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Rezension zu
Widerrechtliche Inbesitznahme

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein wunderbarer philosophischer Roman über das Unglück der Liebe

Von: Claudia Bett
25.03.2016

Für ihren Roman 'Egenmäktigt förfarande', der 2015 unter dem deutschen Titel 'Widerrechtliche Inbesitznahme' erschien, wurde die schwedische Schriftstellerin Lena Andersson 2013 mit dem renommierten August-Preis in der Kategorie Belletristik ausgezeichnet. Zurecht, wie ich finde, denn sie hat einen ganz wunderbaren philosophischen Roman über die Liebe, bzw. das Leiden an unerwiderter Liebe geschrieben. Dabei ist die Geschichte nicht besonders originell, denn Romane über verschmähte Liebende gibt es viele; außergewöhnlich ist jedoch, wie präzise und analytisch die Autorin das Leiden an unerfüllten Sehnsüchten und die zerstörerische Kraft der Hoffnung, die Liebende überhaupt in solch emotionale Abhängigkeiten geraten lässt, beschreibt. Das Buch ist so voller kluger und wunderschöner Sätze, dass man sie am liebsten alle anstreichen möchte. Die Sprache ist lakonisch, schlicht und äußerst einfühlsam, zieht den Leser vollkommen in seinen Bann und macht Esters Verletzungen ebenso nachfühlbar wie ihre immer wieder aufkeimende Hoffnung. Der recht ungewöhnlich Titel 'Widerrechtliche Inbesitznahme' bezieht sich gleichermaßen auf beide Hauptprotagonisten, denn nicht nur Hugo, sondern auch Ester werden widerrechtlich in Besitz genommen. Hugo, indem Ester unnachgiebig versucht, ihn für sich einzunehmen, und Ester, indem Hugo sie für seine Zwecke benutzt, sie zwar nicht liebt, aber auch nicht gehen lässt, weil er ihre Bewunderung braucht. Ester weiß: "Hugo Rask schuldete ihr keine Liebe. Es gab kein Recht darauf, geliebt zu werden." Ihrer Logik folgend hat sie aber zumindest das Recht auf eine Erklärung, um zu verstehen, was er empfindet. Auch wenn sie weiß, dass Hugo nicht für sie verantwortlich ist, leitet Ester aus den intimen Gesprächen und sexuellen Annäherungen eine moralische Verpflichtung zur Erklärung ab. Ein klares Nein könnte sie akzeptieren, könnte ihr helfen, sich von ihm zu befreien, aber stattdessen verharrt Hugo in seiner Unverbindlichkeit und verweigert, in der Annahme, ihr nichts schuldig zu sein, jedes klärende Gespräch. Ihr Leiden ist nicht sein Problem – für ihn besteht kein Klärungsbedarf. Kommunikation über Gefühle sind ihm fremd, machen ihm Angst, weil sie Intimität schaffen und er Nähe nicht ertragen kann. Er folgt einem ganz anderen System – dem der Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer. Ester und Hugo leben in unterschiedlichen Welten, in denen vollkommen verschiedene Spielregeln gelten – Ester in einer Welt mit einem unbedingten Absolutheitsanspruch an die Liebe und Hugo in einer Welt, die jegliche verbindliche Form von Liebe und Nähe ausschließt. Dass dies fatal enden muss, ist nur logisch. Blind für die Gefühle und Bedürfnisse anderer, aber getrieben von dem unbedingten Wunsch nach Bewunderung, versteht es Hugo aber sehr geschickt, Esters Hoffnung wiederholt neue Nahrung zu geben. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er sie nicht liebt, offenbar überhaupt nicht zur Liebe fähig ist, aber man darf ihm vorwerfen, dass er ihr stets gerade so viel Aufmerksamkeit schenkt, wie notwendig ist, um ihre hingebungsvolle Liebe am Leben zu erhalten, statt aufrichtig und offen zu sein. Und so hofft Ester weiterhin, erniedrigt sich immer wieder, aber für sie ist es keine Erniedrigung, denn in ihrer Welt, in ihrem System, ist das Leiden an und das Kämpfen für die Liebe eine noble Sache. Sie glaubt, dass sie nur lange und intensiv genug leiden muss, um sich Hugos Liebe zu verdienen. Als Leser ist man häufig versucht, in den Freundinnenchor einzustimmen, der unablässig versucht, sie zu Vernunft zu bringen, aber jeder, der schon in Esters Situation war, weiß, wie hilflos man der Liebe ausgeliefert sein kann und Liebe ein Phänomen ist, dem mit Rationalität und gutgemeinten Ratschlägen nicht beizukommen ist. Der Roman 'Widerrechliche Inbesitznahme' ist eine präzise Analyse der Welt, in der unglücklich Verliebte leben und die einer eigenen Logik folgt. Gekonnt, erbarmungslos und völlig jenseits von Romantik und Kitsch seziert die Autorin die verborgenen Winkel menschlichen Fühlens und Liebens. Jeder, der schon verliebt war und das zweifelhafte Vergnügen hatte, dabei ausgerechnet an einen egozentrischen Narzissten wie Hugo geraten zu sein, wird sich in diesem Buch wiederfinden. Ein wunderbarer und intelligenter Roman über das Unglück der Liebe, Selbstbetrug, Autonomieverlust und die zerstörerische Kraft der Hoffnung.

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