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Rezension zu
Wir werden erwartet

Ulla Hahn hatte bei mir Vorschusslorbeeren ...

Von: buecherkatertee
07.10.2017

Ulla Hahn hat bei mir Vorschusslorbeeren. Der erste Roman ihrer Tetralogie hat mich sehr berührt. Wer kennt es nicht, dieses Gefühl des Verbundenseins, des Verstandenwerdens, wenn ein Roman Erfahrungen zum Ausdruck bringt, die man in ähnlicher Weise erlebt hat? So ging es mir mit „Das verborgene Wort“. Das Arbeiterkind Hilla Palm – die Autorin räumt starke biografische Züge ein – entdeckt den Zauber der Sprache und die Welt der Bücher. Und ist damit allein. Die liebevolle, aber pragmatische Familie ist mit ganz anderem beschäftigt, das Kind Hilla wirkt sonderlich. Und ist dennoch die erste in der Familie, die Abitur macht und zum Studium wegzieht. Hier finden sie sich, die Parallelen zu meiner eigenen Kindheit und Jugend, den Gefühlen der Einsamkeit und dennoch immer wieder das Beglückende in den Büchern, in der Literatur. Lehrer, die kleine Anstöße gaben und damit den Weg ebneten zu Lektüren, die man sonst nie in die Hand genommen hätte. Und schließlich der Aufbruch aus der Familie, als Befreiung erlebt. Ja, ich fand mich an vielen Stellen wieder in der Geschichte von Hilla Palm und ihrem Großwerden. Und dann hat Ulla Hahn eine teilweise fast lyrische Sprache, die mich anrührte. Auch der rheinische Slang, den die Autorin eins zu eins niederschreibt, war mir nicht so ganz fremd, ist doch das norddeutsche Plattdeutsch oft sehr ähnlich und wurde in meinem Geburtsort viel gesprochen. So war es quasi Pflichtlektüre, die Folgebände zu erwerben und zu lesen. Hier trennten sich zwar, biografisch betrachtet, die Parallelen, spannend war der Werdegang Hilla Palms alias Ulla Hahn dennoch. Mit „Wir werden erwartet“ legt die Autorin nun den abschließenden Band der Tetralogie vor. Hilla hat ihre große Liebe gefunden und ist verlobt. Das Paar lebt in Köln, beide arbeiten an ihren Dissertationen. Durch die Verlobung ist Hilla ihrer Familie wieder näher gekommen, während ihr Hugo sich ihretwegen von seiner großbürgerlichen Familie distanziert hat. Hilla scheint ihre innere Heimat gefunden zu haben. Das Paar diskutiert häufig und leidenschaftlich über die politischen Ereignisse, beobachtet, wie sich die Lebenswelten verändern, Werte neu ausgehandelt werden, reflektieren ihren Glauben und ihr Verhältnis zur Kirche. Sobald man die Nase aus den Büchern in die Wirklichkeit streckte, kam man an einer Stellungnahme kaum vorbei. Doch zu mehr als kopfschüttelnden Kommentaren morgens beim Frühstück oder einem Kölsch am Abend reichte Hugos und meine Empörung nicht. Und die Ohrfeige von Beate Klarsfeld für den Bundeskanzler Georg Kiesinger wegen dessen Nazi-Vergangenheit? Die brachte vor allem die Mutter und Tante Berta gegeneinander auf: Während die Tante der Meinung war,, dä Kääl hätt die Watsch verdient, beharrte die Mutter: Sowat jehört sisch nit. Und irgendwie hatten beide recht, versuchte ich zu schlichten. […] Längst konnten Hugo und ich unterscheiden, ob sich in den staatlich sanktionierten Qualm ein schwarzer Afghane oder grüner Türke mischten oder Nikotin pur. Sogar die Sinnesrichtung der Bewohner erkannte man am Geruch. Harter Tobak signalisierte: Gesellschaft verändern. Weiche Schwaden: Selbstbefreiung. In Horst und Katjas WG waberte beides durcheinander; erst nachdem wir, Hugo und ich, der Diskussion eine Weile zugehört hatten, schälten sich die Richtungen heraus. Glücklich sehen die beiden ihrer Zukunft entgegen. Dann kommt Hugo bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Hilla zerbricht fast daran, findet aber durch die Begleitung wichtiger Menschen ihrer Kindheit wieder zurück ins Leben. „Wir werden erwartet“ umfasst die darauffolgenden Jahre, in denen Hilla, ihrer Heimat durch ihren Verlobten entrissen, neu Fuß zu fassen versucht. Mit innerer Distanz betrachtet sie ihr Umfeld und ist doch immer auf der Suche nach dem Gefühl der Zugehörigkeit und Geborgenheit. Mir war sonderbar zu Mute. War ich nun ne Studierte, wie man in Dondorf respektvoll sagte, oder dat Kenk von nem Prolete, wie der Vater mich als Heranwachsende hatte demütigen wollen? Ich ahnte, auch hier würde ich meine Zugehörigkeit bewusst anpassen. Ich wusste, was wie und wie was in den jeweiligen Schichten ankam. Ich kam an. Und entfernte mich wieder. Jedesmal mit einem leisen Schmerz, der sich selbst verspottete. Ich konnte nur noch wie zu den einen oder wie zu den anderen gehören. Dat Kenk von nem Prolete nie der Erbe eines Bürgers sein. Es schleppt sich ein Leben lang ein Wie mit sich herum. Und ein Als-ob. Hilla probiert aus, nimmt an Studentenbewegungen und Gruppen teil. Letztlich schließt sie sich der Deutschen Kommunistischen Partei an und versucht, dort auch literarisch für die hehren Ziele der Partei zu kämpfen. Dies führt zu einer Wiederannäherung an ihre Familie, der sich Hilla nach dem Tod Hugos entfremdet hat, aber nicht zu einer dauerhaften geistigen Heimat. Hilla bleibt dennoch fremd in der Arbeiterpartei. Und zweifelt, nimmt Ambivalenzen wahr bei den großen Idolen und bei sich. Bild: DVA Mich lässt das Buch zwiegespalten zurück. Ulla Hahn stellt gekonnt die Innenwelt der Protagonistin/Alter Ego vor. Sehr nachvollziehbar zeigt sich die innere Zerrissenheit, der Kampf um den eigenen Platz in der Welt, das Ringen um die Identität und gleichzeitig den nach außen gerichteten Wunsch des Gestaltens, des Wertekodexes. Die fast lyrische Sprache, die Hahn auszeichnet, zeichnet eine Atmosphäre, die an vielen Stellen anrührend ist. So hat mich das Erleben des Todes des Verlobten, die Verzweiflung, der Zorn und letztlich das Wiederankommen in der Welt stark berührt. Das innere Erleben, die Gedanken und Auseinandersetzungen, die Hilla Palm bewegen, sind ansprechend, nachvollziehbar und teilweise wunderschön dargestellt. An anderer Stelle ist genau diese Sprache aber wenig angemessen und erzeugt dadurch Längen, die leer wirken. Das Lyrische wirkt zweckentfremdet und damit übertrieben und selbstbezogen. Das habe ich als große Schwäche empfunden, war manchmal genervt und gelangweilt von der Lektüre, habe mit dem Roman gekämpft. Nein, ein schlechtes Buch ist „Wir werden erwartet“ ganz sicher nicht. Das, was der erste Band der Tetralogie jedoch an Vorfreude auf die Folgebände geweckt hat, erfüllt sich nicht. Fast bin ich erleichtert, dass der Romanzyklus hier sein Ende findet.

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