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Rezension zu
Winter

Eine etwas andere, skurril-versöhnliche Weihnachtsgeschichte

Von: Kate Rapp
10.11.2020

Ali Smith ist eine Wortmagierin und mit diesem zweiten Band ihres Jahreszeitenzyklus hat sie uns wieder ein unvergleichliches und berührendes Meisterwerk gezaubert. Durch die Seiten des Buches wabern tagespolitische Themen wie Brexit, Weltpolitik, Fremdenfeindlichkeit und Klimawandel wie kalter Winternebel, auf den sich kostbare und amüsante Anekdoten, Zitate und Verweise auf Kunst, Film und Literatur wie zarte Strahlen einer pastellenen Wintersonne legen, die durch die Wolken brechen und unsere triste Winterwelt erstrahlen lassen. Die Zerrissenheit der Menschen zwischen Macht und Ohnmacht, Arm und Reich, Kunst und Kommerz, Künstlichkeit und Natur zeigt sie in der Geschichte einer zerrütteten Familie, die hier an den Weihnachtstagen aufeinandertrifft. Arthur nennt sich „Art“ und ist ein selbstverliebter Macho. Er arbeitet in der Medienbranche als Copyrightwart und schreibt nebenher kitschige Naturbetrachtungen unter Auslassung von Artensterben und Gletscherschmelze, eine Scheinheiligkeit, an der seine Beziehung zu der kritisch-klugen Charlotte gescheitert ist. Und es ist ihm nicht mal peinlich, dass er ein junges Mädchen an einer Bushaltestelle ansprechen und ihre Begleitung erkaufen muss, damit sie sich als Charlotte ausgibt, wenn er über Weihnachten seine Mutter Sophia besucht. Diese hat mit Sehstörungen zu kämpfen und mit kafkaesker Bankbürokratie. Sie lebt allein in einer maroden Villa in Cornwall und erinnert sich ihrer Kindheit und Jugend mit ihrer Schwester Irene. Mit dieser hat sie seit dreißig Jahren nicht mehr gesprochen und sie ist NOT AMUSED, als Arthur sie an Weihnachten einlädt. Dieses schwesterliche Zusammentreffen mündet in gegenseitigen Sticheleien und Streitgesprächen zwischen der gescheiterten Geschäftsfrau Sophie und der unermüdlichen Weltverbesserin Irene. Lux, die junge bezahlte Begleitung erweist sich als Vermittlerin, als Licht im Dunkeln, obgleich, wie sie augenzwinkernd anmerkt, ihre kroatischstämmigen Eltern sie eigentlich nach der Fenstermarke Velux benannt haben sollen. Dieser zweite Roman aus Ali Smiths Jahreszeitenquartett ist die ideale Lektüre für alle, die Weihnachtskitsch hassen und trotzdem eine Prise Hoffnung vertragen. Es handelt sich nicht um „...ein Werk, in dem zu Sophias fein ziselierter dur-sinfonischer Bescheidenheit und erzählerischer Schicklichkeit in der Geschichte, deren Teil sie ist, noch genau die richtige Prise unaufdringlicher Lebensklugheit und das Prestige der alternden Frau hinzukommen, sodass es eine besinnliche und würdevolle Geschichte wird, Gott sei Dank konventionell gebaut, die Art von hochwertiger Literatur, in der langsam über eine Landschaft treibender Schnee eine mildtätige Wirkung entfaltet...“ Nein, dieses Buch kommt weniger poetisch und introvertiert als sein Vorgänger daher. Es gibt keine weiße Weihnacht sondern matschige Schuhe, kein „Oh du Fröhliche“ sondern Zank und Zynismus, dazu lustvoll schwarzen Humor und bergeweise Ironie. Wir bekommen eine kühn geschriebene, verschachtelte und teilweise äußerst skurrile Weihnachtsgeschichte zu lesen, in der ein fliegender Kopf und ein fiktives Shakespearedrama ebenso ihren Platz finden wie Charlie Chaplin und eine Hoffnungsbotschaft ausgerechnet von Dante. Wie im Walzertakt oder in griechischen Hexametern tanzt Ali Smith mal schwermütig, mal leichtfüßig durch diese Erzählung, die auf vielschichtige und originelle Art erst anprangert und dann nach Versöhnung sucht und nach Gemeinsamkeiten, die alle Menschen verbinden, jenseits von Herkunft, politischen oder religiösen Vorstellungen. Am Ende stimmen sogar die noch immer zerstrittenen Schwestern ein zweistimmiges Lied an, denn es sind letztendlich die menschliche Kultur, die gemeinsamen Geschichten und die Musik, die uns verbinden und die Hoffnung zulassen, dass es immer wieder Frühling wird.

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