Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Die Weiße Rose

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Gute Einführung mit Mängeln

Von: Koreander.net
23.04.2017

Keine Widerstandsgruppe gegen die NS-Diktatur ist bekannter als die Weiße Rose. Und wem diese nichts sagen sollte, der kennt zumindest noch die „Geschwister Scholl“. Miriam Gebhardt hat sich der Widerstandskämpfer angenommen, in einer Zeit in der Zivilcourage scheinbar immer wichtiger wird. „Das Hauptproblem ist und bleibt vielmehr die schon eingangs aufgeworfene Frage, wie jemand (plötzlich?) zum Widerstandskämpfer wurde.“ Gebhardt begnügt sich also nicht damit, die Geschichte der Widerstandsgruppe um Hans Scholl und Alexander Schmorell zu erzählen, sie will vielmehr der „Psychologie des Widerstands“ nachspüren. Deshalb auch der plakative und an die Täterforschung erinnernde Titel: „Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden.“ Das Problem solcher Ankündigungen ist freilich, dass sie in der Regel nicht eingehalten werden können. Einerseits ist die menschliche Psyche zu komplex und zum anderen ist die Quellenlage für Deutungen meist recht spärlich, zumal wenn es sich um konspirativ agierende Widerstandsgruppen handelte. Und das ist auch das Grundproblem des Buches. Miriam Gebhardt ist Journalistin und Historikerin und so liest sich auch „Die Weiße Rose“, unentschieden ob es ein geschichtswissenschaftliches Werk oder ein journalistisches Sachbuch sein möchte. Inhaltlich ist es deutlich letzteres, vom eigenen Anspruch her, soll es wohl auch ersteres sein. So finden sich Sprachbilder, die eher in eine Reportage gehören, denn in ein Sachbuch: „Schon als junges Mädchen war Inge Scholl wie eine Sonnenblume auf ihre Familie und ihre Geschwister ausgerichtet.“ Wirklich schön geschrieben, wenn es ein Roman wäre. So gut und richtig Vieles auch sein mag, für ein Sachbuch zur Geschichte ist es viel zu spekulativ. Immer wieder finden sich folgende Formulierungen: „vielleicht“, „möglicherweise“, „vermutlich“, „könnte sein“, „denkbar wäre“, „oft ist es so“, „nicht selten ist es so“, „nach meinem Dafürhalten“. Bei „die Wahrheit wird wohl in der Mitte liegen“, schlägt allerdings mein Phrase-O-Meter aus. Selbstverständlich ist Geschichte immer eine Frage der Perspektive und Interpretation. Aber bei einem Sachbuch muss die Darstellung der Ereignisse im Vordergrund stehen. Erst dann kann anschließend meinetwegen spekuliert und interpretiert werden. Hier geht alles Hand in Hand, um nicht zu sagen drunter und drüber. Der Konjunktiv ist der Spekulation bester Freund. Letztlich ist es eher eine leicht zu lesende Einführung in die Thematik um die Widerstandsgruppe des Scholl-Schmorell-Kreises. Und hier liegen dann auch die Stärken des Buches. Im ersten Abschnitt werden die zentralen Personen der „Weißen Rose“ vorgestellt: Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und Kurt Huber. Gebhardt zeichnet im journalistischen Feature-Stil Charakterstudien der Protagonisten. Dabei verbleibt sie leider nicht immer im deskriptiven, sondern wechselt auch hier immer wieder ins Spekulative. So wird die These zurückgewiesen Kurt Huber sei ein „Hobbymilitärstratege“ gewesen, mit der kaum einleuchten Begründung: „Viele deutsche Männer mauserten sich in der ersten Kriegsbegeisterung zu Westentaschengenerälen.“ Als würde das eine, das andere ausschließen. Gerade die Rolle Hubers scheint Gebhardt herunterspielen zu wollen. Verständlich, war doch Huber das Gegenteil des bürgerlichen Narratives des christlich-humanistisch, bildungsbürgerlichen Widerstandes. Huber war Nationalist dem der NS-Faschismus zu weit nach „links“ gerückt war. Eine wenig rühmliche Eigenschaft einer Person im Widerstand der Weißen Rose. Warum Gebhardt der Meinung ist der völkische Rassismus eines Kurt Hubers sei anders als der völkische Rassismus der Nationalsozialisten, bleibt ihr Geheimnis. Wie leider so vieles, dass ohne Quellenangabe einfach behauptet wird. Gebhardt führt Huber aber, das muss auch gesagt werden, als Kontrapunkt der Gruppe ein. Nichts desto trotz ist der erste Teil des Buches gelungen und die persönlichen Geschichten werden nachvollziehbar. Vor allem und das scheint mir auch besonders wichtig, nimmt Gebhardt