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Rezension zu
Der Serienkiller, der keiner war

Ausführlich recherchierter Fall, der fassungslos macht

Von: Ponine T.
16.06.2018

Schweden, 1991: Sture Bergwall, ein homosexueller Drogenabhängiger und Kleinkrimineller, wird in die geschlossene psychiatrische Einrichtung Säter nördlich von Stockholm eingewiesen. Dort macht er eine Therapie und wird mit Psychopharmaka behandelt. Im Zuge der Behandlung glaubt er, sich an schlimme Traumata aus seiner Kindheit zu »erinnern« und gesteht, als monströser Serienkiller Thomas Quick mehr als 30 Opfer vergewaltigt und getötet zu haben. Fast 20 Jahr später stellte sich heraus: seine Geständnisse waren frei erfunden. Seine Motive: verschreibungspflichtige Drogen, Geltungsbewusstsein und der Einfluss seiner Therapeutin und deren Zirkel, die glaubten, mit diesem Fall Geschichte schreiben zu können. divider-grey Als ich das Buch angefangen habe, hatte ich erwartet, einen Abriss über Sture Bergwalls Leben zu erhalten und ihm stringent zu folgen. Schon schnell war aber klar, dass der Autor einen anderen Ansatz verfolgt, denn ihm geht es vor allem um die Frage: wie war es überhaupt möglich, dass Thomas Quick entstehen und für glaubwürdig befunden werden konnte? Dafür muss er sich von Sture lösen und stattdessen anderen Personen ins Zentrum rückken, oder, um genau zu sein, eine andere Person, nämlich die Psychologin Margit Norell. Diese war in Schweden der führende Kopf innerhalb der psychotherapeutischen Ansätze zu verdrängten Erinnerungen und ist letztlich auch die graue Eminenz im Hintergrund Säters und des psychotherapeutischen Teams dort. Für Josefsson wirdwährend seiner Recherchen klar, dass Norell mit Hilfe des einzigartigen Falls eines Serienmörders, der sich seiner Taten erst durch die psychoanalytische Therapie bewusst wird, versuchen will, ihren Platz in den Geschichtsbüchern der Psychologie zu sichern. Sie schafft es, eine kleine Gruppe um sich zu scharen, die bereitwillig ihre neuen Denkansätze übernehmen und durch eine völlig unangebrachte Vermischung von Eigentherapie und Supervision regelrecht gehirngewaschen werden. Josefsson geht dabei sehr detailliert vor und erklärt für den Leser zuerst einmal viele psychologische Theorien und Therapieansätze der Psychoanalyse. Diese Kapitel fand ich persönlich sehr interessant, weil ich mich mit Freud irgendwann mal 2001 im Grundkurs Psycholgie vor dem Abi beschäftigt habe, aber nie wirklich tief ins Thema einsteigen musste. Dass die Psychoanalyse umstritten ist, hatte ich irgendwo abgespeichert, aber es war sehr interesant, sich mit den Argumenten des Fürs und Widers auseinandersetzen zu können. Auch die Schilderung des Konstrukts der "Verdrängten Erinnerung", das wirklich oft in heutigen Thrillern bedient wird, ist für den Leser nachvollziehabr aufbereitet und überzeugend argumentiert. Die Einblicke in Experimente zum Installieren von falschen Erinnerungen sprechen eigentlich für sich. Grade ab dem Mittelteil wird das Buch dann aber mitunter etwas zäh. Es wiederholen sich sehr viele Aussagen und Darstellungen, weil der Autor wirklich jeden einzelnen Fall, in dem Thomas Quick verurteilt wurde, aufrollt und anhand von Krankenakten, Interviews und nacherzählten Videosequenzen belegt, wie hier sowohl von der polizeilichen als auch der psychologischen Seite kompletter Mist gebaut wird. Die hahnebüchenen Widersprüche zwischen Tatorten und Quicks Aussagen machen ja schon fassungslos, dann aber auch zu lesen, mit welchen Argumenten diese Widersprüche beiseite gewischt und gradezu als beweis FÜR die Täterschaft gewertet werden, verursachen fast schon Schnappatmung. Was mich am Buch wirklich beeindruckt hat ist, dass Josefsson Sture Bergvall selbst nicht in ein Opferlicht rückt. Bis zum Ende ist nicht klar, was er eigentlich ist - ein pathologischer Lügner, ein Junkie, der im Dauerrausch selbst irgendwann glaubte, was er erzählt, oder ein gewiefter Manipulator, der für Jahrzehnte die Oberhand behält und alle anderen wie Schachfiguren herumschiebt, um seine tägliche Ration von Psychopharmaka nicht zu gefährden? Es kann alles sein oder etwas ganz anderes, Josefsson ergreift hier keine Partei. Das Buch ist trotz seiner Längen wirklich beeindruckend. Ich empfehle es jedem weiter, der sich ein bisschen für Psychologie interessiert und einen wenig bekannten Fall gründlich hinterfragen will.

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