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Rezension zu
Die Geschichte der Bienen

Unbedingt lesenswerte Geschichte über Menschen verpackt in einer Geschichte der Bienen

Von: Koreander.net
08.04.2017

Der Beginn einer bitteren Dystopie: die meisten Insekten sind ausgestorben inklusive der so wichtigen Bienen. Als Folge herrschen Hungersnöte, die Menschheit ist stark dezimiert und Weltwirtschaft und Zivilisation sind weitgehend zusammengebrochen. Im China des Jahres 2098 übernehmen deshalb Menschen die Aufgabe der Bestäubung von Nutzpflanzen. Heerscharen von Menschen, die für einen Hungerlohn arbeiten. Um das Überleben des Kollektivs zu sichern, muss sich der Einzelne in China bereits mit 8 Jahren auf den Plantagen verdingen. Schulbildung ist so gut wie überflüssig geworden. Die Maslowsche Bedürfnispyramide weist darauf hin: erst wenn die existenziellen Bedürfnisse wie Hunger, Durst und Schlaf befriedigt sind, rücken auch kulturelle Bedürfnisse wie Bildung in den Fokus. Oder sprichwörtlicher ausgedrückt: ein leerer Magen studiert nicht gern. Die Geschichte der Bienen greift das apokalyptische Szenario auf, dass seit Jahrzehnten mit einem vermeintlichen Zitat Albert Einsteins garniert wird: „Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben“. Maja Lunde hat ihren Debütroman für Erwachsene rund um die Dokumentarfilme More than Honey und Vanishing of the Bees gestrickt. Natürlich steckt in dem Roman weitaus mehr Recherche, aber die aufgegriffenen Bilder, Szenen und Themen finden sich in den Dokumentationen wieder. Es handelt sich allerdings nicht um eine schlichte Dystopie, vielmehr hat Lunde zentrale Zeitpunkte der Geschichte der Bienen bzw. der Geschichte der Bienenhaltung aufgegriffen und in einer epochenübergreifenden Erzählung verdichtet. Im England des Jahres 1852 begleiten wir den Biologen und depressiven Vater von acht Kindern William bei seinem mühevollen und leidenschaftlichen wie Leiden schaffenden Kampf um Anerkennung. Es ist die Zeit der Aufklärung, der Naturwissenschaft, der Industrialisierung – die Zeit großer Entdeckungen und Erfindungen. William ist auf dem Weg die Bienenzucht zu revolutionieren. Im 21. Jahrhundert bekommt das Massensterben der Bienenvölker einen Namen: Colony Collapse Disorder auf Deutsch kurz mit Bienensterben bezeichnet. George ist Imker in Ohio und wir befinden uns in der Hoch-Zeit des ersten modernen Bienensterbens 2007. George wehrt sich gegen eine zunehmende Technisierung, Modernisierung und Industrialisierung der Bienenzucht. Zum Bienensterben kommt es immer wieder, aber seiner Einschätzung nach, liegt es an der Art der Bienenhaltung. Seine ökologische Bienenkultivierung, sein fairer und verantwortlicher Umgang mit Tier und Natur verhindert zwar, dass er den großen Züchtern und Farmern Konkurrenz machen kann, schützt ihn aber zugleich vorm Massensterben. So die Idee. Die drei Erzählstränge, mit drei unterschiedlichen Ich-Erzählern, im 19. sowie beginnenden und ausgehenden 21. Jahrhundert werden durch das Schicksal der Bienen und damit das Schicksal der Menschheit verbunden. Dabei ist die Geschichte der Bienen kein ökologischer Roman oder gar eine Moralpredigt. Vielmehr wird das auf die Apokalypse zulaufende Szenario dazu verwendet Charakterstudien der Protagonisten zu zeichnen. Der Naturforscher, der in seinem Ringen um Anerkennung, die Anerkennung seiner Kinder und Frau vermissen lässt. Der Imker, der es seinem Vater nicht recht machen konnte und deswegen alles dafür tut, es seinem Sohn recht zu machen, was dazu führt, dass sein Sohn es ihm wiederum nie recht machen kann. Und schließlich die Mutter, die in ihrem Streben ihrem Kind eine bessere Zukunft zu bereiten, alles unterordnet – auch ihr Kind. Maja Lunde hat nicht nur eine Geschichte über Bienen geschrieben. Sie hat eine Geschichte über Erwartungen und Erwartungs-Erwartungen geschrieben. Was erwarten Eltern von ihren Kindern? Sind diese Erwartungen realistisch? Überfordernd? Ausgrenzend? Ausbremsend? Was erwarten Kinder von ihren Eltern? Was erwarten Väter was ihre Söhne erwarten und umgekehrt? Es ist die Kommunikation der Gefühle, die im Mittelpunkt des Romans steht. Vor allem die mangelnde Kommunikation. Viel wird gedacht, wenig wird gesagt. Viel wird erwartet, hoch sind die Enttäuschungen. Die Unfähigkeit vernünftig miteinander reden zu können, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, führt langfristig in die Katastrophe, sowohl individuell, familiär als auch entlang der Geschichte der Bienen skizziert, menschheitlich. Die Geschichte der Bienen ist die Geschichte der Menschen. So wie die Bienen ausgebeutet werden, so beuten sich die Menschen gegenseitig aus und sei es nur, indem Eltern emotionalen Vorteil aus ihren Kindern ziehen wollen. Maja Lunde hat ein wunderschönes Oeuvre vorgelegt. Ein Pageturner, weil man von Anfang an wissen möchte, was die drei Handlungsstränge miteinander zu tun haben. Eine genaue Beobachtung und Beschreibung menschlicher Beziehungen, die teils dermaßen realistisch und präzise sind, dass man geneigt ist, die Szenen lieber abzuwehren als sie wirken zu lassen. Eine wissens- und lesenswerte Rahmenhandlung über die Bedeutung der Bienen, auch wenn diese sicherlich dramaturgisch überhöht ist. Und schließlich eine Erzählung mit einigen Turns, die allerdings nicht immer überraschend daherkommen, was den Gesamteindruck aber nicht zu schmälern vermag. Ein äußerst gelungener Roman. Absolute Leseempfehlung!

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