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Rezension zu
Franz Josef Strauß

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Der doppelte Strauß

Von: Gernot Uhl
21.10.2015

Franz Josef Strauß polarisiert bis heute. Die einen verehren den langjährigen Bundesminister und bayerischen Ministerpräsidenten, die anderen verdammen ihn. "Ich bin weder Heiliger noch ein Dämon", hat er über sich selbst gesagt. "Ich bin kein ausgeklügeltes Buch, sondern ein Mensch in seinem Widerspruch". Wie wahr: Brachial und doch geschliffen war seine Wortwahl, streitlustig und doch versöhnlich sein persönlicher Umgang, meistens prinzipienfest und doch manchmal moralisch fragwürdig seine politischen Urteile. Wie schön, dass auf der Frankfurter Buchmesse gleich zwei ausgeklügelte Bücher über Josef Strauß vorgestellt worden sind, die sich diesem widersprünglichen Machtmenschen auf ganz unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Akzenten nähern: Schwarz-weiß zeichnet keine der Biografien ihren Protagonisten - und doch ist Strauß für keinen der beiden Biografen ein gewöhnlicher Titelheld. Die Lebensgeschichte von Franz Josef Strauß, die vor 100 begonnen hat, ist eine Aneinanderreihung von Superlativen: Er war der jahrgangsbeste Abiturient Bayerns, der schnellste Radrennfahrer Süddeutschlands, der jüngste Bundesminister (erst für Atomfragen, dann für Verteidigung). Er war ein Mann für die politischen Herkulesaufgaben wie den Aufbau der Bundeswehr und er hat maßgeblich Anteil daran, dass Bayern heute so gut dasteht, wie es dasteht. Strauß ist aber auch der Politiker mit den - zumindest gefühlt - meisten Verwicklungen und Skandalen. In der Starfighter-Affäre geht es um die zwielichtigen Umstände der Anschaffung von Kampfflugzeugen, in der Spiegel-Affäre um die Pressefreiheit. Auch seine Wortgewalt ist legendär. Strauß, ein intelligenter Macher mit Blick für komplexe Zusammenhänge hat gerne mal im Stile ein Stammtischbruders herumgepoltert: Über Helmut Kohl, seinen langjährigen Konkurrenten im Kampf um die Vormachtsstellung in der Union, hat er gesagt, er könne "nie Kanzler werden. Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür." Strauß selbst hat es - im Gegensatz zu Kohl - nie ins Kanzleramt geschafft. In einem erbitterten Wahlkampf (1980) haben seine vielen Gegner ihren Slogan wahrgemacht: "Stoppt Strauß!" Strauß definiert sich neu: als bayerischer Weltpolitiker, der in der Heimat gefeierter Ministerpräsident ist und auf internationalem Parkett so manchen Clou landet - und zwar buchstäblich: Nach Moskau fliegt er selbst und landet die kleine Maschine im schwierigsten Wetter. Und dass auchgerechnet er, einer der schärfsten Kritiker des Kommunismus einen Milliardenkredit für die DDR aushandelt, ist auch eine politische Sensation. Als Strauß 1988 stirbt, erweisen ihm Tausende die letzte Ehre. Die Buchbesprechungen Bislang konnten Biografien über Franz Josef Strauß recht eindeutig sortiert werden: Die einen waren für ihn und die anderen gegen ihn: Heldenverehrung und Schurkendresche sozusagen. Die beiden neu erschienen Biografien von Horst Möller und Peter Siebenmorgen sind so einfach nicht abzustempeln, auch wenn gewisse Sympathien beziehungsweise Vorbehalte nicht zu übersehen sind (bei Möller kommt Strauß besser weg). Die Schlüssel zu beiden Büchern sind die Berufsbiografien der Biografen: Möller ist Historiker und hat das renommierte Institut für Zeitgeschichte geleitet. Siebenmorgen ist Politikwissenschaftler und Journalist. Beide haben jahrelang recherchiert, beide schreiben kurzweilig und dicht über den Machtmenschen Strauß. Bei Möller steht das Lebenswerk im Vordergrund, Siebenmorgen akzentuiert die Lebensgeschichte. Möllers Buch trägt dabei eher den Charakter der politischen und zeitgeschichtlichen Analyse, Siebenmorgens Biografie