eine wichtige Einordnung vor, nämlich die Bestimmung der Rolle der Personen in der Widerstandsgruppe. So wird Sophie Scholls Rolle im öffentlichen Narrativ häufig überhöht, während andere Personen an den Rand gedrängt werden oder teils gar nicht bekannt sind. Warum Gebhardt allerdings so sehr darauf insistiert, dass die Religion eine weitaus weniger große Rolle gespielt hat, als häufig angenommen wird, wird durch ihre Arbeit nicht hinreichend erkennbar. Ihre Ausführungen scheinen im Gegenteil eher darauf zu verweisen, dass der Glaube der Beteiligten sehr wohl eine entscheidende Rolle einnahm. Miriam Gebhardt verweist auf eine zentrale Schwierigkeit mit historischen Ereignissen: „Zeitabhängige Deutungsvorlieben betonten immer wieder unterschiedliche Motivlagen.“ Warum sie diese Erkenntnis nicht etwas weitreichender auf die eigene Interpretation angewendet hat, bleibt rätselhaft. Der zweite große Abschnitt beschäftigt sich mit den Motiven und Aktionen sowie den Entwicklungen des Münchner Kreises hin zu einem größeren Netzwerk, alles in Zeiten des Krieges und der Überwachung durch den totalitären NS-Staat. Auch hier ist der beschreibende Teil wieder sehr gelungen und man wünschte sich es wäre dabeigeblieben. Dann kommen aber Schlussfolgerungen und Begründungen, die vollkommen unnachvollziehbar sind. So seien die Argumente der Weißen Rose zwar christlich und philosophisch fundiert gewesen, was aber nicht bedeuten dürfe, dass die Motive christlich oder philosophisch motiviert gewesen seien. Aha. Man könnte es auch anders ausdrücken: wir haben zwar Dokumente vorliegen, die deutlich auf eine christliche Motivlage hindeuten, dem ist aber gar nicht so weil… Ja, und das weil fehlt dann. Erschreckend wird es auf Seite 226. In einem der Flugblätter der „Weißen Rose“ gibt es den Satz: „Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden wiederfahren ist?“ Gebhardt möchte hier keine Relativierung der Judenvernichtung erkennen, sondern vielmehr eine „nicht besonders glücklich[e]“ Formulierung. Waren es bisher die wohlgebildeten Studenten und ein Professor, die die Flugblätter geschrieben haben, unterläuft ihnen plötzlich eine unglückliche Formulierung. Damit nicht genug schreibt sich Gebhardt an dieser Stelle um Kopf und Kragen, vielmehr gehe es um „allgemein kursierende, christliche Metaphern […]: Wenn ihr diesen Krieg verliert, ohne euch vorher von der verbrecherischen Regierung distanziert zu haben, dann geht es euch wie den Juden, sprich, ihr fallt der Strafe Gottes anheim, verliert den Nationalstaat und werdet ‚zerstreut unter allen Völkern‘“. Heißt das, dass der Holocaust die Strafe Gottes ist, weil sich das „jüdische Volk“ nicht von seiner verbrecherischen Regierung getrennt hat? Diese Interpretation wäre ja noch schlimmer als die ursprüngliche, die Gebhardt abwenden wollte. Zumal ihr offensichtlich nicht auffällt, dass bereits die Trennung von Deutschen und Juden, dass nationalsozialistisch-rassistische Narrativ ist, denn selbstverständlich waren viele Juden ebenfalls Deutsche. Hier hat Gebhardt die Chance vertan, kritisch mit den Einstellungen der „Weißen Rose“ umzugehen, anstatt den Versuch zu unternehmen, sie reinzuwaschen von jeglichem Antisemitismus. Den Abschluss bilden die Verfolgung und die Verhöre, die Prozesse sowie die Hinrichtung. Gebhardt gelingt es trotz der angesprochenen Mängel eine sensible, empathische Geschichte der „Weißen Rose“ zu erzählen. Wer noch gar nichts oder wenig über den „studentischen“ Widerstand weiß, ist mit diesem Buch sicherlich gut beraten, wer eine wissenschaftliche Aufarbeitung sucht, wird hier enttäuscht werden. Weniger Spekulation und Interpretation, dafür mehr Dokumentenanalyse hätten hier sicherlich gutgetan. Vielleicht hätte das aber auch den leicht zugänglichen Duktus des Journalismus gestört. Man kann Gebhardt sicher in vielen Punkten zustimmen und das Buch als Einleitung in die Thematik empfehlen. Für eine allgemeine Empfehlung weist es aber viel zu viele Mängel auf. Wer also überhaupt erst einmal etwas über die „Weiße Rose“ erfahren möchte, z.B. dass die Gruppe gar nicht Weiße Rose hieß, kann meiner Empfehlung sicherlich noch einen Punkt draufschlagen.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.