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Rezension zu
Das geheime Leben des Monsieur Pick

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Die Macht der Manuskripte

Von: daslesendesatzzeichen
28.07.2017

Viele Verlage überlassen es ihren Volontären oder Praktikanten, sich der unangefordert eingesandten Manuskripte anzunehmen. Unfassbare Mengen an Texten flattern tagtäglich mit der Post herein und warten darauf, beachtet zu werden. Sie liegen da in ihrer Ecke, aufeinandergestapelt und scheinen stille, stumme Schreie auszusenden: Lies! Mich! Wie viel Liebe, Herzblut und Fleiß stecken in jedem einzelnen dieser Werke? Wie viel Mut gehört dazu, sein Innerstes nach außen zu kehren und das Ergebnis den gestrengen Blicken eines Verlagsmitarbeiters auszusetzen? Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr bricht es einem das Herz, denn – und das ist ja nun längst kein Geheimnis mehr – die Verlage behandeln diese Quelle der Literatur mehr als stiefmütterlich. Kaum ein Titel aus dem unangefordert eingesandten Manuskript-Stapel schafft es je auf den Schreibtisch eines Lektors – und wenn doch, dann nur, um einen von einem Seufzer begleiteten Post-it aufs Deckblatt geklebt zu bekommen, auf dem dann doch wieder nur steht: „Absagen!“. Welcher Verlag hat schon das Geld und die Lust, sich für einen kompletten Neuling in der Literaturszene stark zu machen. Um wie vieles einfacher ist es, einen Bestseller aus dem Ausland einzukaufen, ihn übersetzen zu lassen und dann mit den Worten bewerben zu können „Die Nummer 1 aus …“. Wer jemals selbst die Aufgabe hatte, sich durch den Wust an hoffnungsfrohen Anschreiben inklusive Exposé oder gleich ganzem Oeuvre durchackern zu müssen, der weiß: So manche Perle schlummert dort, doch die Chance, dass sie veröffentlicht wird, geht gegen Null. Umso wunderbarer, was sich da im tiefsten Finistère in Frankreich tut: Der Bibliothekar Jean-Pierre Gourvec gründet in einer kleinen Gemeinde namens Crozon eine Bibliothek der abgelehnten Manuskripte, nach dem Vorbild von Richard Brautigan. Nach Gourvecs Tod übernimmt seine einzige Angestellte, Magali Croze, die Aufgabe, sich darum zu kümmern. Doch der Alltag hat die fleißige Frau fest im Griff, und nach und nach gerät die merkwürdige Bibliothek in Vergessenheit. Bis die junge, aufstrebende Lektorin Delphine Despero mit ihrem Freund, einem eher erfolglosen Buchautor (dessen Erstling den vielversprechenden Namen „Die Badewanne“ trägt …), für die Sommerferien in den Ort kommt, um die Eltern zu besuchen. In einem Gespräch erfährt sie von all den abgelehnten Manuskripten, die in der Dorfbibliothek schlummern. Einen Nachmittag lang durchstöbert das Pärchen die skurrilen Texte, und dabei macht Delphine Despero die Entdeckung ihres Lebens! Es gelingt ihr, ihren Arbeitgeber von der literarischen Qualität des Manuskripts zu überzeugen, das Buch wird veröffentlicht und ein riesiger Erfolg. Der Autor des Werkes ist der längst verstorbene Pizzabäcker des Örtchens, Henri Pick, – und das wirft Fragen auf. Nicht mal seine Frau kann sich so richtig vorstellen, wann und wie ihr Göttergatte dieses Wunderwerk vollbracht haben soll. Doch man glaubt ja gern, was einem gefällt, und so fügt sie sich in ihr Schicksal als „Autorenwitwe“. Doch nicht nur für sie ändert sich durch dieses Buch einiges – das Leben vieler Personen wird komplett umgekrempelt. Schnell stellt der Leser des Romans „Das geheime Leben des Monsieur Pick“ von David Foenkinos fest, dass es nicht so wichtig ist, wie überzeugend die literarische Qualität des in der Bibliothek der unveröffentlichten Manuskripte gefundenen Romans „Die letzten Stunden einer großen Liebe“ tatsächlich ist. Wichtig ist vielmehr, was diese Veröffentlichung bewirkt. Es scheint, als würde allein die Tatsache, dass ein braver Restaurantbesitzer ein solches Werk erschaffen konnte, und dass dieses Manuskript bis zu seiner märchenhaften Entdeckung im dunklen Keller der Dorfbücherei seinen Dornröschenschlaf schlummerte, ungeahnte Energien bei anderen Menschen freisetzen: ‚Wenn der das geschafft hat, schaffe ich auch Sachen, die mir keiner zutraut.