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Rezension zu
Gullivers Reisen

Viel mehr als nur Lilliput

Von: Wissenstagebuch
08.03.2020

Startschwierigkeiten, dann im Sog Ich habe Gullivers Reisen in der wunderbaren deutschen Übersetzung von Christa Schuenke gelesen. Nach einigen Startschwierigkeiten, weil ich die Sprechweise, die Swift für seinen Gulliver erdacht hat, als gekünstelt und anstrengend empfand, hatte ich mich spätestens nach dem ersten Teil an die floskelhafte Sprache gewöhnt. Dann konnte ich mich an Swifts Fabulierkunst erfreuen, denn die Abenteuer, die er seinen Reisenden erleben lässt, werden von Fahrt zu Fahrt bunter, wilder und verrückter. In der Manesse-Ausgabe, die ich gelesen habe, berichtet die Übersetzerin Schuenke von den Schwierigkeiten, vor denen sie bei der Übersetzung stand und freue mich, dass sie sich schließlich für wunderbare Worte wie „Neubegierde, Sacktuch (Taschentuch) und gezwungenlich (zwangsläufig)“ entschieden hat. Satirisch, bissig, misanthrop Jonathan Swift spielt mit seinem Leser ein literarisches Verwirrspiel. Dem Werk ist das Vorwort des fiktiven Herausgebers Richard Sympson vorangestellt. Dieser ist der Cousin des fiktiven Autors Lemuel Gulliver. Damit nahm Swift zu damaligen Zeit schon so manchen Leser auf den Arm; einige brüsteten sich gar damit, die fiktive Figur Gulliver persönlich zu kennen. Überrascht war ich von der Schärfe, mit der Swift Korruption, Standesunterschiede und die menschliche Natur im Allgemeinen anprangert. In Lilliput liest der Leser über die Spitzen gegen das britische Königshaus noch leicht hinweg. Zum Glück gibt es einen ausführlichen Anhang mit gut 200 Endnoten; viele zeitgenössische Witze sind ohne Hilfestellung heute gar nicht mehr zu verstehen. Spätestens im letzten Teil lässt Swift seinen Protagonisten den Glauben an das Gute (und die Vernunft) im Menschen vollends verlieren. Sein Gulliver ist angeekelt von menschlicher Gesellschaft und seine Kritik ist durch und durch misanthrop. Unappetitliche Gesellschaftskritik Während die ersten beiden Teile durchaus noch als Jugendliteratur durchgehen, verliert sich diese Eigenschaft bei Teil III und IV völlig. Zwar wird in diesen Teilen alles fantastischer, fast schon Science-Fiction-lastig, doch steht hier Gesellschaftskritik im klar Vordergrund. Diese untermauert der Protagonist in seinen Reden mit teils unappetitlichen Vergleichen und sexuellen Bezügen (siehe obiges Zitat zum Adel). Sein Abscheu vor der Menschheit findet sein Äquivalent in der Verrohung seiner Sprache. Fazit Alle vier Teile von Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ waren die Lektüre wert. Wer nur den ersten Teil liest und auf Lilliput verweilt, hat nicht einmal den halben Spaß. Durch die ausführlichen Anmerkungen im Anhang meiner Ausgabe habe ich in englischer und in römischer Geschichte was dazu gelernt. Hat man sich erst mit der umständlichen Sprache des Protagonisten arrangiert, ist der Weg frei für Swifts unterhaltsame Fabulierkunst und satirisches Talent.

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