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Rezension zu
Dann schlaf auch du

Gewaltig - in jeder Hinsicht

Von: Monia [www.ichlesehaltgern.com]
27.11.2017

3 Dinge, die mir spontan zum Buch einfallen: ich werde nie verstehen, weshalb sich Leila mit Trema schreibt, wunderschönes Cover mit toll geriffeltem Papier, nein! die Frau hat nix mit den Slimanis auf Youtube zu tun! Das sagt der Verlag zum Buch: Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen? Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen – eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich. Meine bescheidene Meinung: Mal wieder ein Buch, bei dem es mir alles andere als leicht fällt, eine Rezension zu schreiben. Nicht, weil es besonders gut oder besonders schlecht wäre – im Gegenteil: ich weiß nicht, wo ich anfangen und wo aufhören soll… Die Handlung beginnt schon mal mit einem Paukenschlag und hat mich so sehr in ihren Bann gezogen, dass ich einfach weiterlesen musste. Dran glauben mussten auch noch gefühlte hundert Post Its, denn es gab Textstellen, die konnte man gar nicht zurücklassen, ohne sie nicht vorher markiert zu haben, wie zum Beispiel diese hier, die Louises Macht, die sie binnen kürzester Zeit erlangt hat, auf das Treffendste beschreibt: Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr perfektioniert Louise die Kunst, zugleich unsichtbar und unverzichtbar zu sein. […] Sie ist die Wölfin mit der Zitze, an der sie alle trinken, die verlässliche Quelle ihre Familienglücks. (S. 55) Louise hat einen Strauß Dahlien ins Wohnzimmer gestellt. […] Wir können unmöglich auf sie verzichten, denken sie. Sie reagieren wie verwöhnte Kinder, wie Hauskatzen. (S. 131) Slimani macht es dem Leser schwer, wenn nicht sogar unmöglich, Louise, Paul oder Myriam zu mögen und dies aus unterschiedlichen Gründen: bei Louise handelt es sich um etwas Offensichtliches, das ich jedoch nicht spoilern will, auch wenn es auf der ersten Seite schon ersichtlich ist. Bei Paul und Myriam war es in meinen Augen ebenso einfach: sie sind durch und durch Opportunisten. Sie möchten einfach alles auf einmal haben: Kinder, die behütet aufwachsen, regelmäßige Mahlzeiten bekommen und abends mit einer Gutenacht-Geschichte ins Bett gehen. Wer hier einhakt und sagt, dass das ja nun wirklich nichts Verwerfliches ist, kann ich bis hierhin zustimmen. Allerdings lechzen beide auch nach ihrer beruflichen Karriere und so wird es immer mehr Usus, dass Louise nicht nur die Nanny, sondern auch das Mädchen für alles gibt: neben dem Kinderaufpassen kocht sie, putzt, kauft ein und ermöglicht so allen Beteiligten einen reibungslosen Tagesablauf. Sie kommt morgens in der Früh, damit Myriam in die Kanzlei oder zu Gericht gehen kann und geht erst spät in der Nacht, wenn diese wieder den Weg in die Altbauwohnung im 10. Arondissement gefunden hat. Paul verbringt seine Nächte im Studio, gierig nach Musik, nach neuen Ideen, nach Lachanfällen. […] „Louise ist doch da!“, sagt er seiner Frau immer wieder, wenn sie sich besorgt über ihre häufigen Abwesenheiten zeigt. (S. 116) Wer nun denkt: arme Louise – die wird ja komplett ausgenutzt! liegt nicht ganz richtig, denn tatsächlich ist dieses Arrangement eine absolute Win-Win Situation für alle. Trotzdem kann man sich des Eindrucks, dass Louise einfach nur ausgenutzt wird, nicht erwehren. Selbst die Tatsache, dass das Paar die ältere Dame mit in den Griechenland-Urlaub nimmt, hinterließ bei mir einen mehr als bitteren Nachgeschmack; so beschreibt Slimani Pauls Reaktion auf die Tatsache, dass Louise nicht schwimmen kann, folgendermaßen: Die Nanny ist beschämt zurückgewichen. Sie wollen gerade eine Erklärung von ihr verlangen, als sie langsam murmelt: „Ich habe Ihnen nicht gesagt, dss ich nicht schwimmen kann.“ […] Paul ist peinlich berührt, und dieses Gefühl macht ihn wütend. Er nimmt es Louise übel, dass sie ihre Bedürfnisse und ihre Schwäche mit hierhergebracht hat. Dass ihre Leidensmiene ihnen den Tag vermiest. (S. 69) Und ja, ich weiß: dazu gehören immer 2 Parteien: die, die es macht und die andere, die es mit sich machen lässt. Und auch wenn ich Louise nicht mag, tut sie mir leid, da sie einen sehr bedürftigen Eindruck auf mich macht, der sich auch durch die Macht, die sie ob ihrer aufopfernden und omniipräsenten Art erlangt hat, nicht übertünchen lässt: Sie lebt als Witwe, deren Tochter bereits vor Jahren das Haus auf Nimmerwiedersehen verlassen hat, in einem schmuddeligen Einzimmer-Appartement am Rande von Paris. Auch hier schafft es Leïla Slimani wieder wortgewaltig und anschaulich, der Person Louise und auch der Stadt, in der sie lebt – Paris – ein hässliches Gesicht zu geben Die Einsamkeit hat sich aufgetan wie ein klaffender Riss, ind em Louise sich versinken sah. Die Einsamkeit, die an ihrem Körper, an ihren Kleidern haftete, fing an, ihre Züge zu modellieren und ihr die Gesten eines alten Mütterchens zu verleihen. […] Jeden Tag traf sie Schicksalsgenossen, Schwachsinnige, Clochards, Letue, die Selbstgespräche führten. (S. 98f) Das ist die Sorte Mann, die sie verdient. Der Typ,den keiner haben will, aber den sie, Louise, nimmt, so wie sie gebrauchte Kleidung nimmt oder schon gelesene Zeitschriften mit herausgerissenen Seiten oder sogar Waffeln, die die Kinder halb aufgegessen haben. (S. 140) Wie man unschwer sehen kann, ein nicht unbedingt lebensbejahendes Buch, eher eines, das nicht nur den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft legt und ordentlich darin herumstochert – nein, das reicht Leïla Slimani nicht – sie streut noch meisterlich eine Prise Salz hinterher. Das Paris, das der Leser durch Louises Augen sieht, erinnerte mich leider sehr oft an das Lied The Streets of London von Ralph McTell, welches – passenderweise – ursprünglich Streets of Paris hieß. Ich bin die ganzen 223 Seiten (die sich wie ein Vierfaches lasen) ein gewisses beklemmendes Gefühl nicht losgeworden, was nicht zuletzt an den letzten beiden Sätzen liegt: Kommt, Kinder. Ab in die Badewanne. Irgendwann möchte ich das Buch nochmal im Original (Chanson Douce) lesen – die Übersetzung kam mir manchmal was die Zeitenübersetzung anging, etwas holprig vor (wenn z. B. bei durchgängigem Präsens stellenweise und plakativ Plusquamperfekt benutzt wird). Ein gewaltiges Werk, das noch lange in einem nachhallt und einen im besten Fall das eigene Tun auch mal überdenken lässt und veranlasst, bei unserem Gegenüber vielleicht etwas genauer hinzuschauen.

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