Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Wie ein Fisch im Baum

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Lies doch einfach

Von: Sabine Kruber
08.01.2018

Vorsicht Spoiler "Jeder ist auf seine Weise klug. Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, er sei dumm." (S.180) Dieses Zitat trifft sehr genau die Situation der elfjährigen Ally. Genau wie ihr großer Bruder Travis ist Ally Legasthenikerin. Sie kann kaum lesen und schreiben. Dafür schämt sie sich und verbirgt ihre Legasthenie sehr gekonnt. Das führt in der Schule aber häufig zu Konflikten mit den Lehrern, die sie für faul und aufsässig halten. Oft landet sie daher bei der Rektorin, weil ihr Verhalten für die Lehrer einfach nicht mehr tragbar ist. Ihre Klassenkameraden halten Ally hingegen für einen Freak und so kommt es, dass sie auf den sieben Schulen, die sie bisher besucht hat, überall eine Außenseiterin ist. Dabei wünscht sie sich doch so sehr dazuzugehören. Niemand bekommt mit, welche Schwierigkeiten Ally das Lesen und Schreiben machen. Ihr Vater ist bei der Armee und häufig nicht bei der Familie. Allys Mutter arbeitet als Bedienung in einem Restaurant. Vor nicht allzu langer Zeit starb Allys Opa, der immer an seine Enkelin geglaubt hat. Ally hatte eine engere Beziehung zu ihrem Opa, als zu ihrem Vater, den sie kaum erwähnt. Die Mutter scheint mit der Legasthenie ihrer Kinder überfordert zu sein, jedenfalls thematisiert sie diese nicht, sodass Ally sich wirklich ganz alleine und dumm fühlt. Dabei ist Ally alles andere als dumm. In Mathe ist sie eigentlich gut, wenn es nicht gerade darum geht, Aufgabenstellungen zu lesen. Ihre ganze Leidenschaft gehört aber dem Zeichnen und Ally zeichnet wirklich gut. Mit diesem Talent und mit ihrem Kopfkino schafft sie sich kleine Fluchten aus dem zermürbenden Schulalltag. Ally schämt sich und das ist auch der Grund, warum sie sich nicht traut, jemanden um Hilfe zu bitten, obwohl sie sich so nach Antworten sehnt. In einem Schulaufsatz schreibt sie einmal eine ganze Seite mit dem Wort „warum“ voll – zum Einen, weil sie weiß, wie dieses Wort geschrieben wird, zum Anderen ist es aber auch ein Hilferuf. Nur leider versteht die Lehrerin diesen nicht. Am liebsten wäre Ally unsichtbar. Das zeigt auch sehr gut das Cover, auf dem sie sich unter einer Wollmütze versteckt. Auf der andern Seite ist Ally aber auch ganz schön tough und nicht gerade auf den Mund gefallen. Erst als Mr Daniels ihr neuer Klassenlehrer wird, wendet sich das Blatt. Mr Daniels erkennt sehr schnell, dass Ally weder faul noch dumm ist, sondern Legasthenikerin. Mit viel Geduld gewinnt er Allys Vertrauen und beginnt sie schließlich im Lesen und Schreiben zu fördern. Ally erkennt, dass die Schrift für sie kein Buch mit sieben Siegeln bleiben muss und so begreift sie, dass sie es schaffen kann, wenn sie wirklich will. Und so wird aus einem Unmöglich ein Möglich. Langsam aber sicher beginnt sich ihr ganzes Leben zu verändern und mit einem Mal hat sie auch Freunde – Albert und Keisha. Die beiden sind ebenso wie sie Außenseiter in der Klasse. Aber gemeinsam sind sie stark und schließlich muss auch Shay, eine fiese Mobberin, klein beigeben. Die Autorin Lynda Mullaly Hunt hat in ihrem fiktiven Jugendroman durchaus eigene Erlebnisse mit einfließen lassen, denn auch sie tat sich in der Schule mit dem Lernen schwer und hatte das Glück auf einen Lehrer wie Mr Daniels zu treffen. Ihr ist es gelungen sehr fesselnde und authentische Charaktere zu schaffen. Wie intelligent Ally ist, erkennt man zum Beispiel unter anderem daran, dass sie ihre Gefühle häufig in sehr kreativen Bildern ausdrückt. Die Geschichte ist sehr auf Ally und ihr direktes Schulumfeld fokussiert. Der Leser erfährt kaum etwas über die Stadt oder das Land, in dem die Geschichte spielt. Das ist aber auch unwichtig, denn überall gibt es Allys und viel zu häufig werden sie mit ihrer Not alleine gelassen. In Deutschland haben 15-20% der Schüler Probleme mit dem Lesen und Schreiben. Insgesamt gibt es bei uns 7,5 Mio. funktionale Analphabeten. Das sind Menschen, die hier alle zur Schule gegangen sind. Das Buch hat eine durchgehend einfache Lesbarkeit, tendiert aber aufgrund des großen Textumfangs (XXL) zu einer normalen Lesbarkeit. Wenn Leser mit einer einfachen Lesbarkeit schon gut zurechtkommen, sich aber mit dem Umfang noch schwertun, empfehle ich, sich für das Buch eine Lesebegleitung zu suchen, das Buch abwechselnd oder im Tandem zu lesen. Ansonsten – einfach vorlesen lassen, es lohnt sich auf alle Fälle und bringt Betroffenen bestimmt neue Impulse. Die 51 Kapitel sind meist 5-10 Seiten lang, sodass man zwischendurch auch immer wieder gut pausieren kann. Auch die Serifenschrift ist lesefreundlich – etwas größer und die Zeilen sind noch etwas weiter. Wer Probleme mit der visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung hat, kann aber auch zum E-Book greifen. Fazit: Ein sehr einfühlsamer Roman zum Thema Legasthenie. Besonders ans Herz möchte ich dieses Buch all jenen legen, die die Hoffnung verloren haben, dass aus einem Unmöglich doch ein Möglich werden kann. Damit meine ich nicht nur die Betroffenen selber, sondern auch all die Menschen, die Legastheniker immer noch als dumm und faul abstempeln.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.