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Rezension zu
Gehen, ging, gegangen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Buch, das jeder gelesen haben sollte

Von: Tintenhain
02.01.2016

Im Oktober beschloss unser “Buchclub”, dass wir doch auch mal was von der Shortlist für den Deutschen Buchpreis lesen könnten. Die Wahl fiel schnell auf Jenny Erpenbecks “Gehen, ging, gegangen”. Ehrlich gesagt hatte ich wenig Lust darauf. Irgendwie hat es sich in meinem Kopf verankert, dass Bücher, die Buchpreise kriegen oder auch nur dafür nominiert sind, in der Regel sperrig sind, vielleicht alles klein geschrieben ist oder man zwei Texte parallel lesen muss. Ich habe so kaum Zeit zum Lesen, da muss ich mich nicht noch mit Texten herumschlagen. Doch welche Überraschung! Jenny Erpenbecks Roman liest sich ganz fantastisch und die Geschichte nimmt einen sofort gefangen. Es ist die Art, wie sich Richard, der emeritierte Professor mit der Situation der afrikanischen Flüchtlinge vom Oranienplatz auseinandersetzt. Er hinterfragt, er hört zu, er zeigt Einfühlungsvermögen, ohne ins Mitleid zu verfallen. Die Schicksale der Flüchtlinge sind dramatisch, jedes für sich – in der Summe zeigen sie, dass in unserer einen Welt etwas nicht richtig läuft. Für Richard ändert sich vieles, nicht nur bekommt sein Alltag einen neuen Sinn, auch seine Gedanken gehen neue Wege, Dinge bekommen neues Gewicht oder verlieren an Bedeutung. Mit klaren Worten, oft eindringlich erzählt Jenny Erpenbeck von der Situation junger Flüchtlinge in Deutschland, von Dublin II und seinen Folgen, von Grausamkeit und von Menschlichkeit. Dabei spielt sie oft mit Sprache, gerade im richtigen Maß, ohne dabei das Erzählen zu vergessen. Indem sie Richard im Osten Berlins wohnen lässt, als jemand, für den sich durch die “Wende” auch vieles im Leben geändert hat, schon einmal alles in Frage gestellt wurde, zeigt sie auf, dass auch bei uns in Deutschland manchmal schneller einschneidende Veränderungen passieren können, die unser eigenes Dasein auf den Prüfstand stellen. Während ich das Buch las, habe ich bei Facebook gelesen, wie “Gehen, ging, gegangen” mit den Worten “ein Roman, dessen fiktive Handlung von der Realität eingeholt worden ist” vorgestellt wurde. Dem kann ich nicht ganz zustimmen. Meiner Meinung nach hat hier vielmehr die Realität die Vorlage für den Roman gestellt. Jenny Erpenbeck hat für ihren Tatsachenroman viele Interviews mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz geführt, sich mit ihrer Situation, ihren Ängsten und Hoffnungen auseinander gesetzt. Obwohl es sich um eine fiktive Geschichte handelt, ist man so nah an der Realität, dass man durchaus vergessen kann, das sich nicht alles genau so zugetragen hat. Mich hat das Buch sehr beeindruckt, in seiner Intensität, mit seiner wohlgesetzten Sprache, aber auch durch die vielen Gedankenanstöße. Wie oft hat man sich selbst an Stelle des Professors gesehen und sich gefragt: “Ja, was weiß ich eigentlich?” Ein Zitat, das bestens beschreibt, wie es mir mit diesem Buch erging, möchte ich abschließend noch anführen: “Vieles von dem, was Richard an diesem Novembertag, einige Wochen nach seiner Emeritierung, liest, hat er beinahe sein ganzes Leben über gewusst, aber erst heute, durch den kleinen Anteil an Wissen, der ihm nun zufliegt, mischt sich wieder alles anders und neu.” (Seite 177) © Tintenelfe

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