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Rezension zu
Professor Unrat

VOM TYRANNEN ZUM ANARCHIST...

Von: parden
09.09.2015

Der siebenundfünfzigjährige Gymnasiallehrer Raat ist Witwer. Nachdem sein Sohn viermal durchs Examen gefallen war und sich mit zwielichtigen Damen auf dem Marktplatz der Kleinstadt gezeigt hatte, trennte sich sein Vater von ihm. Seit 26 Jahren unterrichtet er am örtlichen Gymnasium, und seit mehreren Schülergenerationen kennt man den verschrobenen Professor unter dem Spitznamen "Unrat". Er überspielt seine Verklemmtheit und Unsicherheit, indem er seine Schüler wie Erzfeinde behandelt; im Unterricht stellt er ihnen Fragen, die sie nicht beantworten können, und er ist ständig darauf aus, dem einen oder anderen ein Fehlverhalten nachzuweisen. Am liebsten würde der Gymnasiastenschreck seine autoritäre Herrschaft auch außerhalb des Klassenzimmers durchsetzen, zumal die Stadt voll ist von seinen ehemaligen Schülern. "Was in der Schule vorging, hatte für Unrat Ernst und Wirklichkeit des Lebens. Trägheit kam der Verderblichkeit eines unnützen Bürgers gleich, Unachtsamkeit und Lachen waren Widerstand gegen die Staatsgewalt, eine Knallerbse leitete Revolution ein, "versuchter Betrug" entehrte für alle Zukunft." Im 17-jährigen Sohn des Konsuls Lohmann hat Unrat in der Schule einen besonderen Gegenspieler: er ist intelligent, durch Strafen nicht zu treffen und weiß genau, wie er den Professor in Rage bringen kann. Als Raat ihn wegen der Verwendung des Spitznamens "Unrat" in ein finsteres Garderobenzimmer, das "Kabuff", verweist, bemerkt er im Aufsatzheft des Schülers ein Gedicht mit dem Titel "Huldigung an die hehre Künstlerin Fräulein Rosa Fröhlich". Um Lohmann endlich zu Fall zu bringen, macht sich Raat auf die Suche nach diesem "Fräulein Rosa Fröhlich". Er findet heraus, dass sie als "Barfußtänzerin" in dem Vergnügungslokal "Der blaue Engel" auftritt. Angeblich um die moralische Hygiene seiner Schüler besorgt, sucht der Professor die verruchte "Barfußtänzerin" auf. Raat stürzt sich in die Gaststätte ohne einen wirklichen Plan, wird in einige Missgeschicke verwickelt und landet plötzlich in Rosas Garderobe. Schnell macht sich die in der Verführung geübte Tänzerin den tyrannischen Chauvinisten gefügig - er verlässt sehr verwirrt das Lokal. Am nächsten Morgen herrscht in der Schule ein gespannter Waffenstillstand: Raat befürchtet, dass seine Schüler ihn in der Klasse lächerlich gemacht haben – die Schüler befürchten, zum Direktor zitiert zu werden. Nach Schulschluss will Raat unbedingt vor seinen Schülern bei Rosa Fröhlich sein. "Lohmann durfte nicht bei ihr sitzen und Wein trinken: das war Aufruhr, Unrat ertrug es nicht. Weiter war ihm nichts bewusst." Von da an betrachtet Unrat es als seine Pflicht, jeden Abend im "Blauen Engel" zu sein und vor Rosas Eintreffen in der Künstlergarderobe die Toilettengegenstände zu ordnen, die saubersten Unterröcke und Höschen herauszusuchen und die Flickwäsche beiseite zu legen. Die Tänzerin steht jetzt unter seinem Schutz. So sorgt Raat nicht nur dafür, dass seine Schüler ihr nicht zu nahe kommen, er hält auch andere Verehrer von ihr fern und wirft etwa einen Schiffskapitän hinaus, der sie in der Künstlergarderobe besuchen will. Zwei Lehrerkollegen, die Gerüchten nachgegangen sind und sich vergewissert haben, dass sich Raat mit Rosa Fröhlich in deren Garderobe trifft, sprechen ihn darauf an, aber er weist sie darauf hin, dass das nicht ihre Angelegenheit sei. Der Schuldirektor stellt ihn zur Rede: