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Rezension zu
Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch

Aslı Erdoğan - Symbol der Freiheit

Von: Merve Akal aus Hamburg
11.10.2017

"Aslı Erdoğan wurde zum Symbol - und da bin ich mir ganz sicher - ohne, dass sie es gewollt hätte", sagte Sabine Adatepe auf dem Harbour Front Literaturfestival in Hamburg. Adatepe ist eine der Übersetzer*innen des Buches. Im weiteren Verlauf des Panels erscheint eine zurückhaltende bescheidene Frau auf der Leinwand. Das Skype-Gespräch mit Aslı Erdoğan konnten die Besucher dank Beamer mitverfolgen. Und alle applaudierten, dass es krachte. Aslı Erdoğan wurde im letzten Jahr inhaftiert und musste Monate im Gefängnis verbringen, weil sie von Freiheit und Menschenrechten schreibt. Besser gesagt schrieb, denn schreiben kann sie derzeit nicht mehr. Die Haftzeit hat ihr zu viel weggenommen, sie zu sehr erschöpft und mitgenommen als, dass sie sich auf's Schreiben konzentrieren könnte. Aslı Erdoğan schrieb über das Leid von unterdrückten Gruppen in der Türkei, von dem Leid der Armenier und der Kurden und das brachte sie ins Visier der Behörden. Wer offen schreibt, wird verfolgt Das türkische Gefängnis hat einen gewissen Ruf. Wer das Musikvideo zu "Nichts bleibt mehr" von Kool Savas gesehen hat, wird es wissen. Wie aus Trotz, bewahrheitet sich heute der Ruf des türkischen Gefängnisses: Inhaftierte sind grausamer Folter und Willkür ausgesetzt. Dass Familienangehörige mitinhaftiert und bedroht werden, ist eine neue Dimension. Und wer das schreibt, wer über die Folter und wer über menschenunwürdige Zustände schreibt, wird verfolgt. Dass ein Politiker die Einführung für Aslı Erdoğans Buch geschrieben hat, ist wenig angemessen. Denn Politiker neigen dazu Eigenwerbung zu betreiben, Ja, sie sind Professionelle darin ihre eigene Haltung als die objektive Realität zu vermitteln. So läuft das Politgeschäft. Für die Einführung indes hätte ich mir eine Literatin gewünscht oder eine Wissenschaftlerin. Zumal Aslı Erdoğan selbst Wissenschaftlerin ist. Sie studierte Informatik und Physik, bereitete ihre Dissertation am CERN vor und brach dann in Rio de Janeiro ihre Promotion ab, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Ihr Stil speist sich aus der Genauigkeit und Nüchternheit einer Wissenschaftlerin.  (Un-)Worte des Leids Wie fasst man Leid und Trauer in Worte? Aslı Erdoğan nahm diese Herausforderung an und ging ehrlich damit um. Sie gibt auch mal zu, dass ihr die Worte fehlen, um über die grausame Massenvernichtung von Armeniern und Kurden zu schreiben. Es gibt auch überhaupt keine Worte für so großes Leid. Diese Schriftstellerin hat ein zu tiefsinniges Wesen, um sich mit einfachen Beschreibungen zu begnügen. Sie verwendet viel Zeit auf, um die Atmosphäre aufzubauen und kommt emphatisch an den Punkt, an dem sie plötzlich zu einem sachlichen Ton findet und oft anklagt.  Gewarnt sei der gemeine Leser, denn was diese Autorin hervorbringt, zeitgenössisches Schrifttum, ist frei von Konventionen wie roten Fäden und überflüssigem Stilgedöns. Sie vermittelt Atmosphären aus Wahrnehmungsfetzen und Bruchteilen von Erinnerungen, die sie aneinander reiht. Es sind rasant wechselnde literarische special effects. Und oft wirkt es düster und alptraumhaft. Manchmal muss man das Buch zuklappen und an die frische Luft gehen, bevor man weiter lesen kann. Jedes Essay in diesem besonderen Spannungsverhältnis überrascht den Leser auf's Neue. Manche empfinden ihren assoziativen Stil als eine Herausforderung, wieder anderen gefällt es schlichtweg nicht, doch wir wollen nicht über Farben und Geschmäcker streiten. Dass ihre Schriften nur lesenswert sind, weil sie verfolgt wird, ist zweifelhaft, denn Aslı Erdoğan schrieb viele Jahre vor ihrer Verfolgung über dieselben Themen und auf dieselbe Art. Literarisch hat sie vielleicht nichts Großes hervorgebracht, womöglich hat sie keine Revolution ausgelöst, das kann schon sein. Sich selbst ist sie treu geblieben.

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