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Rezension zu
Der Funke des Lebens

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Roman mit Stärken und mit Schwächen, aber unverkennbar Jodi Picoult!

Von: buchsensibel
24.07.2020

„Der Funke des Lebens“ ist wieder ein typischer Picoult-Roman. Es geht um Schwangerschaftsabbrüche. Ich muss ja zugeben, dass Jodi Picoults Romanen immer ein gewisses sentimentales Pathos anhaftet (was ich aber nicht als störend empfinde) und doch staune ich immer wieder mit wieviel Reflektion, Achtsamkeit und Feinfühligkeit sie an sensible Themen herantritt. Obwohl das Thema sehr gut ist, hat es mir dieser Roman allerdings nicht ganz leicht gemacht. Ich fand es irgendwie anstrengend zu lesen. Nun habe ich das Buch zu einem Zeitpunkt erwischt, als bei mir sehr viel los war und ich mich ohnehin nicht so gut konzentrieren konnte, denke aber, dass es auch am Aufbau der Geschichte lag. Hier sind also meine Kritikpunkte: Die Geschichte wird nämlich rückwärts aufgerollt. Wir beginnen am Abend des Dramas und gehen Kapitel für Kapitel Stunde für Stunde zurück bis in den frühen Morgen. Wir sind also zu Beginn schon gleich am Ende eines Geiseldramas. Der alleinerziehende Vater Hugh ist gerade dabei, die letzte Überzeugungsarbeit dem Geiselnehmer gegenüber zu leisten, sich zu ergeben, nachdem dieser bereits Amok gelaufen ist und Menschen dabei zu Tode kamen, andere schwer verletzt wurden. Als noch ein allerletzter Schuss abgegeben wird. Und das ist leider (fast) der einzige Spannungsbogen des Buchs, denn erst am Ende finden wir heraus, welchen Weg diese Kugel nun genommen hat. Zwar gibt es ein paar kleine Überraschungseffekte, die aber irgendwie auch schon ein wenig erahnbar waren ab einem gewissen Zeitpunkt. Dennoch: ich musste mich immer wieder überwinden weiterzulesen, da einfach zu viel schon vorab preisgegeben wurde, wer gestorben ist, wer verletzt wurde usw. Und gleichzeitig musste ich dann am Ende des (eher langen) Kapitels doch oft nochmals eine Stunde zurückspringen, um erneut nachzulesen, was nun nochmal mit diesem oder jenen Charakter passiert war. Was wohl an meinem zweiten Kritikpunkt lag: es waren einfach zu viele Charaktere, die alle gleichermaßen Beachtung bekamen. Da die Autorin immer wieder durch Rückblenden Einblick in einzelne Lebensphasen und Erlebnisse aus der Vergangenheit der Personen gab, erfuhren wir zwar eine Menge zu deren Haltungen, aktuellen und früheren Lebensumständen und was dazu führte, dass sie diese oder jene Entscheidung trafen, jedoch waren es in der Summe dann einfach zu viele Lebensgeschichten auf einmal. Was mir gefiel Was mir an Jodi Picoult so sehr gefällt, ist, dass sie immer über den Tellerrand hinausschaut. Dass sie sich mit kontroversen Themen beschäftigt und die Grauzonen aufzeigt. Dass sie den Blick auch auf das wirft, was außerhalb der Norm liegt, außerhalb dessen, was erwartet wird, was sozialisiert ist. Einen Spiegel vorhält, um eingefahrene Themen neu zu überdenken. Nicht umsonst haben wir es hier, in einer Thematik, die vor allem Frauen betrifft, mit zwei alleinerziehenden Vätern in der Hauptrolle zu tun. Die Idee der Einbettung in das Geiseldrama, finde ich gut gelungen. Denn, auch wenn es zunächst scheint, als ob das Buch eine einzige Debatte über das Für und Wider eines Schwangerschaftsabbruchs ist, geht es in der Tiefe doch generell um den Wert von Leben. Es geht um Liebe in all ihren Facetten. Liebe von Paaren (und Nicht-Liebe), Liebe von Vätern und Müttern, Nächstenliebe. Liebe, die verborgen bleibt. Liebe, die Entscheidungen trifft, und treffen muss. Manchmal vielleicht auch entgegen der eigenen Überzeugungen. Liebe, die nicht verurteilt und ausgrenzt, sondern einschließt. Und es geht um Rechte. Es geht um das Einsetzen für Benachteiligte, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf Gleichwürdigkeit. Es geht um Vorurteile, um (Un-) Gleichberechtigung und um Rassismus. Auch wenn ich den Aufbau der Geschichte, was die Spannung anbelangt, etwas unglücklich empfand, fand ich sie aus psychologischer Sicht wiederum sehr gelungen. Denn auf dieser Ebene ist es ein interessanter Spiegel für diese Debatte: wie schnell wird eine Entscheidung/Haltung verurteilt, ohne den Menschen und seine Umstände und Beweggründe und die Komplexität in der Frage nach dem Wert des Lebens im Gesamten zu betrachten. Jodi Picoult bringt zahlreiche Facetten von Blickwinkeln und Empfindungen ins Gespräch – von Abtreibungsbefürwortern, von