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Rezension zu
Märzveilchen

Herzschlag der Welt

Von: Thomas Lawall
25.04.2016

Also, dieses Buch hat mich aufgeregt. Zumindest am Anfang. Als ich es noch nicht verstanden habe. Was soll ich denn mit den Versatzstücken und Momentaufnahmen so auf die Schnelle? Wo ist hier denn der Zugang und ein Zurechtkommen? Und was habe ich denn überhaupt in den privaten Kammern von Sarah Kirsch zu schaffen? Wer soll das lesen und verstehen (dürfen)? Dann aber siegt die Neugier, so wie das immer ist mit diesen Büchern, die (zu) viele Fragen stellen. Die wollen mich fordern, provozieren oder sogar wecken mit ihrer eigensinnigen Direktheit, welche sich ein ums andere Mal hinter drei bis fünf Ecken versteckt. Man sollte das Heer der falschen Erwartungen ausradieren können. Kassensturz. Inventur. Schlussverkauf. Ganz von vorne beginnen. Das Buch behandeln, wie das erste gelesene überhaupt. Alles zurückspulen. An den Anfang. Alles Löschen. Alle Kassetten sind leer. Dann den Aufnahmeknopf drücken. Wie beim ersten Mal. Dann geht es! Nun öffnet sich ein Vorhang. Jetzt erkennt man sie plötzlich, die Liebe, die wie der Mond abnimmt, und jenen feschen Ballon aus dem Süden. Wie das letzte Aprilwetter "wild ausgekippt" wird, "zappelnde Wolken" oder "only sehr kleene Wölkchen" vorüberziehen, wie die Bäume an der Eider im goldenen Gegenlicht strahlen und die ersten Schwalben pünktlich nach Hause kommen. Sarah Kirsch kennt sie noch, die Wunder, und sie weiß auch ihre Namen, auch wenn sie nur Wiesenschaumkraut, Gundermann oder Scharbockskraut heißen ... Nicht, dass alle Fragen beantwortet werden. Alles ist so, wie im richtigen Leben. Wäre auch schlimm, denn wer nicht mehr fragt, vergisst bald das Atmen und ergibt sich in Stillstand und Untergang. Was bliebe dann noch zu Leben übrig? Bleibt auch vieles im Unklaren, ist Märzveilchen dennoch ein Tagebuch wie kein anderes. Es erlaubt das Eintauchen in den Mikrokosmos einer Dichterin. Unerwartete Nähe. Blicke aus anderen Augen. Weltgeschehen und Konzentration auf das Wesentliche, vereint in einem Konzentrat aus Zeitaufnahmen. Sprache treibt unerwartete Stilblüten, definiert und erfindet sich ein ums andere Mal neu. Sie bleibt stets schlicht und unbelastet von jeder Belanglosigkeit, und gewinnt doch gleichzeitig an Größe. Das ist (noch) nicht alles, aber verdammt viel. Ein gutes, erdiges Stück Leben, das uns zu begleiten eine Weile vergönnt ist. Bis sich das Buch schließt, und auch darüber hinaus. Erschreckend sind die Erinnerungen an Irrsinnstaten, die in einem größerem Zusammenhang niemand mehr versteht. Menschenleben werden zu Randnotizen. Wie schade das alles ist. Bezaubert ist man aber, wenn Worte Tränen befreien und erlahmte Träume wieder fliegen lässt. Und zwischen den Zeilen hört man den Herzschlag der Welt. Was muss ein Buch mehr können als das?

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