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Rezension zu
Main Street

Mainstreet – Vergangenheit, Gegenwart und der Glaube an das Gute

Von: Thursdaynext
05.07.2018

Wie schnelllebig unsere Zeit geworden ist, kann man gut erkennen, wenn man Sinclair Lewis bald 100 Jahre altes Buch liest. Die von Lewis in dieser 1920 erstveröffentlichen Gesellschaftssatire vorausgesetzte Aufmerksamkeitsspanne ist hoch. Hier ist Durchhaltevermögen gefragt. Nicht, weil der Autor oder das Thema unvermögend oder uninteressant sind, doch seine ausnehmend akribische Darstellung der Verhältnisse, die seine junge Protagonistin in Gopher Prairie, dem Kuhkaff im mittleren Westen, in das sie qua Heirat verschlagen wurde, vorfindet ist trotz des feinen Witzes manchmal etwas zäh. Lewis berichtet von den Erlebnissen der jungen Carol, die bereits auf dem College gedanklich die Welt zu bereichern versucht und ihren Platz darin finden möchte. Als Brötchenerwerb dient ihr der Bibliothekarsberuf, bis sie auf ihren hartnäckig werbenden Verehrer, den Landarzt Will Kennicott stößt. So ist Carol alsbald frischgebackene Arztgattin, angetreten diese kleine Welt mit Bildung, Chic und schönen Künsten zu verbessern und zu verfeinern. Hier trifft sie auf angesehene und weniger angesehene Honoratioren, die mit dem Status Quo durchaus zufrieden sind und von der forschen, erschreckend liberalen jungen Frau wenig angetan sind. Intrigen, Machtspielchen, Mobbing, Nepotismus und Lobbyismus. Alle -ismusse sind bestens vertreten in Gopher Prairie . Statusdenken, Abgrenzung, Rassismus, alles schon da. Dann die psychologischen Neuordnungen, wenn Altbewährtes auf Neues trifft. Wer aus einer Stadt aufs Dorf zog findet sich leicht wieder. Erfreulicherweise allerdings mit Duschen, besserer Heizanlage und – positiv oder nicht mal dahingestellt – mehr Freizeitmöglichkeiten. So witzig und aktuell Mainstreet auch ist, es ermüdet auf Dauer von diesen Menschen zu erfahren. Vielleicht liegt es daran, dass, wenn man, wie ich selbst auf dem Land lebt, etliche der beschriebenen Charaktere bereits kennenlernen konnte und feststellen muss, dass sich in den letzten hundert Jahren in dieser Richtung kaum etwas verändert hat. S. 108 „Ezra Stowbody war ein Troglodyt.“ Wer auf dem Dorf oder in einer Kleinstadt lebt dürfte jetzt sicher ein Bild dazu vor Augen haben … So bleibt nur Carol Kennicotts unermüdliches Wirken für Bildung und Intellekt und ihr Streben zu bewundern, sich trotz aller Anfeindungen und Rückschläge zu einer der Honaratiorinnen der schäbigen kleinen Stadt aufzuschwingen. Auch hier hatte ich das Bild einer lieben Freundin vor Augen … Nobelpreisträger Sinclair Lewis Gesellschaftsstudie lädt ein ein persönliches Resümmé zu ziehen und Vergleiche zwischen Vergangenheit und Gegenwart anzustellen. Wir haben Menschen auf den Mond geschickt, aber die meisten sind doch sehr fest auf ihrem Fleckchen Erde geblieben und dort wollen sie auch bleiben. Die Schilderung dieser kleinen Stadt im mittleren Westen und ihrer Bewohner ist großartig und humorvoll bis boshaft, die kleinen Scharmützel die der Einzug der jungen Frau nach sich zieht und ihre Erlebnisse, samt der Schlüsse die sie zieht, ziehen sich. Carol ist die Seele des Romans und diese Seele ist ab einer gewissen Seitenzahl schwer auszuhalten. Wie im richtigen Leben. So schreibt Heinrich Steinfest in seinem großartigen und informativem Nachwort zu Mainstreet, das übrigens bereits 1936 verfilmt wurde, „Über das masochistische Vergnügen, an einem schmerzendem Zahn zu saugen.“ Das trifft meine Leseerfahrung exakt. Nur zählt Masochismus nicht zu meinen Vergnügungen.

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