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Rezension zu
Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen

Die Geschichte vom Hai im Heuhaufen

Von: Stephanie Jaeckel
30.08.2016

Nein, ein Hai ist keine Nadel, aber auch das Meer ist größer als ein Heuhafen. Hier einen seltenen und eher tief schwimmenden Eishai zu erwischen, ist schon eine Leistung. Da geht man nicht eben mal raus zum Angeln. Da sind Pläne zu machen, Ausrüstung zu besorgen und viele Wochen über das Jahr verteilt freizuhalten, um wieder an die Stelle hoch im Norden zu fahren, wo der Eishai das Wasser kreuzt. Warum man so einen alten Gesellen fangen will – die Tiere können, neuesten Untersuchungen zufolge sogar 400 Jahre alt werden – bleibt seltsam ungreifbar, zumindest für mich – Angeln gehört bei mir eher in die Rätselecke. Aber gut. Es gilt einen seltenen Fisch zu fangen und anbei so einiges über die Meere zu hören, da bin ich dabei, ohne mich um szenische Details allzu viel zu kümmern. Angekündigt wird „Das Buch vom Meer“, der Erstlingsroman des norwegischen Wissenschaftsjournalisten Morten A. Strøksnes als Sehnsuchtsepos, Abenteuergeschichte und Sachbuch von herausragender literarischen Qualität. Es ist schön in einen Leinenumschlag verpackt und hat ein handliches Format auch für Menschen wie mich, mit eher kleinen Flossen (und ja! auch das lernen wir: Der Mensch kommt aus dem Wasser – kann aber froh sein, dass er nicht wieder zurück muss – Wer will schon einem Hai begegnen?) Große Töne, ein gut gemachtes Objekt, aber leider kein guter Text. Die Rahmenhandlung – zwei Männer in einem Boot – ist zu dünn, der Parcours durch alle möglichen Wissensgebiete rund um das Meer und um die Landschaft oben in Norwegen zu geschäftsmäßig abgespult, als dass irgendein Rhythmus entstünde, geschweige denn eine Verbindung zwischen beiden Textsträngen. Natürlich gibt es auf dem Wasser brenzlige Situationen, die eine gewisse Spannung erzeugen – von der eigentlichen Frage einmal abgesehen, ob die Freunde überhaupt einen Hai erwischen. Strøksnes versteht es durchaus, die Landschaft unter dem wechselnden Wetter zu beschreiben, er macht mir zumindest den Mund wässrig mit dem einen oder anderen Fischgericht, das abends zubereitet wird und wartet sogar mit einem veritablen Alptraum auf. Aber es fügt sich keine der geschilderten Ereignisse zu einer Erzählung. Fast noch schwieriger zu lesen, weil in zu großem Tempo und in einer oft wie willkürlich aneinander gereihten Folge kommen die Sachinformationen daher. Das Meer ist groß und fremd. Es leben unendlich viel mehr Wesen dort, als auf den Kontinenten, kaum etwas davon ist bekannt. Wir tappen regelrecht im Dunkeln, obwohl es im 19. Jahrhundert langsam losging mit der Meeresforschung. Es folgt ein kurzes Referat über die Challenger-Expedition. Danach hat ein Hochlandrind seinen Auftritt, wir hören die Familiengeschichte des Freundes, mit dem Strøksnes sein Angelabenteuer bestreitet, und damit auch etwas über die Fischerei im Norden Norwegens, um dann wieder in die weitgehend unbekannten Tiefen der Meere zu tauchen. Die Landschaften dort werden beschrieben, die Dunkelheit der Tiefsee und die verschiedenen Ausformungen biolumineszierender Lichter. Und endlich der Eishai. Gleich dreimal wird uns erklärt, dass er nicht sehen kann, weil seine Augen von Parasiten zerfressen sind. Ganz schön eklig, geradezu unsympathisch diese ersten Auftritte, der dann ganz kippt, als sich Strøksnes in den Hai zu versetzen sucht. Darth Vader ist nix dagegen, der Weiße Hai schon gar nicht. Wenn es das Böse im Meer gibt, dann ist es der Eishai: „Die dunkle kalte Tiefe ist seine Welt, dort unten gleitet er dahin, langsam und lautlos wie eine Maschine aus Fleisch, mit Giftstoffen im Speck, im Blut und in der Leber, mit fast blinden Augen, aus denen Parasiten hängen, lange Larven, die den Augapfel durchbohren. Sein einziges Bestreben ist die Aufrechterhaltung und Weiterführung seiner Existenz, er empfindet wohl kaum Gefühle wie Freude und Trauer, und auch kaum Schmerz. (…) Und jede Paarung ist eine brutale Vergewaltigung.“ Nicht, dass ich große Sympathien für Haie hege. Aber das geht mir zu weit. Immerhin gibt der Autor zu, dass die meisten Menschen an Wespenstichen sterben (ich würde eher auf Mücken tippen, bin aber zugegebenermaßen nicht vom Fach). Die Faszination für ein Lebewesen, das gleich mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel haben kann, kommt mir doch sehr zu kurz. Vielleicht wäre es auch interessanter, über den unendlich weiträumigen Lebensraum dieser Tiere nachzusinnen oder eben über die Frage, wie sich Zeit in so einem Organismus niederschlägt oder wie sie wahrgenommen wird – und vielleicht mögen Fische ja auch harten Sex? Ja, aber es geht munter weiter: Wale werden uns vorgestellt, mit allem was sie können oder auch nicht, die Umweltverschmutzung kommt zur Sprache, der Plastikmüll, die akustische Verpestung der Meere und der Klimawandel, der die Tiere zum Wandern in andere Regionen zwingt, nicht zuletzt die Überfischung der Ozeane. Ein Tintenfisch wird uns wie eine moderne Mehrzweckwaffe geschildert, dann geht es zur griechischen Mythologie, zu den Tiefseevulkanen und den ersten Meereskarten. Ach, halt! Möchte ich rufen und den Autor bitten, sein Wissen noch einmal anders aufzufädeln. Denn ist es nicht so, dass im Meer wirklich alles mit allem zusammenhängt? Könnte man aus den einzelnen Geschichten und den beiden Textsträngen nicht doch eine Art Netz weben, das alles und jedes, was da vorkommt wirklich zusammenhält? Einmal noch wird die Rahmenhandlung am Ende interessant, da, wo die beiden Männer sich merklich auf die Nerven gehen und Streit in der Luft liegt. Hier passiert denn auch endlich mal was, aber nur kurz, dann geht es noch mal aufs Meer und dann ist Schluss. Tolles Thema, tolle Idee, nur eben die Ausführung liest sich wie eine erste Anordnung, nicht wie ein fertiges Buch. Es gab viele Passagen, die mir gefallen haben, manches habe ich dazu gelernt, wobei ich doch erstaunlich vieles fand, was ich schon wusste. Beim Lesen fühlte ich mich zu oft als Passagier auf einem Touristenschiff, wo der Kapitän die ewig gleichen Fakten an den ewig gleichen Stellen vorträgt, statt in einer Geschichte. Der Einfall, Fakten in eine Story zu packen ist natürlich nicht neu – vor allem im Kinderbuchsektor hat er Erfolg. Das meine ich nicht abwertend. Denn was Kinder mögen, kann für Erwachsene nicht falsch sein. Insofern bin ich schon gespannt auf das nächste Buch von Morten A. Strøksnes. Für das Rezensionsexemplar ein herzlicher Dank an Random House. Morten A. Strøksnes: Das Buch vom Meer – oder wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen. DVA 2016.

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