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Rezension zu
Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

Natur, Romantik, Wissenschaft

Von: Gernot Uhl
12.03.2018

"Die Natur muss gefühlt werden." Alexander von Humboldts wichtigste Botschaft steht in keinem Lehrbuch, sondern in einem Brief an den Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Humboldts wichtigste Botschaft? Geht es da nicht um die Vermessung der Welt? Oder um die Kategorisierung von Pflanzen? Heute wird Alexander von Humboldt als Ikone der Naturwissenschaft gefeiert – dabei geht der inspirierende Romantiker unter. Schade.  Alexander von Humboldt (Jahrgang 1769) ist ein Glückskind. Seine Familie ist wohlhabend und angesehen. Wie sein Bruder Wilhelm genießt Alexander von Humboldt eine exzellente, weil umfassende und nachhaltige Bildung. Er ist mit Geistesgrößen wie Goethe befreundet und verehrt den Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Früh plagt ihn das Fernweh. Am liebsten liest er (autobiografische) Klassiker der Abenteuerliteratur. Er wandert gerne und sammelt Pflanzen. Das ist eine von Klischees beschwerte Kindheitsgeschichte, in der die späteren Erfolge als Humanist und Wissenschaftler, Entdecker und Abenteurer bereits angelegt sind. Vielleicht muss man das nicht so akzentuiert erzählen wie seine Biografin Andrea Wulff, aber es spricht auch nichts dagegen, einen roten Faden in die Lebensgeschichte von Alexander von Humboldt zu weben. Er ist zeit seines Lebens leidenschaftlich gerne gereist und er hat mit kindlicher Neugier alles aufgesogen, was es zu entdecken gab. Für Humboldt war das eine ganze Menge: Seine Forschungsfahrten haben ihn um die ganze Welt geführt: Europa, Amerika, Asien. Seine akribische wissenschaftliche Arbeit und sein Talent, beschwerliche Reisen als aufregende Abenteuer zu erzählen haben ihn weltberühmt gemacht.  Heute ist es vor allem die Wissenschaft, die Alexander von Humboldt für sich vereinnahmt. Er gilt als Ikone und Stammvater der modernen Naturwissenschaft – oder vielmehr: dem wissenschaftlichen Interesse am Verstehen der Natur. Das scheint allerdings leider auch der einzige Maßstab zu sein, an dem sein Leben und sein Werk heute bemessen würden dürfen. Das greift zu kurz, weil dieser Maßstab Alexander von Humboldt in keiner Weise gerecht werden kann. Die einen bemängeln, dass sein Beitrag zur Wissenschaft gering und teilweise sogar irreführend sei. Den anderen entgeht der sensible Romantiker, der die Welt nicht nur durch seine kartographischen Werkzeuge wahrnimmt, sondern auch mit der feinen Sinneswahrnehmung eines einfühlsamen Dichters. Andrea Wulff wagt einen Spagat: Auf der einen Seite schimmert durch ihre Humboldt-Biografie das wohltuende Gefühl, dass die Autorin dem Helden des Buches sehr nahe gekommen ist. Deshalb deutet sie immer wieder seine innige Liebe zur Natur an und nicht nur seine Lust an ihr.  Es geht Alexander von Humboldt, anders als manchem Wissenschaftler, nicht um die Entzauberung der Natur (beispielsweise, indem er sie in Zahlen und Kategorien seziert). Ihm geht es um das Wunder der Natur, an dem er Teil haben möchte. Der kluge Vergleich zwischen Humboldt und dem Waldmenschen David Henry Thoreau ist ein Beispiel dafür, dass Andrea Wulff den Romantiker Humboldt durchaus kennt. Die Besteigung des südamerikanischen Berges Chimborazo ist ein besseres Beispiel. Obwohl er nicht zum Gipfel kommt (für die meisten Erfolgsbergsteiger von heute ein Drama), sieht die Biografin in dem Aufstieg auf knapp 6000 Höhenmeter (nie zuvor war ein Mensch höher geklettert) einen biografischen Schicksalsmoment. Hier habe Humboldt sein Gesamtbild der Natur entworfen. Scheinbar war aber die Erwartungshaltung an eine Humboldt-Biografie stärker als das Einfühlungsvermögen der Biografin. Humboldts Aktualität (Klimawandel, ökologisches Denken, Nachhaltigkeit) wird viel zu stark betont. Ein "Zurück zur Natur" hätte es auch getan – und wäre Alexander von Humboldt womöglich gerechter geworden. Wenn man aber darüber hinweg sieht, was geschrieben werden muss, um wahrgenommen zu werden, steckt in diesem Buch eine inspirierende Lebensgeschichte.

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