liest sich eine Spur mehr wie ein Polit-Drama. Das heißt aber nicht, dass Möller die Dramatik im Leben dieser politischen Urgewalt vernachlässigt. Und es bedeutet auch nicht, dass Siebenmorgen ein reines Skandalbuch vorgelegt hat. Das Gegenteil ist der Fall: Beide Bücher sind abwägend, wenngleich mit unterschiedlichen Prioritäten in Darstellung und Einordnung. Beide Bücher sind absolut lesenswert und es ist gerade ein Genuss, sich den doppelten Strauß sozusagen parallel zu erlesen - auch, wenn beide Biografien schon für sich viele hundert Seiten umfassen. Möller ist der Erstbesteiger eines Aktenachttausenders, Er hat viele Regalmeter an Archivakten ausgewertet (darunter den umfangreichen Nachlass) und daraus ein faszinierendes und umfassendes Bild des politischen Denkens und Handelns von Franz Josef Strauß gezeichnet. Bei diesem Buch werden Strauß-Sympathisanten wohl eher auf ihre Kosten kommen, weil Möller manche liebgewonnene und tradierte Skandalsierung gekonnt und unaufgeregt entmystifiziert. Ein Beispiel ist die Spiegel-Affäre von 1962: 'Der Spiegel' hatte unter dem Titel "Bedingt abwehrbereit" Bundeswehr-Interna publik gemacht. Die Justiz hatte wegen Verdachts auf Geheimnis- bzw. Landesverrats die Durchsuchung der Redaktionsräumer angeordnet und den Herausgeber Rudolf Augstein sowie führende Redakteure festgenommen. Oft wird das so dargestellt, als habe Verteidigungsminister Strauß - seit Mitte der 1950er Jahre ein Intimfeind Augsteins - persönlich die Durchsuchung der Redaktionsräume angeordnet. In seiner überzeugenden Analyse schlüsselt Möller die Rolle und Bedeutung des Verteidigungsministers nüchtern auf und relativiert somit den Einfluss, den Strauß gehabt hat. Ein später Freispruch wird dem im Zuge der Affäre zurückgetretenen Minister dennoch nicht zuteil: Möller erkennt in der Spiegel-Affäre "kaum ein Schurkenstück von Strauß, aber einen politischen Intrigantenstadel mit zahlreichen Dramatis personae, und nur wenigen Unschuldslämmern." Peter Siebenmorgen beurteilt Strauß ebenfalls differenziert. Doch bei allem Respekt, den er Strauß für seine Leistungen zollt, überwiegen die Darstellungen der Dissonanzen. Seine Biografie kommt in manchen Passagen wie ein Enthüllungsbuch daher. Brisante Akten habe er "auf Dachböden und in Kellern" gefunden, erzählt Siebenmorgen auf der Frankfurter Buchmesse im Gespräch mit Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer. Wie ein investigativer Journalist deckt Siebenmorgen dubiose Geschäftspraktiken auf, mit denen Strauß viel Geld für vermeintliche Unternehmensberatungen verdient habe. "Er hat sich aushalten lassen und Geld genommen, das er als Politiker besser nicht genommen hätte", sagt Siebenmorgen, macht sich aber dieses Urteil nicht einfach. Korrupt sei Strauß jedenfalls nicht gewesen, weil sein Verhalten nicht strafrechtlich relevant gewesen wäre. Etwas zu viel der Enthüllung sind die veröffentlichten wörtlichen Zitate aus den Kalendernotizen von Strauß' Frau Marianne, die sich in einer schwierigen Ehephase den Frust von der Seele schreibt. In diesem Fall lässt sich Peter Siebenmorgen von Scheinsensationen verführen, wie sie im Boulevard gang und gäbe sind. Große Wirkung, aber eigentlich kaum überraschend. Dass Strauß gerne mal etwas tiefer in Glas geschaut hat, wissen Millionen von Fernsehzuschauern an langen Wahlabenden. Davon angesehen leistet aber auch Siebenmorgen wie vor allem Möller einen wichtigen Beitrag zur längst überfälligen differenzierten Strauß-Bewertung, weil beide nicht darauf bestehen, alle Widersprüche auszuräumen, sondern es dabei belassen, sie zu benennen. Das macht Politik und Politiker menschlicher. Es lohnt sich, in langen Winternächten mal in die eine und die andere Strauß-Biografie zu schauen.

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