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Rezension zu
Chronist der Macht

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Der Kanzler-Kenner

Von: Gernot Uhl
12.03.2018

Das journalistische Urgestein Mainhardt Graf von Nayhauß auf der Frankfurter Buchmesse. Ohne Kohl geht's kaum. Der Altkanzler ist auf der Frankfurter Buchmesse allgegenwärtig, selbst da, wo's nicht um Bücher von ihm oder über ihn geht. Wenn aber mit Mainhardt Graf zu Nayhauß ein journalistisches Urgestein der Bonner Republik und selbsterklärter "Chronist der Macht" seine Erinnerungen vorstellt, dann muss aber auch über den Machtmenschen Helmut Kohl gesprochen werden. Ganz konkret erzählt und schreibt Nayhauß von einer pikanten Homestory. Anfang der 1970er sitzt er mit Kohls beim Kaffee. Helmut muss noch mal ins Büro und so unterhält sich Nayhauß mit Hannelore. Und die offenbart Erstaunliches:Sie schießt regelmäßig mit ihrer Pistole. Wir bitten sie, für ein Foto mit der Waffe zu posieren. Ohne zu zögern holt sie die Pistole, legt an mit ausgestrecktem Arm und visiert ein imaginäres Ziel mit dem rechten Auge über Kimme und Korn an. Der journalistisch gehörnte Politikergatte ist außer sich und Nayhauß fällt bei Kohl in Ungnade. Als Journalist war man bei Kohl aber immer Liftboy, erinnert sich Nayhauß im Buchmessen-Talk mit Rainer Blasius von der FAZ, mal ganz oben, mal ganz unten. Der schreibende Graf (geb. 1926) hat in seinen vielen Berufsjahrzehnten nicht nur mit Kohl gesprochen, sondern mit allen bisherigen Kanzlern - und dabei für fast alle großen Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet. Sein persönlicher Stil verbindet ein treffsicheres politisches Gespür für die richtigen Fragen und Themen mit der locker-verständlichen Schreibe des Boulevards. Und das hat Nayhauß nicht verlernt. Seine gut 500 Seiten umfassende Autobiografie liest sich flüssig und kurzweilig wie eine Lebens- und Laufbahn-Reportage. Wer den ein oder anderen Blick hinter die Kulissen der Bonner Republik werfen will, wird beim Chronist der Macht fündig: Unterhaltsam und amüsant erzählt er Anekdotisches und Merkenswertes aus 60 Jahren Bundesrepublik- und Kanzlergeschichte Nayhauß selbst legt noch mehr viel Wert darauf, Zeugnis über die Kindheit- und Jugendlüge abzulegen, mit der er leben musste: dass sein Vater von der Gestapo verhaftet gefoltert und ermordet worden war, verheimlicht ihm die Mutter. Ahnungslos stellt sich der Sohn der Ermordeten als Heranwachsender gut mit dem nationalsozialistische Regime. Er ist in der Hitlerjugend, später sogar bei der Waffen-SS. Dass er noch später als bekennender Bundesrepublikaner lebt, nimmt DER SPIEGEL zum Ausgangspunkt einer fragwürdigen Argumentation: "Nayhauß hat sich angepasst - immer und jedem." Ein gewisses Maß an Anpassung ist kein journalistisches Makel, Chronisten und Kommentatoren müssen auf der Höhe der Zeit sein - und das praktiziert auch DER SPIEGEL unter anderem mit seiner erfolgreichen Online-Ausgabe. Wer wie Nayhauß unangenehme Fragen stellt und damit Dauerkanzler wie Adenauer und Kohl verärgert, der kann so angepasst nicht sein. Und dass Nayhauß als knapp 90-Jähriger einen zeitgemäßen Schreibstil findet, kann man ihm auch nicht zum Vorwurf machen. Ein ganz und gar Angepasster würde eine solch' diskussionswürdige Jugend wohl gar nicht mehr erst zum Thema machen. Graf von Nayhauß hat es getan. Fazit: Es gibt zwei Schwachstellen in diesem Buch: Der Titel ist der schwächste Teil. Mainhardt Graf von Nayhaus ist kein dröger "Chronist der Macht". Er ist ein lebhafter Erzähler, der analytische Tiefe und keckern Stil verbindet. Auch der Umfang wirkt abschreckend. Über 500 Seiten Politikgeschichte? Gefühlt sind es weit weniger als 500 Seiten, denn Nayhauß erzählt Politik in vielen kleinen Geschichten. Sein offener Umgang mit der konformen Jugend im Nationalsozialismus macht das Buch glaub- und lesenswürdiger.

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