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Rezension zu
Labyrinth

Ein vielschichtiger Roman

Von: echo_books
29.05.2020

Boratin, Musiker in einer Bluesband, erleidet nach einem versuchten Suizid von der Bosporus-Brücke – ein beliebter Ort für Suizide – einen Gedächtnisverlust. Aus Fragmenten und Erzählungen anderer versucht er zwischen Realität und Traum seine Persönlichkeit wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Da es ihm äußerst unangenehm ist, anderen von seinem Gedächtnisverlust zu erzählen, entscheidet er sich dafür, so zu tun als wäre alles in Ordnung. Nur seine Bandmitglieder sind eingeweiht. Während ihn das Unwissen über seine Vergangenheit und Persönlichkeit, sein Wesen quält, beneidet ihn ein Freund, der nur Efendi (eine Anrede für Herren zur Zeit des Osmanischen Reiches) genannt wird, dafür neu beginnen zu können, ohne den unnötigen Ballast der Vergangenheit. Der Roman liest sich wie eine Parabel auf die türkische Geschichte und das Individuum in der Gesellschaft. Wer sind wir, wenn wir unsere Vergangenheit nicht kennen? Und wie verorten wir uns darin als Individuum? Können wir die Geschichte wirklich neu schreiben? Mit dem Motiv des Gedächtsnisverlustes zwingt uns Sönmez die wirklich wichtigen Fragen im Leben auf. Was bleibt uns ohne unsere Erfahrungen, die unseren Geist formen und uns zu dem machen, was wir sind. Welche Rolle spielt das kollektive Gedächtnis? Was nützt uns der Körper, wenn der Geist fort ist? Er lässt uns als Leser*innen mithilfe eines destruktiven Ansatzes, wie Ahmet Hamdi Tanpınar auch schon, über die binären Oppositionen von Geist und Körper sowie Realität und Fiktion sinnieren. Während Boratin wie ein Fremder auf die Bewohner İstanbuls wirkt, indem er durch die ihm fremdgewordene Stadt läuft und sich dabei wie in einem Labyrinth verläuft, wird die Ambiguität des Menschseins und İstanbuls deutlich. Sönmez konstruiert wieder einmal so viele Metaebenen und Lesarten, die es einem fast unmöglich machen, alle zu durchdringen. ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀ Aber dadurch wird dieser postmoderne Roman zu einem Werk, das länger nachhallt und auch noch nach der Lektüre zum Nachdenken anregt. Ein großer Lesegenuss. Labyrinth ist, wie İstanbul İstanbul, ein so poetisches und metaphernreiches Buch voller hüzün und starken Emotionen. Für mich zählt Sönmez zu den ganz starken und klugen Stimmen der gegenwärtigen türkischen Literatur und ich wünsche dem Buch und Autoren viele Leser*innen.

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