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Rezension zu
Todesurteil

Fesselt wie 5 Freunde (für Erwachsene) - spannend mit starken Charakteren

Von: Lienz
05.06.2016

Ein Fallanalytiker, wie wir ihn noch nicht gesehen haben: Der Niederländer Maarten S. Sneijder – bitte das „S.“ nicht vergessen – arbeitet für das BKA, ist bleicher als der Tod, kifft seinen Clusterkopfschmerz weg und geht keiner Frau auf den Leim. Dieser schräge Vogel ist ein Muss für jeden Thriller-Fan. Ganz besonders mit seinem Sidekick, der jungen taffen Sabine Nemez aus München. Andreas Grubers neuestes Werk (und gleichzeitig meine erste Gruber-Erfahrung) gefällt durch präzise Handarbeit. Mit Todesurteil ist aus seiner Feder ein sehr komplexer Roman geflossen, bei dem selbst der flüchtige Leser niemals den Überblick verliert. Die Jagd nach einem (oder sind es mehrere?) Serienkiller(n) gliedert sich in Prolog, die Teile I-IX mit 69 Kapiteln und dem Epilog. Dem aufmerksamen Leser öffnet der Roman sich wie ein Füllhorn an Thrilleraction. Mit etlichen kleinen Kunstgriffen wie raffiniertem Subtext erhöht Andreas Gruber den Lesegenuss. An dieser Stelle seien zur Appetitanregung nur ein Kniff genannt: Zwischen den einzelnen Kapiteln finden sich immer wieder Auszüge aus der Vernehmung des anscheinend da bereits gefassten Täters, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Wenn dem Leser schließlich das Licht aufgeht, was diese Textabschnitte bedeuten, erfüllt ihn schrecklich-schönes Grausen. Die Handlung bewegt sich an zwei Orten auf das infernale Ende zu, nämlich in Wiesbaden und Wien, und wird jeweils von zwei Frauen vorangetrieben: Sabine Nemez in Wiesbaden und der Staatsanwältin Melanie Dietz in Wien/Neusiedl. Andreas Gruber schreibt so, dass der Leser diesen beiden Frauen gerne folgt und zusieht, wie die grausamen Tötungsdelikte den gefühlten Normalzustand des Berufsalltags der beiden Frauen zu einer Horrormasse komprimieren. Das hat mir besonders gefallen: Sechs der neun Teile ist ein Zitat einer bekannten Persönlichkeit vorangestellt, drei Zitate stammen von fiktiven, dem Leser aber wohlbekannten Personen. Diese Zitate sind im Nachgang umso reizvoller, als sie die Perfidie der Handlung nochmals mit einem grellen Schlaglicht erhellen. Sozusagen Gänsehaut im Nachschlag! Immer wieder blitzt Humor, auch durchaus schwarzer (Gruber ist ja Österreicher), zwischen den Zeilen durch. Zitate: „Er hatte den irren Blick eines tollwütigen Kaninchens“ (S. 312) oder „Stört es Sie, wenn ich rauche?“ – „Mich stört es nicht mal, wenn Sie brennen!“ (S. 349). Der rechtlich nicht unbedarfte Leser kann, wenn er will, dank dieses Thrillers außerdem was dazulernen. Nein, nicht das Morden, sondern Wissen über österreichische Gerichtsverfahren. Gleichzeitig ist dem Autor eben in diesem rechtlichen Bereich ein erstaunlicher Lapsus passiert – dazu unten. Mein persönliches Highlight: Mein Verdacht, der im ersten Viertel des Buchs aufkeimt, wird im letzten Viertel bestätigt. Oh – da glüht meine Spürnase voller Stolz! Wo Licht ist, da gibt’s auch Schatten – in Form kleinerer Unstimmigkeiten (niemand ist ein Übermensch). So ist im zweiten Viertel (S.212) ein Dialog entgleist, vielleicht beim Druck passiert und in der Druckfahne übersehen worden. Es gibt auch einen kleinen Info-Dump (S. 363), als die Perspektive zum ersten Mal auf Sneijder wechselt. An der Stelle wird mir der inzwischen sehr liebgewonnene Maarten fast etwas entzaubert. Manchmal trifft die Sprache nicht das richtige Register, wenn aus dem Mund von Polizisten der Begriff „Verhör“ erscheint oder Sabine Nemez bedauert, dem Verdächtigen schwer etwas „anhängen“ zu können. Einen rechtlichen, wie ich finde vermeidbaren Lapsus gibt es auch: Mord (Deutschland) ist nicht gleich Mord (Österreich). Mit anderen Worten, das Vierbuchstaben-Wort hat in Deutschland eine vollkommen andere Bedeutung als in Österreich. Aus dem Grund ist es sachlich nicht richtig, dass der Autor die deutsche Ermittlerin Sabine Nemez von „vorsätzlichem Mord“ (S. 254) sprechen lässt. Zumal es den in beiden Rechtsordnungen nicht gibt. Diese Punkte verunzieren das ansonsten schöne Werk ein wenig, und ich wage zu behaupten, dass Andreas Gruber schlicht nicht daran gedacht hat, an den besagten Stellen genauer hinzusehen. Ach ja, witzig finde ich seine beiden eindeutigen Lieblingswörter: sogleich und soeben. Sie begleiten den Leser fröhlich durch den Text. Doch rasch zurück zum überaus guten Gesamteindruck. Und dazu, warum ich jedem Fan cleverer Thriller Todesurteil sehr empfehle: Andreas Gruber gebraucht nur einen einzigen klassischen Cliffhanger auf 573 Seiten. Seine Spannung ergibt sich von selbst aus den Figuren und ihren Handlungen heraus. Niemals plump, stets raffiniert fesselt er den Leser an das Buch. Der Buchrücken zitiert Fitzek: „Grubers Stil ist rasant, komplex und sorgt immer wieder für überraschende Wendungen.“ Dem möchte ich hinzufügen, dass die Wendungen nicht so sehr überraschend, als hervorragend vom Autor vorbereitet sind und so dem Leser neben Nervenkitzel auch ein Gefühl tiefer Befriedigung gegeben. Weil – irgendwie hat man’s durch ein diffuses Gefühl kommen sehen. Nur, dass der Autor dieses diffuse Lesergefühl bewusst und gekonnt provoziert hat. Chapeau! Das ist Schreibkunst! Und das Ende? Oh ja, ich verrate es, und zwar mit einem fett-zufriedenen Lächeln auf meinem Gesicht. Die Auflösung gleicht einer Bombe, deren Lunte der Leser brennen sieht und nicht löschen kann! BOOM! Fazit: Wer Thriller liebt und Todesurteil nicht liest, der ist, mit Verlaub, selber schuld. Leseempfehlung!

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