‘ Bei den unterschiedlichsten Menschen bringt das Buch Dinge ins Rollen. "Dieses Buch konnte Leben verändern." Sei es die Tochter des Monsieur Pick, Joséphine, die durch die Entdeckung der literarischen Ader ihres Vaters plötzlich ein wenig seines posthumen Ruhmes abbekommt. Sie, die von ihrem Mann wegen einer anderen verlassen wurde, nachdem sie ihm die zwei Söhne großgezogen hatte. Sie, die sich seither, zugegebenermaßen, völlig hatte gehen lassen, die vom Leben nichts mehr erwartete. Plötzlich interessiert sich das Fernsehen für sie, sie wird interviewt und in Zeitungsartikeln erwähnt – und selbst ihr Dessousladen in Crozon läuft endlich wieder besser. Und dann will sogar ihr Ex wieder zurück zu ihr. Das alles ist wie ein verspätetes Geschenk ihres Vaters! Oder sei es Magali, die Bibliotheksleiterin, die über die Jahre immer dicker und ihr Mann, zeitgleich, immer dünner wird. Dazu ein schönes Beispiel für Foenkinos großes Talent, kleine Sachverhalte äußerst literarisch zu beschreiben: "[…] in dem Maße, wie sie immer dicker geworden war, war er immer dünner geworden, als hätte man ihnen ein gemeinsames Paargewicht verordnet, das sie nun untereinander aufteilen mussten […]" Die ältliche, biedere Magali hat die Sternstunde ihres Lebens, als ein junger Mann mit fettigem blonden Haar die Dorfbücherei betritt, um sein eigenes (erfolgloses) Manuskript dort abzugeben. Es knistert sofort zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Personen und – zack! – hat Magali die erste und einzige heiße Affäre ihre Lebens, die sie zum Glück aber nicht von ihrem Mann entfernt, sondern ihm wieder näherbringt. Eine alte Dame darf durch das Buch neue Hoffnung schöpfen, dass ihre einzige große Liebe tatsächlich auf Gegenseitigkeit beruht hat, auch wenn sie das leider erst versteht, als ihr Angebeteter bereits einige Jahre tot ist. Sie fühlt sich dennoch beflügelt und fast ein wenig glücklich. Viele Fäden, die zu Beginn des Romans lose gesponnen wurden, werden im weiteren Verlauf des Buches miteinander verknüpft, unerwartete Wendungen bringen den Lesefluss immer wieder in Bewegung, so dass nie Langeweile aufkommt. In feuilletonistischem Stil erzählt Foenkinos ein locker-leichtes Sommergeschichtchen mit anrührenden Momenten und pointierten Dialogen. Nichts für die Ewigkeit, keine nachhaltige Lektüre, aber eine, die einen beschwingt macht und ein wohliges Gefühl in der Herzgegend aufkommen lässt. Und noch etwas schafft Foenkinos scheinbar mühelos in seinen Romanen: Er erwähnt immer mal wieder am Rande reale Personen, gibt in ein paar Fußnoten kurze Informationen über sie, weckt so die Neugier und lässt einen bereichert zurück. Das macht er in seinem grandiosen Roman Charlotte ganz wunderbar (Damals war es Aby Warburg, auf den ich neugierig wurde.) und hier gelingt es ihm wieder (Wer genau war Vivian Maier? Ich möchte gerne mehr über sie wissen …). Eine großartige Sache, wenn ein Buch so nebenbei einen „Mehrwert“ entwickelt und eine Art Schneeballeffekt lostritt! Genau die richtige Lektüre für die anstehenden (oder, je nach Bundesland, bereits begonnenen) Sommerferien, in denen man zwischen Sandburgen bauen, Radeln und Spazierengehen auch noch ein nettes Buch unterbringen will.

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