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Rezension zu
Rosaleens Fest

ein authentisches, intensives und berührendes Leseerlebnis

Von: Kerstin Scheuer
15.12.2015

Wie fand ich… …den Aufbau und den Einstieg? „Rosaleens Fest“ besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden die vier Geschwister sowie Rosaleens Mutter der Reihe nach ausführlich vorgestellt. Dieser Teil umspannt einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten und zeigt die fünf Charaktere episodisch und jeweils isoliert voneinander in für sie typischen Szenen. Dieser Teil des Buchs endet mit Rosaleen, die einsam und deprimiert in ihrem viel zu großen Haus sitzt, dessen Verkauf sie kurzerhand beschließt, um schon im nächsten Moment alle Kinder zu einem letzten Familienweihnachtsfest einzuladen. Erst im zweiten Teil werden die einzelnen Charaktere zusammengeführt und der Verlauf dieses Weihnachtsfestes im Kreis der Familie geschildert. Durch diesen ungewohnten Aufbau fiel es mir lange Zeit schwer, mich richtig in das Buch hineinzufinden. Vor allem mit dem ersten Teil hatte ich meine Probleme. Hier präsentiert Anne Enright ihre Protagonisten getrennt voneinander in fünf ausführlichen Nahaufnahmen. Diese hatten für mich zwar alle ihren Reiz. Mir fehlte hier jedoch lange der überspannende rote Faden. Erst im zweiten Teil, wenn alle Kinder über Weihnachten zu ihrer Mutter zurückkehren, fand ich richtig ins Buch. …die Charaktere? Anne Enright entwickelt wunderbar ausdifferenzierte und ambivalente Charaktere. So entstehen sehr authentische Figuren, denen der Leser durch den oben beschriebenen Aufbau des Buchs ungewöhnlich nahe kommt. Dreh- und Angelpunkt der Familie ist Mutter Rosaleen, die ihren Kindern durch ihre hohen Erwartungen und ihre gleichzeitig sehr unterkühlte Art einiges abverlangt. Gleich zu Beginn erlebt man ihr höchst manipulatives Verhalten. Schließlich erzwingt sie am Ende des ersten Teils auch das Familienweihnachtsfest, indem sie in der Einladung gleichzeitig ihren Entschluss zum Hausverkauf kundtut. Ihre Kinder, die natürlich trotz allem an ihrem Elternhaus hängen, fühlen sich dadurch regelrecht erpresst. Gleichzeitig bekam ich in dieser Szene jedoch auch Mitleid mit Rosaleen, die sich sehr einsam und verlassen fühlt, ohne zu erkennen, dass es ihre ewig unzufriedene, unterkühlte Art und ihre schonungslose, bisweilen verletzende Ehrlichkeit ist, die ihre Kinder so weit von ihrer weg treibt. Es ist die Einsamkeit, die sie unzufrieden macht. Gleichzeitig macht sie ihre Unzufriedenheit aber auch so einsam. Auch nach so vielen Jahren scheint es ihr nicht möglich, selbstständig einen Ausweg aus diesem Teufelskreis zu finden. Am meisten bewegt hat mich jedoch die Lebensgeschichte ihres Sohnes Dan. Gleich zu Beginn von „Rosaleens Fest“ ist es Dans Entschluss, Priester zu werden, den Rosaleen nicht akzeptieren will. Mit ihrer mehrwöchigen vehementen Weigerung, das Bett zu verlassen, tyrannisiert sie daraufhin die gesamte Familie. Später erlebt der Leser Dan im New York der 80er Jahre, wohin er im Versuch, ein von seiner Mutter unabhängiges Leben zu führen, geflohen ist. Dan ist nicht Priester geworden. Stattdessen bewegt er sich in der New Yorker Kunstszene und tut sich so schwer mit dem eigenen Coming Out, dass er nicht einmal seine große Liebe im Krankenhaus besucht, als dieser an AIDS erkrankt. Zur Weihnachtsfeier bei seiner Mutter erscheint er auch viele Jahre später ohne seinen festen Lebenspartner, weil er es noch immer nicht schafft, ihr in diesem Punkt die Wahrheit zu sagen. Auch seinen Geschwistern geht es nicht viel besser: sein Bruder Emmet ist als Entwicklungshelfer ans andere Ende der Welt geflohen, wo es ihm jedoch auch nicht gelingt, eine feste und dauerhafte Beziehung zu führen. Seine jüngste Schwester Hanna musste ihren Traum von einer großen Theaterkarriere nach einer Schwangerschaft begraben und tröstet sich seitdem mit Alkohol. Nur Constance ist in der Nähe der Mutter geblieben, wo sie über all ihren Familienpflichten sich selbst vollkommen verloren zu haben scheint. …die Sprache? Anne Enright schreibt in einer klaren, flüssig zu lesenden Sprache. Dadurch ließ sich „Rosaleens Fest“ angenehm lesen. Ich hatte es relativ schnell beendet. Das besondere an Enrights Erzählstil ist, wie wenig sie trotz der Thematik psychologisiert. Mit ihrer unsentimentalen, präzisen Wortwahl gelang es der Autorin, die Gefühle ihrer Protagonisten für mich erfahrbar zu machen. Ohne dass diese direkt angesprochen oder explizit benannt wurden, klangen sie in mir nach. Dadurch wurde „Rosaleens Fest“ für mich zu einer intensiven Leseerfahrung, die mich noch lange bewegte. …das Ende? Das Ende stimmte mich trotz aller düsteren und traurigen Lebensschicksale, die in „Rosaleens Fest“ beschrieben werden, auf angenehme Weise wieder etwas versöhnlich. Ich verließ das Buch mit dem guten Gefühl, dass es doch noch Hoffnung für diese Familie geben könnte. Trotz gewisser Andeutungen lässt der Schluss noch genügend Raum für die eigene Fantasie, was ich sehr schön fand. Wie gefiel mir das Buch insgesamt? In „Rosaleens Fest“ beschreibt Anne Enright herrlich unsentimental die vielschichtigen Erwartungen und Emotionen, die das Fest der Liebe in vielen Familien leider allzu oft zum Fest der Enttäuschungen werden lassen. In einem episodisch aufgebauten ersten Teil fängt sie ihre Protagonisten sehr präzise in berührenden Nahaufnahmen ein. So entstehen sehr ambivalente, authentische Charaktere, bei denen ich gleichermaßen mitfühlen wie mich an ihnen reiben konnte. Enright arbeitet hierbei schön heraus, wie sehr die eigenen Gefühle und Hoffnungen jedes einzelne Familienmitglied in einem ganz eigenen Teufelskreis gefangen halten, aus dem sich schließlich keiner mehr aus eigener Kraft befreien kann. So wirkte die fast unvermeidbare Eskalation des Familienweihnachtsfests auf mich schließlich beinahe wie eine Art reinigendes Gewitter, das allen die Chance gibt, die eigenen Positionen und Ansichten noch einmal von Grund auf zu überdenken. Insgesamt empfand ich „Rosaleens Fest“ als sehr stimmiges, intensives und berührendes Leseerlebnis. Einziger Wermutstropfen war lediglich der etwas problematische Einstieg in den Roman: Durch den in separaten Highlights aufgebauten ersten Teil fehlte mir leider lange Zeit das den Roman überspannende Element. Der starke zweite Teil wiegt dies jedoch wieder auf.

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