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Rezension zu
Der stumme Zeuge

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Sprachlich überzeugender Einblick das brasilianische Leben

Von: Michael Lehmann-Pape
15.08.2016

Zwar setzt Silvestre die Ereignisse dieses Thrillers (der eher als Milieustudie fast zu bezeichnen wäre) deutlich in die Vergangenheit (ins Jahr 1989), dennoch kann man für dieses Buch sagen, dass es (pünktlich zu den olympischen Spielen in Rio) die Grundstrukturen des Lebens in Brasilien auch für die heutige Zeit deutlich mitabbildet. Indem Silvestre eine verstrickte Aktion im „Kampf gegen die Korruption“ mit der Entführung eines Kindes (auch noch das falschen Kindes) und einem tiefen Einblick in die innere Erlebniswelt der je Beteiligten koppelt, und zudem mittels seiner eleganten, sehr bildreichen und sehr differenzierten Sprache eine plastische, dichte Atmosphäre des Lebens in Brasilien zu zeichnen versteht, ergibt sich für den Leser ein facettenreicher, ebenso intensiver Einblick in das stark auseinanderdriftende Lebensgefüge des Landes. Einerseits die Favelas, die arme Seite, voll von Drogen, Kriminalität, locker sitzenden Waffen und den allgegenwärtigen Träumen vom sozialen Aufstieg. Eine Seite Brasiliens, die Silvestre in der Ehefrau des führenden Werbetreibenden des Landes kongenial darstellt. Maria, genannt „Mara“ ist unzweifelhaft die wichtigste Figur im Roman. Hin- und hergerissen zwischen dem „goldenen Käfig“, den sie überaus zu schätzen weiß (sie hat schon ganz andere Lebensweisen erlebt und sich auf viel direktere Weise verkauft, als bei Olavo, dem Chef der Werbeagentur). Doch ihr Widerwille wird größer. Gegen den Mann, gegen dieses Leben, gegen ihren eigenen Sohn, dem sie, wenn sie ehrlich ist, eher distanziert gegenübersteht. Wobei hier zudem noch deutliche und, im Lauf der Ereignisse, immer klarer werdende Fragen nach dem Sinn eines Lebens „im Shopping Wahn“ ganz grundsätzlicher Natur hinzutreten. Ausgelöst durch eine Entführung. Die ihren Sohn treffen sollte, aber durch eine Verwechslung das taubstumme Kind einer Angestellten nun betrifft- Ein Kind, für das Olavo keine Centime lockermachen würde. Eine Gefahr für dieses so unbedeutend erscheinende Leben, die Maria aber sehr wohl zunehmend als Bürde, als Verantwortung erlebt. Während Olavo lange Zeit mit nichts Anderen beschäftigt ist, als die ermittelnde Polizei möglichst weit von sich und seinen Geschäften fernzuhalten. Denn Werbung macht er zwar auch, vor allem aber wandelt er vielfache „Nebeneinnahmen“ der High Society in legale Anlagen um, kauft über Strohkonten Wohnungen im Ausland und ist auf Du und Du mit Ministern, Politikern und Wirtschaftsgrößen. „Überall in den Werbeagenturen fielen ein paar Peanuts ab und in den Steueroasen häufte sich so ein Vermögen an“. Und wenn das Peanuts sind, ist leicht vorstellbar, was denn jene auf Seite schaffen, die über die Mittel zu verfügen haben. Immer wieder setzt Silvestre diese „Hand-auf“ Mentalität in scharfen Kontrast zur „normalen“ Bevölkerung. Zum „Major“, dem Leibwächter Olavos, der seiner Tochter ersparen möchte, für einen Englisch-Kurs putzen zu müssen, für Irene, die Mutter des entführten Kindes, die nur fleißig mit ihrem Mann genügend Sparen möchte, um in die alte Heimat zurückzukehren. Doch in Sao Paulo, im Moloch der Großstadt, im scharfen Kontrast zwischen reichen Villengegenden, Luxusgeschäften und Bretterbuden als Obdach bleiben Träume für die Meisten auf der Strecke. Das zudem noch der Fall selbst an Spannung zunimmt, dass der Leser mitfiebert, wie das Ergehen des blonden Jungen mit den blauen Augen sich entfalten wird, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und durchaus Sympathie für die Entführer entstehen wird, all das gibt dem Roman noch die abschließende Würze. Eine sehr empfehlenswerte, sprachlich und inhaltlich ausgefeilte und mitnehmende Lektüre.

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