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Rezension zu
Die Mutter meiner Mutter

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein wichtiges Buch

Von: Devona
16.09.2015

„Die Mutter meiner Mutter“ ist ein sehr nachdenklich machendes Buch, was man nicht mal eben so „zwischendurch“ liest. Sensibel und ruhig zeichnet Sabine Rennefanz aus dem Blickwinkel der Enkelin den Mikrokosmos einer Familie, in der die Nachwehen des zweiten Weltkrieges noch immer schlummern und mit den geflüsterten Worten „Ich hab da was über deinen Großvater heraus gefunden“ der Mutter jäh zurück in`s Hier und Jetzt befördert werden. Mit diesem Satz beginnt das Buch. Der Leser lernt zunächst Friedrich Stein kennen, von dem seine Enkelin viel erzählen kann, an den sich sich gut erinnert, obwohl er starb, als sie gerade mal 12 Jahre alt war. Friedrich war der Opa, auf dessen Schoß sie saß , der auf 4 Fingern Lieder pfeifen konnte, dessen karierte Flanellhemden würzig nach Zimt und Holz rochen und der die Enkelin, kaum dass sie laufen konnte mit in den Stall zu den Pferden nahm…auf dem Rücken der Stute Grete brachte Opa sie in die Schule, während alle anderen Kinder laufen mußten. „Meinen Großvater bewunderte ich, über meine Großmutter wunderte ich mich nur.“ Anna Stein wird von ihrer Enkelin als Kind als seltsam unnahbar-verschrobenes Wesen wahr genommen. Traurig wirkt sie, die Anna und manchmal sitzt sie nur da und starrt den Küchenschrank an. Hat die Enkelin Hunger, kocht sie ihr ein Ei. Auch sie selbst lebt nur von Eiern, trockenem Brot und jeder Menge Knoblauch, sie schläft mit Kopftuch und Pullover auf dem Sofa, Körperkontakt zu Töchtern und Enkelin in Form von liebevollen Umarmungen o.ä. gibt es nicht. Intuitiv spürt die Enkelin, dass zwischen den Großeltern nicht alles so ist, wie es sein sollte. Lange nachdem die Enkelin die Enge des heimatlichen Dorfes verlassen hat und ihren eigenen Weg geht, wird sie durch den in`s Telefon geflüsterten Satz ihrer Mutter zurück geholt in die Welt von Anna und Friedrich Stein, in die Welt der durch dieses seltsame Elternpaar belasteten Töchter, die unabhängig voneinander als Erwachsene mit Ängsten zu kämpfen haben. Sie wollen nicht auf Spurensuche gehen wie die Enkelin, wollen das, was sich an Familiengeschichte offenbart, nicht wahr haben, nicht darüber reden und sie entfernen sich eher voneinander statt näher zusammen zu rücken. Puzzleteil für Puzzleteil trägt die Enkelin zusammen und erzählt in bewegender Weise die Geschichte von Anna Stein, die Hölle von Flucht und Nachkriegszeit bis hin zu dem Tag, über den ihre Mutter viele Jahre später sagen wird: „Ich hab da was über deinen Großvater heraus gefunden“. Der Tag, der Annas weiteres Leben in dieser Dorfgemeinschaft zum ewigen Spießrutenlauf machen wird und dem sie als völlig Entwurzelte doch nicht entfliehen kann, denn wo sollte sie hin? Und obwohl Annas Töchter schon Ursachenforschung bezüglich der eigenen Ängste betreiben, mögen sie sich den Vater nicht vom Sockel stoßen lassen, sind eher geneigt ihm, dem längst Verstorbenen, zu glauben als der noch lebenden, so unnahbaren Mutter und noch lebenden Zeitzeugen. Der Brückenschlag zu Anna bleibt ihrer Enkelin überlassen. Inwieweit das Buch autobiografisch ist, weiß ich nicht. Wenn nicht oder nur teilweise, ist es gut recherchiert. Vieles, was in Bezug zu Flüchtlingen des 2. Weltkrieges erzählt wird, kenne ich genauso aus den Erzählungen in meiner eigenen Familie. Auch meine Großmutter musste flüchten, meine Mutter wurde 1945 auf ebendieser Flucht geboren und war in ihrer Kindheit ein „Umsiedlerkind“. Die Baracken, in denen sie nach dem Krieg als Umsiedler lebten, standen noch in meiner Kindheit und wurden auch Mitte der 70er von den Einheimischen -wiewohl mittlerweile völlig anders genutzt- noch immer als „das Lager“ bezeichnet. Ich erinnere mich detailliert an die Kriegsgeschichten meines Großvaters (wie bei Annas Enkelin waren es immer die gleichen), die eine eigenartige Faszination auf mich ausübten. Von der Flucht meiner Großmutter weiß ich nur, dass ihr die für meine Mutter gedachten Babysachen unterwegs komplett gestohlen wurden und dass sie auf dieser Flucht „ihren Glauben an Gott verloren hat“. Wissen wir wirklich mehr von der männlichen Kriegsgeneration als von der weiblichen? Für mein Empfinden füllt Sabine Rennefanz hier eine Lücke. Ich empfehle dieses Buch uneingeschränkt, es sensibilisiert für die eigene Familiengeschichte und -ganz aktuell- auch die anderer. Auch die Auswirkungen und das Erleben heutiger Flüchtlingsströme werden unabhängig von richtiger oder falscher Politik, unabhängig von Hass oder „welcome refugees“ in den Folgegenerationen ALLER weiter leben.

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