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Rezension zu
Barracoon

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Zeitzeugenbericht über die Sklaverei in den USA: „Barracoon“ von Zora Neale Hurston

Von: Sören
10.06.2020

Vielleicht das Erste, was man über Zora Neale Hurstons Barracoon wissen muss, ist, dass es sich bei der deutschen Übersetzung nicht ansatzweise um das Buch handeln kann, dass Hurston gern veröffentlicht hätte. Das wird im Vorwort mehr als deutlich: Die Autorin schlug mehrmals die Möglichkeiten aus, den Text in standardisiert englischer Sprache zu veröffentlichen, weil es ihr wichtig war, die besondere Sprechweise ihres Interviewpartners Oluale Kossola, genannt Cudjo Lewis, so authentisch wie möglich wiederzugeben. Deshalb erschien Barracoon erst nach dem Tod der Autorin vor gut zwei Jahren dann auch endlich im englischen Original. Eine Übersetzung steht damit vor einer unmöglichen Aufgabe. Was im Original einerseits eine persönliche Sprechweise, andererseits aber auch das Pidgin einer bestimmten Gruppe aus afrikanischen Gebieten entführter Sklaven und deren Nachfahren in den Vereinigten Staaten ist, und damit eine eigene Sprache, wird im Deutschen entweder wie eine schreckliche Verballhornung wirken oder eben in Standard-Deutsch übersetzt werden müssen. Beides weit weg von dem, was Hurston transportieren wollte. Das Problem wird im umfangreichen Anhang auch thematisiert. Man entschied sich im Penguin- Verlag zum Glück dafür, Kossolas Sprache nur leicht mündlich zu markieren. Ich denke, das ist hier der bessere, respektvollere Weg. Überraschend wenig Raum für die Sklaverei in den USA Hurstons Text war zum Zeitpunkt der Niederschrift einer von noch wenigen umfangreichen Arbeiten zur Sklaverei in den Vereinigten Staaten und gehörte einer noch jungen Schule an, die schonungslos den Blick der Opfer einnahmen. Doch auch heute bleibt der Text einzigartig, handelt es sich doch um einen der ganz wenigen Augenzeugenberichte eines Menschen, der noch selbst aus seiner Heimat entführt wurde, in die Sklaverei verkauft wurde, und die Befreiung miterlebte, in der er noch 50 weitere Jahre lebte. So entsteht ein Werk, das auch Kenner der Thematik an vielen Stellen überraschen dürfte. Eine der größten Überraschungen: Die fünfeinhalb Jahre, die Kossola als Sklave verbrachte, werden im Buch auf knapp zwei Seiten abgehandelt. Viel größeren Raum nehmen die Kindheit im heutigen Benin ein, die Riten, die Familienverhältnisse, später dann die Entführung und die Middle Passage. Die nächste Überraschung: Als besonders grausame Lebensphase wird die Sklaverei nicht beschrieben (wobei natürlich sein kann, dass gerade das weitgehende Auslassen dieser fünfeinhalb Jahre den verdrängten Grausamkeiten geschuldet sein mag). Vielmehr scheinen Hursten und Kossola die menschliche Grausamkeit gewissermaßen als negative Universalie herauszuarbeiten. Sklaven zu halten scheint auch in Kossolas alter Heimat relativ normal; recht viel Zeit wird darauf verwandt, herauszuarbeiten, dass es Schwarze waren, die andere Schwarze in die Sklaverei verkauft haben. Ein Schock, wie Hurston selbst zu bedenken gibt, ebenso wie Deborah G. Plant im Vorwort. Ein Schock, der dem Narrativ widerspricht, welches sich die noch junge politische afroamerikanische Bewegung, in der Hurston sozialisiert wurde, aufgebaut hatte. Vielleicht auch deshalb gibt Hurston dem Thema viel Raum. Das Projekt „Africatown“ Ebenfalls faszinierend ist die Beschreibung von „Africatown“, das Kossola und seine Mit-Befreiten gründen und wo sie versuchen, nach den Regeln und Gesetzen der alten Heimat zu leben. Es gibt dort einige „Ehren-Afrikaner“, Angeheiratete etwa, doch wird diese kleine Gesellschaft größtenteils von Menschen getragen, die nicht als Nachkommen von Sklaven aufgewachsen sind, sondern selbst aus der alten Heimat entführt wurden. Dabei kommt es auch zu Allianzen früher verfeindeter Gruppen. Das ist tatsächlich ein Kapitel der nordamerikanischen Sklaverei und der Sklavenbefreiung, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Doch auch in Freiheit spielt das Leben Kossola weiterhin übel mit. Seine Frau und alle seine Kinder sterben vor ihm, einer der Söhne wird von einem rassistischen Sheriff ermordet. Kossola erzählt im Großen und Ganzen eine eher deprimierende Geschichte, in der wenn überhaupt, die doch weiterhin mild positive Lebenseinstellung des Protagonisten ein wenig Hoffnung vermittelt. Ein wenig. Denn warum sollte ein Buch über eines der barbarischsten Kapitel der Menschheitsgeschichte auch Hoffnung vermitteln?

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