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Rezension zu
Alles, was ich nicht erinnere

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Alles, was ich nicht erinnere

Von: Miss.mesmerized
22.03.2017

Wer war Samuel? Ein guter Freund und Mitbewohner von Vandad. Ein liebender Enkel, der sich um seine zunehmend demente Oma kümmerte. Ein Menschenfreund, der Flüchtlingen zu helfen versuchte. Ein Freund der exzentrischen Pantherin. Der Liebhaber von Laide. Aber wer kannte ihn wirklich? Jede Begegnung zeigt ein anderes Gesicht, geradezu eine andere Person. Jetzt ist er tot und die Rekonstruktion seines Charakters erfolgt über das Gespräch mit den Menschen, die ihn kannten und von ihren Begegnungen erzählen. Jonas Hassen Khemiri hat einen Roman geschrieben, der sich Kaleidoskop-artig um seinen Protagonisten dreht und versucht, diesen einzufangen. Die Geschichte könnte sich überall in Europa zugetragen haben, dass Stockholm der Handlungsort ist, ist fast nebensächlich, denn die beschriebene Generation ist nicht mehr verwurzelt in ihrem Land. Die Jugendlichen haben Eltern aus verschiedenen Ländern, wohn(t)en selbst in unterschiedlichen Städten und Staaten und sind es gewohnt auf andere mit disruptiven Lebensläufen und mehreren Muttersprachen oder Kulturen zu treffen. Die fehlende Kontinuität und Zugehörigkeit schlägt sich insbesondere in Samuel nieder, dessen Familiengeschichte vage bleibt: ein abwesender Vater, eine Mutter, die ihren Schmerz nicht öffentlich machen will, eine Schwester, die gänzlich außerhalb der Geschichte zu existieren scheint. Dies unklare Selbstbild schickt ihn auf die Suche nach der Wahrheit im Leben und so wie er versucht, die Welt zu begreifen, so spiegelt er sich in anderen Menschen. Gleichzeitig kann er nicht erinnern, was er erlebt hat, als wäre er gar nicht am leben – auch schon als er noch gelebt hat. Daneben beschreibt Khemiri eine schwierige Liebesbeziehung, die wilden Schmetterlinge im Bauch und schleichend die Einsicht, dass ein Mindestmaß an gemeinsamen Idealen und Werten, aber auch Lebensentwürfen für eine gemeinsame Zukunft erforderlich sind. Freundschaften hingegen können mehr aushalten, Samuel und Vandad sind füreinander da, wenn es darauf ankommt, unterstützen sich, ohne Bedingungen an den jeweils anderen zu stellen. Und dann sind da noch die Flüchtlinge, die hilfsbedürftig erscheinen, aber dann die ihnen gebotene Hilfe immer weiter ausreizen, bis ein Unglück geschieht, das die Nachbarn ebenfalls nachhaltige Meinungen bilden lässt. Ein ungewöhnlicher Roman, der durch die schnellen Perspektivenwechsel nicht nur ungemein lebendig wirkt, sondern auch ein wenig exaktes und doch zugleich umfangreiches Bild liefert. Der Journalist, der offenbar all die Informationen zusammenträgt, bleibt im Hintergrund und lässt die Figuren sich erinnern. Sie leisten das, was Samuel nicht Imstande war zu leisten. Sie verarbeiten so auch die Trauer und Selbstvorwürfe, die nicht ausbleiben können. Was bleibt beim Leser ist ein Bild eines verzweifelten jungen Mannes, der nur sich und das Leben fassen und verstehen wollte und damit doch letztlich alleingelassen wurde. Sinnbildlich für eine Generation auf der Suche nach sich und der eigenen Identität.

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