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Rezension zu
Das Zeitalter des Nichts

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Kenntnisreich und sehr informativ

Von: Michael Lehmann-Pape
10.11.2016

Es ist nur eine „kleine“ Feststellung, ein Teil des Denkens Nitzsches (bevor er „ver-rückt“ wurde), ein Satz, den Watson in den Mittelpunkt seines neuen Werkes stellt. „Gott ist tot“ („-und wir Menschen haben ihn getötet“). Ein Satz mit einer fulminanten Wirkungsgeschichte im Rahmen des atheistischen Denkens, der bis heute nicht nur nachwirkt, sondern immer noch „massiv wirkt“. Ein Gedanke, der nicht „aus dem Nichts“ formuliert wurde und daher von Watson auch in seinen historischen Zusammenhängen gezeigt wird. Ein Satz der viele weitere Denker aufrüttelte und so eine breite Wirkungsgeschichte nach sich zog, die Watson in seiner bekannt flüssigen Sprache gründlich abschreitet. Und eine Haltung hinter diesem Satz, die als „Sieg“ oder „Gewinn“ des „gesunden Menschenverstandes“ verstanden werden kann und daher, logisch und folgerichtig, eigentlich die „Säkularisierung der Welt“ als „siegreiche Kraft“ gegen die „Religionen“ hätte führen müssen. Eigentlich. Doch, und auch das bewegt Watson und auch das gehört in diese Betrachtung des damals postulierten „Zeitalter des Nichts“, der Befund der Gegenwart lautet anders. Religiosität in vielfachen Formen (und beileibe nicht unbedingt im Rahmen der verfassten, christlichen Kirchen) nimmt eher zu denn ab. Wobei nicht nur der Islam im Blick der Gegenwart steht, sondern auch die intensive Ausbreitung evangelikal-fundamentalistischer Glaubensrichtungen (auf die Watson explizit hinweist) oder eine Vielzahl individuell ausgerichteter „Spiritualitäten“, vom Schamanismus bis zum Engelsglauben. Das ist nicht das Hauptthema Watsons, aber der Wert des Buches liegt mit darin, dass er rechts und links neben den Weg schaut, dass er die Wirkgeschichte dieses „Gott ist tot“ Satzes im Gesamten aufnimmt und reflektiert, nicht nur in der Weiterführung atheistischer Denkhaltungen, sondern auch in den religiösen Veränderungen und dem, scheinbar, unabdingbaren Bedürfnis des Menschen nach einem höheren Sinn und einer höheren Macht, die stärker ist als die Einsichten der reinen Vernunft. Immer noch aber gilt, dass „rund hundertdreißig Jahre nach Nietzsches Ausruf… noch immer viele (aber bei Weitem nicht alle) Menschen andere Mittel und Wege als die traditionell religiösen zu finden versuchen, um sich unsere Welt zu erklären“. Dieser Prozess, diese Dynamik des „Ringens um Welterklärung“ außerhalb transzendenter oder dogmatischer “Glaubensantworten“ ist Thema des Buches und wird von Watson mit großer Liebe zum Detail, zu den einzelnen Gedankengebäuden, Erweiterungen, Veränderungen jenes „Gott ist tot“ dem Leser differenziert vor Augen geführt. Und geprüft, ob es denn so sein könnte, dass „das gute Leben ist das Leben, das auf der Suche nach dem guten Leben gelebt wird“. Oder ob dies alles Makulatur ist und nur „Sturheit“ des Menschen, weil er ein „bedeutungsloses Leben“ einfach nicht erträgt (C.G.Jung). Dennoch, wie kann es sein, dass in der Neuzeit eine „Fatwa“ gegen Salman Rushdie ausgesprochen wird, rein religiös motiviert und begründet, die zu einem jahrzehntelangen Leben im „Untergrund“ für einen Autor führt? Oder dass immer noch ohne klares Ergebnis argumentativ gerungen wird, in der aktuellen Debatte zwischen Dawkins und Harris (was Watson natürlich ebenfalls im Buch aufgenommen hat)? Der einfachen Behauptung so mancher, „Gott ist zurück“ jedenfalls begegnet Watson kühl und verweist eine wesentliche größere Komplexität des gesamten Themas. Mit all den Bedürfnissen nach Sicherheit und Schutz, nach Sinn und Ewigkeit, die dem Religiösen zu Grunde liegen und den vielfachen Gedankengebäuden, die eine ebensolche transzendente Kraft durchaus mit Gewicht in Frage stellen. Wie aber könnte, sollte, würde „eine Welt ohne Gott“ konkret aussehen und welche Rückbezüge auf die Sinnfrage ergeben sich daraus? Teils assoziativ, teils thematisch verhaftet, teils konkreten Geistesgrößen eng folgend legt Watson eine „Wirkgeschichte des Atheismus“ vor, die den Leser fordert, die in abstrakte Höhen führt, aber eben auch ganz handfeste Argumente noch einmal vor Augen legt. Eine hohe Herausforderung auch für Watson selbst, der am Ende zu Recht konstatiert: „Es war eine ereignisreiche Reise, aber wir können nicht behaupten, das Thema erschöpfend behandelt zu haben“. Was in Ordnung geht, denn die Fragen nach „Gott oder nicht“, ist gleichfalls die Frage nach dem „Sinn des Lebens“, die vielleicht im Kleinen individuell (vordergründig) beantwortet werden kann, aber im Gesamten wohl, allgemeinverbindlich gesehen, unlösbar bleiben wird. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.

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