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Rezension zu
Das Licht in deinen Augen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Das Licht in deinen Augen

Von: LiteraturReich
26.01.2020

„Das Licht in deinen Augen“ des finnischen Autors Tommi Kinnunen ist die Fortsetzung des auch in Deutschland sehr erfolgreichen Familienromans „Wege, die sich kreuzen.“ Aber auch ohne diesen zu kennen (mir ging es so) kann man das Buch ohne Probleme lesen. Am Ende wird man sich aber wünschen, auch die Vorgeschichte zu kennen. Heimat der Familie Löytövaara ist das kleine Städtchen Kuusamo im Nordosten finnlands, in dem auch der Autor Kinnunen zur Welt kam, und das gar nicht weit von der russischen Grenze entfernt liegt. „Lopotti“ wird der Teil, in dem die Familie lebt, im Roman genannt, als russisches Dialektwort für „Abgelegenes Dorf“ und gibt dem Buch im Original auch den Titel. Und doch ist es für Lahja, die Mutter bzw. Großmutter ganz wichtig nicht aus Lopotti zu kommen, der abgelegenen Häusergruppe, wo nur verrufene Frauen wohnen. Ihr Leben, das ihrer Mutter, der Hebamme Maria Tuomela und ihres Mannes Onni bilden zwar so etwas wie die Grundlage von „Das Licht in deinen Augen“, sie werden im Vorgängerbuch behandelt, aber die Geschichte von Helena, Lahjas Tochter und Tuomas, dem Enkel, lässt sich auch ohne dieses Vorwissen gut nachverfolgen. Helena wurde kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geboren und ist blind. Sie ist die Ich-Erzählerin eines Teils der Kapitel und mit ihr geht der Text weit zurück in die 1940er Jahre und überlappt sich dort mit den Geschehnissen in „Wege, die sich kreuzen“. Ein wenig erzählt Helena von ihrer Kindheit in Lopotti, ihrem kleinen Bruder Johannes, der großen Stiefschwester Anna, der kalten, schwierigen Mutter, der geliebten, pragmatischen Großmutter und dem unglücklichen Vater, der nach Aufenthalten in der Psychiatrie irgendwann Selbstmord (weil er seine Homosexualität damals nicht leben konnte) beging. Von dieser Vorgeschichte wird so viel angedeutet wie nötig, aber große Neugier darauf bleibt der unkundigen Leserin. Der Hauptaugenmerk liegt auf der Zeit, nachdem Helena wegen ihrer Blindheit auf eine spezielle Schule im 800 Kilometer entfernten Helsinki geschickt wird. Sie ist neun Jahre alt und für sie ist ihr Weggehen erzwungen, ein Verrat der Eltern. 800 Kilometer waren zu der damaligen Zeit noch eine kaum häufiger zu bewältigende Strecke. Motto der Schule ist: Bloß nicht als Blinde auffallen! Und so verweigern sie ihren Schülern beispielsweise den weißen Langstock. Eine harte und einsame Zeit für Helena. Sie erzählt, wie sie später Kari kennen und lieben lernt. Wie sich sein Traum von eigenen Kindern zerschlägt, wie die Ehe darunter leidet, wie er sie schließlich für eine sehende Frau und gemeinsame Kinder verlässt. Sehr sensibel und empathisch schildert Tommi Kinnunen in „Das Licht in deinen Augen“ von einem Leben ohne Licht, von einer Welt der Gerüche, der Geräusche, des Tastens, der abgezählten Schritte. Eine Welt, der durch die Sehenden eine Menge Hindernisse, Widerwillen, sogar Hass entgegengesetzt wird. Wir begleiten Helena bis ins hohe Alter und bis in den Tod. Der zweiten Teil der alternierend gesetzten Kapitel erzählt nämlich von Tuomas, ihrem Neffen. Dieser ist eines der vier Kinder von Helenas Bruder Johannes. Dieser hat mit seiner Frau Kaarina das Fotogeschäft der Mutter übernommen, auch wenn beide im hohen Norden nicht wirklich glücklich sind und Kaarina mit den Anfeindungen Lahjas zurechtkommen muss. Tuomas entdeckt, dass er wie sein Großvater Onni homosexuell ist. Nicht zuletzt, um das vor der Familie zu verbergen und es gleichzeitig ausleben zu können, geht er nach dem Abitur zum Studieren nach Turku. Es sind die Achtziger und Neunziger Jahre, auch die finnische Gesellschaft ist noch nicht offen für Homosexualität, gerade auch im Finanzwesen, in dem Tuomas nach dem Studium beruflich Fuß gefasst hat. AIDS taucht als neue Bedrohung auf. Es dauert lange, bis Tuomas sich zu outen traut und in Osku einen festen Partner findet. Die Geschichten von Helena und Tuomas und der Familie Löytovaara sind nicht streng chronologisch angeordnet. Es kommt immer wieder zu Zeitsprüngen, Rückgriffen, Erinnerungen, Träumen. Man kann dem aber sehr gut folgen. Als Gemeinsamkeit haben Helena und Tuomas das „Anderssein“, die Verschiedenheit von der Menge, die beide dazu bringt, von Zuhause fortzugehen. „Es gibt zweierlei Menschen, solche, die gehen, und solche, die bleiben. Diejenigen, die gegangen sind, sehnen sich immer nach dem Ort zurück, von dem sie sich losgerissen haben. (…) Diejenigen, die geblieben sind, verändern sich so langsam, dass sie selbst den Wandel nicht sehen. Nur die Weggegangenen merken bei ihren Besuchen, dass die Kindheit nicht mehr existiert.“ „Es ist anstrengend, nur für eine einzige Eigenschaft bekannt zu sein.“ sagt Helena einmal. Es geht auch um die Zerbrechlichkeit von menschlichem Glück, um enttäuschte Hoffnungen und um Einsamkeit. Als feste Konstante im Leben bleibt aber für Beide die Familie. „(…)die Familie ist etwas, wovon man sich nicht trennen oder getrennt werden kann. Sie hält hartnäckig zusammen, kommt zu Besuch und hört zu.“ Dabei ist die Familie durchaus keine Idylle oder ein Hort des Glücks. „Mutter hat diese Familie zusammengeschweißt, allerdings nicht durch Liebe. Sie verstand es, diejenige zu sein, der man gemeinsam aus dem Weg ging und misstrauische Blicke zuwarf.“ Gegliedert ist der Roman in drei Teile, deren recht kurze Kapitel mit Zitaten aus bekannten finnischen Schlagern, Kinder- und Kirchenliedern überschrieben sind. Der Anhang gibt darüber Auskunft, der deutschen Leser*in dürften sie wenig sagen. Vorangestellt als Prolog ist ein anrührender Brief eines Vaters an sein ungeborenes Kind. Von welchem Vater des Buches er stammt kann man nur erraten. Tommi Kinnunen schöpft in „Das Licht in deinen Augen“ erneut aus dem Fundus seiner eigenen Familiengeschichte, wie er das bereits mit „Wege, die sich kreuzen“ tat. Da sind noch einige Lebens-Linien offen. Vielleicht können wir uns noch auf ein Buch über die Familie Löytövaara freuen.

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