Betroffenen, von Abtreibungsgegnern, von Ärzten, von Frauen, von Minderjährigen, von alleinerziehenden Vätern und Müttern, von Schwarzen – und bringt Leser*innen dadurch zu einer wertfreien, urteilsfreien, gleichwürdigen Auseinandersetzung. Sie beleuchtet Einzelschicksale und Lebensgeschichten, die so individuell und vielfältig sind, wie die Beweggründe, diese oder jene Position einzunehmen. Zentral ist dabei stets die Frage nach Rechten und welches Leben schützenswert ist. Welches Leben hat Vorrang, wenn es auf beiden Seiten um die Rechte von Personen bzw. Benachteiligten geht. Verleiht man auf der einen Seite Rechte, nimmt man sie auf der anderen Seite. Steht es also Menschen in privilegierten Positionen überhaupt zu, ein Urteil darüber zu fällen? Die Autorin macht deutlich: hinter jeder Entscheidung – auf beiden Seiten – steckt eine persönliche Geschichte. Vorschnelle Urteile – auf beiden Seiten – sind selten reflektiert und wenig angemessen und verhärten nur den Konflikt. Ohne Empathie, ohne Einfühlung ist es unmöglich hier gleichwürdig zu diskutieren oder Haltungen zu respektieren. Und allzu schnell wird vergessen, dass Meinungen und Sichtweisen sich auch mit Veränderung von Lebensumständen und Veränderung der Voraussetzungen wandeln können – gerade, wenn man selbst auf die ein oder andere Weise betroffen ist. „Was aus einem Blickwinkel wie Gewalt aussah, sah aus einem anderen wie Gnade aus.“ (S. 186) So gelingt es der Autorin auf einfühlsame Weise, den Blick zu weiten: für ein Gewahrsein beider Seiten, für eine – im besten Falle friedvolle – Koexistenz beider Seiten, denn (so schreibt sie auch in ihrem Nachwort) zu einem Konsens wird es wohl eher nicht kommen, zu vielfältig und zu komplex sind die Gründe für unterschiedliche Sichtweisen. Hintergründe Erwähnenswert ist sicherlich auch, dass das Buch auch einen großen Teil der Debatte in den USA widerspiegelt, die Autorin lässt die Geschichte nicht ohne Grund in Mississippi spielen, wo es im gesamten Staat nur eine einzige Klinik für Frauen gibt, an denen ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden kann. Die Hürden in den USA sind von Staat zu Staat verschieden. Das Gesundheitssystem trägt einen nicht unerheblichen Teil dazu bei, die Situation der Frauen zu erschweren. Es werden jedes Jahr (Mord-)Anschläge auf Kliniken, Ärzte und Personen verübt, die Frauen unterstützen, die sich, aus welchem Grund auch immer, gegen eine Austragung entscheiden. Religiosität spielt dabei zu einem wesentlichen Teil eine Rolle. Aber bei weitem nicht die alleinige. Der Diskurs in dieser Thematik ist sowohl von antifeministischen und gleichzeitig auch (zumindest in den USA) von zutiefst rassistischen Denkstrukturen geprägt. Die Benachteiligung von Frauen im Allgemeinen, von Frauen aus ärmeren, sozial weniger gut gestellten Verhältnissen, und insbesondere von farbigen Frauen kommt hier im Buch zur Sprache. Wie auch im Roman deutlich wird, ist es „ein Fehler zu glauben, dass ein durch Gesetzeshürden erschwerter Schwangerschaftsabbruch (…) das Ende von Abtreibungen bedeuten würde.“ (S.433) Die Abbrüche würden verdeckt und ungeschützt weiterlaufen und können die Frauen dadurch nur in noch größeres Elend stürzen und den Wert ihres Lebens gefährden, somit bliebe erneut das Dilemma, welches Leben mehr Recht auf Schutz hat. Besonders gerne lese ich bei Jodi Picoult auch das Nachwort, in dem sie oft Persönliches oder Erlebnisse und Erfahrungen bei ihrer Recherche zum Buch teilt. Hier stellt sie auch die Überlegungen für politische Veränderungen diesbezüglich an und ergänzt diese mit Hintergrundwissen, Fakten und Daten zur Situation von Frauen (in den USA). Fazit In „Der Funke des Lebens“ bringt Jodi Picoult erneut, wie es für sie typisch ist, eine kontrovers diskutierte Thematik zur Sprache, und zwar das Thema Schwangerschaftsabbruch. Dies bereitet sie gewohnt sensibel, achtsam und urteilsfrei auf, indem sie zahlreiche Perspektiven zu Wort kommen lässt und mögliche Beweggründe dahinter aufzeigt. Eingebettet in eine dramatische Geschichte um ein Geiseldrama, die zur Frage führt, wofür es sich wirklich lohnt im Leben zu kämpfen. Eine Geschichte über die Kostbarkeit und den Wert des Lebens, über Vaterschaft, über Mutterschaft, über Rassismus, über Frauenrechte, über Liebe in all ihren Facetten und über Leben in Gleichwürdigkeit. Ein Roman mit Schwächen, ein Roman mit Stärken, aber auf jeden Fall unverkennbar Jodi Picoult.

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