vergeblich. Die Schneiderin, die für Rosa arbeitet, weist Raat auf das Gerede der Leute hin, aber er kümmert sich nicht darum. Immer weniger kümmert es Raat, was die Leute über ihn denken. Er geht sogar so weit, öffentlich Rosas Ehre zu verteidigen, als sie beschuldigt wird, zusammen mit seinen Schülern ein Hünengrab verwüstet zu haben. Erst als Rosa zugeben muss, bei der wüsten Feier am Hünengrab teilgenommen zu haben, zieht er sich am Boden zerstört zurück. Er wird aus dem Schuldienst entlassen. Aber als der Pastor ihm ins Gewissen redet, giftet Raat: "Sie haben die Künstlerin Fröhlich beleidigt. Die Dame steht unter meinem Schutz." Er wirft den Pastor hinaus und macht sich auf den Weg zu ihr. Er wolle sich keine Stunde mehr von ihr trennen, beteuert er und macht ihr einen Heiratsantrag. Jetzt erst erfährt er, dass Rosa eine kleine Tochter hat. Aber es bleibt dabei: Das leichte Mädchen wird Frau Professor Raat. Nach zwei Jahren Ehe mit Rosa ist Raat finanziell ruiniert. Eine Freundin Rosas gibt ihm den Rat, Unterricht zu geben. Der "Unterricht" sieht bald so aus, dass die Herren der Stadt sich in seinem Haus bei Spiel und Wein treffen und Rosa ihnen sehr geschickt und diskret zu Diensten ist. Mehr und mehr bewegt der Professor sich auf den Abgrund zu und enthemmt schon bald seine gesamte Umwelt. Der Tyrann wird zum Anarchist und der Untergang ist nur eine Frage der Zeit... "Aus dem Tyrannen war endgültig der Anarchist herausgebrochen." Professor Unrat entstand in einigen Monaten des Jahres 1904 und erschien ein Jahr später. Mit dem Roman Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen – so der vollständige Titel – vollzog Heinrich Mann die Wende zum politischen Schriftsteller. In Manns Heimatstadt Lübeck, deren Einwohner für den Roman herhalten mussten, wurde das Buch möglichst totgeschwiegen und, wenn das nichts half, negativ kritisiert. Es herrschte faktisch ein Verbot des Buches. Doch der Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und erlangte 1930 mit der Verfilmung "Der blaue Engel" große Popularität. Marlene Dietrich brillierte darin als verführerische und verruchte Rosa Fröhlich. Manche sahen im Professor Unrat eine Karikatur des deutschen Bildungsbürgers der Wilhelminischen Epoche. Es zeigte, welche Höhe die Doppelmoral des Bürgertums erreichen kann und ist ein Dokument für die Mentalität in Deutschland vor den Weltkriegen. Die frühe Spießer-Satire ist einer der ersten Lehrer- und Campusromane und geht Meisterwerken wie Nabokovs "Lolita" oder Philip Roths "Der menschliche Makel" voraus. Dies war mein erstes Buch von welchem der Manns auch immer, wie ich zugeben muss. Die Wahl als Hörbuch war dabei m.E. gut getroffen, auch wenn aufgrund des altertümlichen Schreibstils ein besonders aufmerksames Zuhören erforderlich war. Die Produktion der vollständigen Lesung vom Norddeutschen Rundfunk aus dem Jahr 1982 wird gelesen von Manfred Steffen, der 2009 bereits verstorben ist. Die Stimme Steffens passt hervorragend zu der Figur des Professor Unrat, und er liest die Szenen gekonnt und souverän, passend zur jeweiligen Situation. Wohl um der Karrikatur willen sind die Charaktere sehr plakativ und übertrieben gezeichnet. Es geht nicht darum, dass der Leser eine der Figuren sympathisch findet oder sich gar mit ihnen identifiziert. Zu Manns Zeit war es eher ein (sicherlich unangenehmer) Spielgel, den er der damaligen Gesellschaft vorhielt. Aus heutiger Sicht ein interessantes Stück Zeitgeschichte. © Parden

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