Rezension zu
WEST
Die Hoffnung des Westens
Von: Bücherfluss"Sie stand lange Zeit da, schirmte sich die Augen mit einer Hand vor der Sonne ab und starrte gen Westen, als könnte sie [...] eine große Gestalt mit Zylinder in einer Wolke aus Staub und kleinen, hellen Steinchen sehen, aufgewirbelt von den Hufen eines schnellen schwarzen Pferdes, aber da war niemand. Da waren nur der Himmel und die Bäume und der lange Weg, mehr nicht, das konnte sie sehen, aber sie blieb trotzdem dort stehen und starrte [...]." Die Reise in den Westen und die Suche nach einem Leben in Fülle und Freiheit ist ein Mythos, der im 19. Jahrhundert viele umtrieb - und der zum Stoff wurde für eine Vielzahl von Romanen, Filmen und Liedern. Auch Carys Davies lässt ihren Protagonisten nach diesem Traum streben, er bricht auf zu seiner ganz eigene Suche nach dem Glück. Der Preis, den er für sein Weggehen zahlt, ist ein hoher - er lässt seine erst 10-jährige Tochter Bess zurück in der Obhut ihrer barschen und ablehnenden Tante. "West" ähnelt in seinem Aufbau fast einer Novelle: der Umfang ist gering, nur 208 Seiten braucht die Autorin, um ihre Geschichte in ganzer Bandbreite zu entfalten, der Inhalt ist dicht, hat stellenweise sogar lyrische Züge, und der Aufbruch des Protagonisten stellt den zentralen Wendepunkt des Geschehens dar. Melancholie, Sehnsucht, Tragik, Komik - Davies gelingt es, all jene Elemente miteinander zu verbinden und ihre Erzählung in einer Art Waagschale konstant auszubalancieren. Ihre Sprache ist leise und direkt. Ohne viel Ausschweifungen konzentriert sie sich auf das Wesentliche und vermeidet lange metaphorische Exzesse - größtenteils ein Gewinn für den Roman, der sich nur an wenigen Stellen als kleines Manko erweist, unter dem der Inhalt zu leiden scheint. Dennoch überzeugt "West": durch seine poetische Kraft, durch seine unvoreingenommene Direktheit und durch seine sanfte Verwundbarkeit.
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