenheit geprägt, von einer Trauer darüber, wie wenig ihre Bedürfnisse zählten in dieser Beziehung zur Mutter. Vielleicht hätte der Vater, wäre er anwesender in dem Leben des Mädchens gewesen, diese Verlorenheit abfedern können? Aber sie war nur im Sommer bei ihm. Jeden Sommer auf seiner Insel, wo strenge Regeln galten. Pünktlichkeit war oberstes Gebot und dass der Vater, während er arbeitete, auf keinen Fall gestört werden durfte. Die Sommer waren die Ausnahme. Der Alltag fand mit der Mutter statt, die auch alle das Mädchen betreffenden Fragen und Probleme allein entscheiden musste. An einer Stelle in dem Buch tut einer der zahlreichen Liebhaber der Mutter den Ausspruch "Die Komplexität der kleinen Dinge", und dies ist für mich eine wunderbare Beschreibung dessen, was Linn Ullmann mit ihrem Buch tut. Sie schildert uns unzählige kleine Dinge aus dem Leben dieser drei Menschen, dem Vater, der Mutter und dem Mädchen. Aus diesen kleinen Dingen, die oft in sehr kurzen Abschnitten Seite um Seite aneinandergereiht erscheinen, ergibt sich ein überaus komplexes Gesamtbild einer Kindheit, der Liebe, einer Familie, dieses Mädchens. "Ich versuche an dieser Stelle, etwas über die Liebe zu verstehen und über meine Eltern, und warum die Einsamkeit eine so große Rolle in ihrem Leben spielte,...." Ein wunderschönes Buch, tief und bewegend, suchend, sehnend und dabei all das in einem selbst berührend. Sehr große Leseempfehlung! (c) Susanne Becker

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