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Rezension zu
Der erste Stein

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Subjektiv, klug, präzise den Finger auf die Wunde legend

Von: Michael Lehmann-Pape
24.07.2017

„Gott segne den Papst und die Kirche, aber halte sie fern von uns“. Krzysztof Charamsa war Priester und ist und war schwul. Mit einer Zeit vor seinem offiziellen Outing und dem, was er durch dieses Outing als langjähriges Mitglied der Glaubenskongregation im Vatikan erlebte und an Reaktionen beobachten konnte. Natürlich ist er nun kein Priester mehr (getreu der katholischen „offiziellen“ Sexuallehre und der Vorbedingungen für den geweihten Stand des Priesters) und ebenso natürlich ist es, dass Charamsa intensiv und aus dem innersten Bereich seiner Kirche und seines Werdegangs in dieser zu erzählen vermag. Jener Kirche, die lange Jahrzehnte hindurch zwar den sexuellen Missbrauch an Kindern „intern“ nur bearbeitete, jener Kirche, vertraut man nicht nur auf Charasma sondern auf eine ganze Reihe „weltlicher“ Betrachtungen zudem, in der Homosexualität zumindest als Neigung weiterverbreitet ist als in der Gesellschaft allgemein. (Wenn Charasma vom „schwulsten“ Pontifikat der Neuzeit unter Benedikt (Ratzinger) spricht, mit Spitzen und Verzierungen an den prächtigen Gewändern, samt dem „internen“ Scherz unter manchen vatikanischen Geistlichen, das man demnächst wohl auch Spitzenunterwäsche tragen sollte, dann spürt man hohe Emotionen bei ihm. Verletzung, Wut, aber auch gerechtfertigten Ärger über die Bigotterie im Klerus, die Charasma Seite um Seite vorhält. Denn in ebendiesem Pontifikat sieht Charamsa eine „neue Welle katholischen Schwulenhasses“. Unbestritten dabei ist die Aufnahme Benedikts 2007 in die „Hall of Shame“ von Human Rights Watch). Und obwohl, wie Charasma glaubhaft erläutert, nicht wenige Kleriker diese ihre „Neigung“ auch real ausleben, konstatiert erschreckend diese ausgeprägte und heftige Homophobie, die sich fast gierig auf „Sensatiönchen“ und übler Nachrede innerhalb des Klerus stürzt. Was besonders da auch dem unbefangenen, heterosexuellen Leser massiv aufstößt, wenn Charasma von der internen Unterstützung, teils gar Begeisterung über manche „Mullahs“ spricht und manche Länder (wie Russland), in denen Homosexualität auch heute noch oder wieder neu unter Strafe gestellt wird und Homosexuelle allein aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung unter Lebensgefahr stehen. Allein für dieses Thema lohnt die Lektüre des Werkes ungemein. Vollends zum Gewinn aber wird die Lektüre, wenn für den Leser zwischen den Zeilen und in Ableitung vieler zunächst typisch homosexueller „Probleme“ in der Kirche auf die allgemeine Haltung dieser Kirche rückgeschlossen werden kann. Was die Fixierung auf „Sex“ angeht und die ständigen rückwärtsgewandten Versuche, den eigenen Einfluss auf das „intime Leben“ des Kirchenvolkes zu bewahren (ohne selbst die geringste Ahnung von einem solch alltäglichen Leben zu haben), das ist nicht neu, wird von Charamsa aber luzide Seite um Seite mit vielfachen Beispielen erhärtet. So wundert es nicht, dass er nach seiner energischen Ausrichtung auf eine innerkirchliche Karriere und nach diesen 12 Jahren in der Glaubenskongregation am Ende Eugen Drewermann in dessen Analyse des „Klerus“ uneingeschränkt Recht gibt. „In dieser Kirche, die verschlossen und bar jeden Mitleids ist“. Was Gründe hat im System, die Charasma einzeln und breit aufzählt. Eine Kirche, die ihr „menschliches Regelwerk“ von Beginn an, in seinen Augen zumindest, über die befreiende und zur allgemeinen Solidarität aufrufende Botschaft des Evangeliums gestellt hat. Vom Sakrament der „Beichte“, das Charasma, vor allem aus dem ihm bekannten praktischen Vollzug her, nurmehr einordnen kann in angsterzeugende und vor allem sexuell peinliche Befragungen des „Kirchenvolkes“ einerseits und der „schnellen Absolution“ mancher fehltretender Priester und Kirchenoberen anderseits, bis hin zu jener „internen“ streng urteilenden Haltung den „Mitbrüdern“ und dem „Kirchenvolk“ gegenüber, die grundlegend dort verbreitet scheint, folgt man Charamsa in seinen Ausführungen. Gnade, Liebe und Verständnis zumindest sind für Charamsa reine Fremdworte, was die katholische Kirche „als System“ (mit durchaus Ausnahmen bei einzelnen Priestern im Übrigen) angeht. „Den Gutteil meines Lebens habe ich inmitten von Pharisäern verbracht. Ich war von Leuten umgeben, die personifizierte Lügen waren“. Wobei erschwerend von Charamsa noch angeführt wird, dass die sogenannte „hohe intellektuelle Wissenschaftlichkeit“ der katholischen Theologen und der Dogmatiken des Vatikans eher von Betriebsblindheit und „was nicht sein darf, das kann auch nicht sein“ (mithin also von wissenschaftlicher „Dummheit“) geprägt wird, denn von jener fachlichen Objektivität, welche die „weltliche“ Forschung als Voraussetzung für gültige Argumente ansieht. Alles in allem eine, natürlich, überaus subjektive Darstellung. Aber eine, der man abspürt, das Charamsa die Dinge und Rigidität tatsächlich so für sich erlebt und bewertet hat. Wieweit man ihm folgt, wieweit man dieser persönlichen Geschichte objektive Geltung zuspricht, dass muss jeder Leser selber entscheiden. Aber auseinandersetzen sollte man sich schon mit dieser Lektüre.

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