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Rezension zu
Ingenieure des Chaos

Ingenieure des Chaos

Von: Ingeborg Strauss
17.08.2021

Oft entscheidet der erste Blick auf das Cover eines Buches über Neugier oder Ablehnung. Schwarz auf gelb lassen „Ingenieure“ die Buchstaben CHAOS in das Hirn eines Menschen purzeln, dessen Kopf einem bekannten US-Präsidenten nachempfunden scheint. Und was strömt aus dessen Mund? Die Gedanken des Betrachters beginnen zu kreiseln. Der Verlag schickt dem Buch eine Info voran mit einer Kurzvorstellung von Giuliano da Empoli: italienisch-schweizerischer Schriftsteller, Journalist, war politisch aktiv in der italienischen Regierung und Gründungsvorsitzender von „Volta“, einer in Mailand ansässigen Denkfabrik. Für den deutschen Leser erfreulich ist die von Autor und Verlag aktualisierte und erweiterte Übersetzung. So kommen USA, Deutschland (AfD), Ungarn und Großbritannien besser in den Blick. In der Einführung breitet da Empoli ein historisches Szenario aus, in dem sich die feine italienische Gesellschaft hinter Masken verborgen dem Karnevalsvergnügen in seinen auch negativen Facetten hingibt. Sodann: „Die Karnevalsmasken haben sich mittlerweile ins Internet verlagert, wo unter dem Deckmantel der Anonymität völlige Enthemmtheit herrscht, ein Zustand, der früher erst mit dem Anziehen einer Verkleidung hervorgerufen wurde.“ Dieser groß geschlagene Bogen mit vielen Ausdifferenzierungen verlangt Durchhaltevermögen. Ziel des Autors ist, den Lesenden die technisch-aktuelle Situation nahezubringen, nämlich „wie der Algorithmus der Social Media programmiert“ ist. Der Nutzer soll an eine bestimmte Plattform gefesselt werden. Es „ist der Algorithmus der Ingenieure des Chaos darauf ausgerichtet, irgendeinen Standpunkt zu vertreten, sei er vernünftig oder absurd, realistisch oder intergalaktisch, solange die Wähler und Wählerinnen mit ihren Sehnsüchten und Ängsten – vor allem mit ihren Ängsten – dadurch abgeholt werden“. Zu diesem Zweck wird vorrangig auf Extrempositionierte abgehoben und nicht auf die sogenannte „Mitte“. Da Empoli stellt eine Tendenz zur Polarisierung in allen Gesellschaften fest. Der Wahrheitsgehalt von Fakten ist Nebensache, das Gefühlte in seiner und die Botschaft in ihrer Gesamtheit sind das Wichtige. Die Folgekapitel untermauern diese Auffassung(en) und differenzieren sie länderspezifisch aus. Es schließt sich „Waldo erobert die Welt — Wie Social-Media-User Konflikte in Myanmar, Frankreich und Deutschland anheizen“ an. Für die Rezensentin haben erst zweites Lesen und Internet-Recherche etwas Licht in die Ausführungen gebracht. So zieht sich „ein unbändiges Gefühl durch sämtliche Gesellschaften, ein Gefühl, das in denjenigen gärt, die sich, zu Recht oder zu Unrecht, benachteiligt, ausgeschlossen, diskriminiert oder nicht genug gehört fühlen“. Verschwörungstheorien sprießen wie Pilze aus dem Boden, genährt von Facebook und seinen erzwungenen Likes, die „wie ein ungeheuerlicher Multiplikator“ funktionieren. Und als hätte der Autor in die Gegenwart sehen können, beklagt er, dass unter anderem Vorurteile und Rassismus aus ihrer Deckung hervorkommen. Mal mit der Lupe, mal mit dem Fernrohr werden die USA, Deutschland („Die AfD und die Social Media“), Ungarn und UK („Der Brexit und Die Physiker“) inhaltlich seziert. Verglichen wird mit Dürrenmatt und seinem in einer Irrenanstalt spielenden Theaterstück. Die Auswahl der Länder ist erweiterungsbedürftig. Zwar gibt es viele gemeinsame rote Fäden, doch momentan keinen Ariadne-Faden, man fühlt sich noch mitten im Labyrinth. Man sieht nach der Lektüre klarer. Das Ziel, das sich Giuliano da Empoli gesteckt hat, die „Aufklärung“ in seinem Sinne, wurde zumindest bei der Rezensentin ansatzweise erreicht. Ich wünsche dem Buch eine der heutigen Situation angepasste Neuauflage, möglichst unter Vermeidung des nebulösen Wortgebildes „Quantenpolitik“. Noch eine Bitte um Klärung: Zitiert wird das Motto des französischen Kardinals Mazarin »ex inimici salus mea«. Mag sein, es war einmal sein Wahlspruch, dies zu verifizieren gelang jedoch nicht.

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