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Rezension zu
Das eiserne Herz des Charlie Berg

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Skurrile Geschichte, super spannend und witzig!

Von: Buch-Lady
12.01.2021

Dieses Buch und seinen überaus sympathischen Autor habe ich bei einer Lesung des Büchereck Niendorf Nord in Hamburg kennengelernt. Ich gebe zu, ich war zunächst skeptisch angesichts der Story. Aber nach der humorigen Lesung ging mir diese skurrile Geschichte mit ihren schrulligen, liebenswerten Charakteren nicht mehr aus dem Kopf. Der Roman ist schwer einer Kategorie zuzuordnen und die vielschichtige Story schwer zusammenzufassen. Es ist einerseits ein Coming-of-Age-Roman in den 1990er Jahren. Sebastian Stuertz ist Jahrgang 1974 und hat (wie ich) seine Jugend in der Zeit der Audio-Kassetten und des VHS Video erlebt. Beide spielen eine zentrale Rolle. Andererseits ist das rätselhafte Ableben verschiedener Menschen und Tiere aufzuklären, so dass das Buch Anklänge eines Krimis hat. Besonders aber lebt die Geschichte von der seltsamen Familienkonstellation, mit der sich Charly Berg herumschlagen muss, ferner von seinen eigenen besonderen Persönlichkeitsmerkmalen. Charly Berg hat die Nase eines Spürhunds. Er kann Parfüms aus großer Entfernung erkennen, erschnuppert, was ein Mensch vor Stunden gegessen hat und wer mit wem Körperflüssigkeiten ausgetauscht hat. Das ist Fluch und Segen zugleich. Man muss an Grenouille aus Süskinds „Das Parfüm“ denken, wenn Charly in einem Labor seine eigenen Düfte zusammenmixt, nur ist er im Gegensatz zu seinem Vorbild nicht bösartig. Im Gegenteil, er ist der einzig halbwegs vernünftige Mensch, der den Rest seiner Familie zusammenhält. Mutter Rita ist eine Diva von einer Schauspielerin und glänzt in der Regel durch Abwesenheit. Vater Dito ist ein ständig bekiffter Althippie und verdient als Musiker sein Geld. Die 7jährige Schwester Fritzi ist Autistin mit einer Inselbegabung für das Auswendiglernen von Literatur. Das passt genau, denn Charly schreibt an seinem ersten Roman und möchte Schriftsteller werden. In der erweiterten, verfeindeten Familie gibt es den Opa väterlicherseits, der als Förster und Altnazi Charly das Schießen beibringt. Nonno, der Großvater der mütterlichen Seite, ist gar kein echter Italiener, spricht aber zu Gunsten seiner Anzugschneiderei mit starkem Akzent. Dito hängt so oft wie möglich mit seinem Musikerkumpel Stucki im Studio ab zwecks Plattenproduktion. Irgendwann verzieht Stucki jedoch nach Mexiko, so dass die Produktion ins Schleppen kommt, bis er mit seiner Tochter Mayra nach Deutschland zu Besuch kommt. Charly und Mayra freunden sich an und halten Kontakt über das Versenden von selbstgedrehten Videobändern per Post. Zu allem Überfluss springt auch noch Charlys durchgeknallter, sexbesessener Freund David in der Szenerie herum. Alles klar? „Ich hatte den Hirsch nichts gefragt, im Gegenteil, ich hatte die Luft angehalten und ihn ins Visier genommen, da teilte er mir mit: Wer mir etwas antut, wird leiden, so wie ich leiden werde. Ich nahm das Auge vom Zielfernrohr. Mein Opa, der neben mir stand und filmte, konnte den Hirsch offenbar nicht hören. „Drück ab!“, flüsterte er, heftig vom Bockfieber geschüttelt. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass der Hirsch mit mir kommunizierte. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas geschah. Ich hatte allerdings noch nie versucht zu antworten.“ (S. 9) So beginnt Charlys Geschichte. Die Leserin wird mitten hineingestoßen in den wilden Plot, der schon bald eine Sogwirkung entfaltet. Man sollte sich sogleich von der Vorstellung verabschieden, die Geschichte müsse an der Realität gemessen werden. Sie ist irre, total skurril, aber einfach spannend und sehr witzig. (Vorsicht! Der Humor ist an manchen Stellen derb, passend zu einem männlichen Teenager.) Überall ein bisschen überspitzt, aber nur damit die schmerzlichen Auswirkungen dieser Familie auf einen jungen Mann nicht als traurig rüberkommen. So dysfunktional die handelnden Personen auch sind, man muss die meisten von ihnen einfach gernhaben. Man fiebert der Auflösung der vielen unerklärlichen Wendungen entgegen und am Schluss der atemlosen 700 Seiten macht dann schließlich alles Sinn. Na ja, fast alles. Wer mal etwas ganz anderes lesen will, sich auf eine echt schräge Geschichte einlassen kann und dabei glänzend unterhalten werden möchte, der lese Charly Berg! Herrlich!

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