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Rezension zu
Ich und meine Mutter

Spitzzüngige Dialoge und lebenskluge Einblicke über Frauenbilder im Wandel der Generationen

Von: artWORDising Diana Wieser
12.08.2019

Mütter und Töchter – eine lebenslang schwierige Beziehung. Autorin Vivian Gornick schildert eine dieser „Sie lieben und sie hassen sich“- Geschichten, die ihrer eigenen Biografie entsprungen ist. Während der gemeinsamen Spaziergänge durch New York lässt sie in herrlich bösartigen Dialogen die Lebensentwürfe von sich und ihrer Mutter aufeinanderprallen. Ein Minenfeld voller spitzzüngiger Gemeinheiten. Gornicks Mutter muss in den 30er Jahren ihren Beruf für ihre beiden Kinder aufgeben – der Ehemann wollte es so – und hasst fortan ihre eintönige Existenz als Hausfrau. Den Frauen in ihrem Häuserblock intellektuell überlegen, findet sie in Klatsch und Besserwisserei bald ihre neue Bestimmung. Tochter Vivian hingegen lebt ein völlig anders Leben als Journalistin und Schriftstellerin, finanziell unabhängig, ohne Mann und Kinder. Zwischen Neid und Bewunderung für das Leben der jeweils anderen schwankend, können die beiden nicht mit- und nicht ohne einander leben. Am Ende müssen beide erkennen, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie wahrhaben wollen. In wundervollen, fast schon poetischen Szenen, schildert die Autorin ihre Kindheit im New Yorker Stadtteil Bronx in den 40er Jahren. Die Vierteil sind in jüdische, italienische und irische Einwanderer gegliedert, die Familien teilen nicht nur das Badezimmer am Ende des Flurs, sondern auch das Leben der anderen miteinander. Hier charakterisiert die Autorin verschiedene Frauenbilder, darunter auch Nachbarin Nettie, die einzige Nichtjüdin im Block, die nach dem Tod ihres Mannes ihre Sexualität frei auslebt. Gornick zeichnet das Bild von verwirrten, verlorenen, achtbaren und klatschsüchtigen Frauen mit Akzent, die nicht am wahren Leben da draußen in New York teilnehmen können, weil ihnen Geld, Erfahrung und Möglichkeiten fehlen. Gefesselt an ihren Block bauen sie sich einen eigenen Mikrokosmos auf. Schnell spürt die Autorin, dass ihre Mutter diesen Mikrokosmos hasst und sich stattdessen hinter der Rolle der liebenden Ehefrau sowie später hinter der trauernden Witwe versteckt. Gornick erarbeitet sich Stück für Stück ein anderes Leben, zum Beispiel durch den Besuch des City-College. Sie wählt die Welt des Geistes, die Welt des Herzens erschließt sich ihr lange Zeit nicht. Ihre erste Ehe zerbricht. Spät folgt die Erkenntnis, dass sie das Grundgerüst der mütterlichen Beziehung auch auf ihre Beziehung zu Männern überträgt. Die Streitigkeiten, die bei ihrer Mutter allgegenwärtig sind, sucht sie unbewusst auch bei ihren Partnern. Sie wählt Männer, an denen sie sich intellektuell reiben kann inklusive stundenlanger Diskussionen. So wie sie ihrer Mutter niemals ganz nahe sein kann, hält sie auch die Männer auf Distanz, führt Affären, teilt Zeitfenster, aber kein Leben. An ihren gemeinsamen Spaziergängen halten Mutter und Tochter jedoch fest – egal, wie sehr sie einander auch an die Gurgel springen. Nach und nach nehmen die Spitzen ab, Annäherung, Versöhnung, ja sogar Verständnis scheinen möglich… Der 1987 erschienene Roman gilt zurecht als ein amerikanischer Klassiker. Zwar mögen die Gräben zwischen den Generationen heute nicht mehr ganz so tief sein, dennoch sind insbesondere Frauenrollen einem ständigen Wandel unterzogen. Jede Generation hat ihre eigenen Ideale, jede Generation definiert die Rolle der modernen Frau neu. Es wird wohl kaum eine Leserin geben, die sich nicht in der einen oder anderen Situation wiederfindet. Die Abnabelung der Eltern gestaltet sich für Söhne und Töchter gleichfalls diffizil, doch kommt für Frauen erschwerend hinzu, dass sie sich den gewählten Weg oft aus eigener Kraft ebnen müssen. „Männer haben die Möglichkeit, sich vor ihren Ängsten in eine bereits vorgefertigte Identität zu flüchten. Frauen hatten nicht so viel Glück. Mit wem sollten sie sich identifizieren?“ beklagt Gornick. Die vielfach ausgezeichnete Autorin Vivian Gornick hat ein Buch voller Lebensklugheit, bemerkenswerter Charaktere und weiser Beobachtungen geschrieben. Auch die Liebe zu New York ist zwischen den Zeilen deutlich spürbar und erinnert fast ein wenig an Woody Allans „Stadtneurotiker“. Neurotisch sind mehr oder weniger alle Beziehungen in diesem Buch. Aber dies macht sie nicht weniger liebenswert.

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