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Rezension zu
Main Street

Ein melancholisch wirkender Roman, der den Zeitgeist der 1920er Jahre wiedergibt

Von: sommerlese
27.07.2018

Dieser Roman spielt Anfang des 20. Jahrhunderts, als gerade die ersten Autos aufkamen und Flugzeuge noch der Zukunft angehörten. Die Kleinstadtbewohner waren Bauern mit eurpopäischen Wurzeln, sie arbeiteten hart, lebten bescheiden, besuchten ihre Kirchen und pflegten kleinbürgerliche Geselligkeit. Lewis ist ein hervorragender Schriftsteller, er beobachtet seine Figuren genau und stellt das menschliche Verhalten zwar reichlich detailverliebt und ausufernd, aber auch treffend dar. Es geht um die kleingeistigen Ideale des amerikanischen Mittelstands und man beobachtet auch eine beginnende Entwicklung der Emanzipation der Frau. So wie es immer Kleinbürgertum gegeben hat, wirkt dieser Roman schon fast wie eine Satire. Und "Main Street" erscheint damit heute so aktuell wie damals. "Sie aßen ihre Sandwiches an einer Prärieaue: hohes Riedgras, das aus klarem Wasser emporwuchs, moosiger Moorgrund, rot geflügelte Stärlinge, goldgrüne Schaumspritzer auf den Tümpeln." Zitat Seite 129 Der Roman erzählt die Geschichte von Carol Kennicott, einer jungen Frau mit Idealen, sie möchte etwas in ihrem Leben bewegen. Als sie 1910 einen Landarzt heiratet und mit ihm aufs Land zieht, nach Gopher Prairie in Minnesota, wird schnell deutlich, dass Carol sich hier inmitten der kleingeistigen und spießigen Bewohner nicht wohl fühlt. Die Menschen sehen in allen Zugezogenen nur Außenseiter, lästern über alles Neue und können kaum Toleranz aufbringen. Doch Carol lässt sich so schnell nicht entmutigen, sie ist engagiert genug und versucht immer wieder, durch Kulturangebote wie Tanzabende, Theater und Bibliothek frischen Wind in das öde Landleben einziehen zu lassen. Immer wieder scheitert sie, wird belächelt und bekommt nur schräge Blicke der anderen Bewohner zugeworfen. Weltgewandtheit kann man nicht vermitteln, es muss auch gewollt sein. Das gilt auch für ihren Ehemann, der anfangs noch von ihrer sprühenden Lebendigkeit begeistert war und sich auf dem Land wieder in einen spießigen Dörfler verwandelt, für den Frauen nur für Haushalt und Kinder zuständig sind. Es war ermüdend, wie häufig Carols Aufmüpfigkeit für Veränderungen ständig gegen eine Wand von Widerstand von Seiten der provinziellen Hinterwäldler lief. Es war ein Auf und Ab von Anpassung und Aufstand gegen die Engstirnigkeit der Kleinstädter. Daneben sorgten einige schöne landschaftliche Beschreibungen für etwas Abwechslung, doch weiterführende Handlungen konnte ich nicht erkennen. Insofern musste ich mich ziemlich durch das Buch mühen. Unterschiedliche Charaktere sind reichlich vorhanden, allesamt mehr oder weniger austauschbar. Vom Schreibstil her lässt sich der Roman sehr gut lesen, insgesamt ist er allerdings viel zu ausgeschmückt und weitschweifig, wenn man bedenkt, das einige Handlungen immer nach dem gleichen Schema ablaufen. Letztendlich ändert sich nicht viel an der Ausgangssituation in Gopher Prairie. Als der Roman 1920 erschien war er wohl ein "reaktionäres" Buch, heutzutage ist das nicht unbedingt nachvollziehbar. Für mich erscheint dieses Buch als eine Zustandsbeschreibung vom amerikanischen Mittelstand, den man auch heute noch in provinzieller Lebensart vorfindet. Allerdings kann man gesellschaftskritische Romane auch anders darstellen, dafür hätte dieses Buch den Nobelpreis für Literatur vielleicht nach heutiger Ansicht nicht unbedingt verdient. Doch darüber möchte ich mit keine Kritik anmaßen, die Zeiten für kritische Literatur haben sich jedoch gewaltig geändert, was man von den dargestellten urbanen Kleinbürgern nicht unbedingt behaupten kann. Die gibt es noch immer. Dieses Buch wirkt melancholisch und trägt durchgängig die Hoffnung auf Veränderung in sich. Die Protagonistin Carol ist kritisch, hinterfragt vieles, möchte Dinge verändern, darin ist sie schon fast fanatisch. Sie ist gegen das Spießertum, doch sie lebt ein ebensolches Leben. Es geht ihr um den Wert des Lebens. Doch sie kämpft gegen Windmühlenflügel an, ihre Bemühungen scheitern von Mal zu Mal. Ein lesenswertes Buch, bei dem man nicht nur viel Lesezeit und Geduld aufbringen muss, sondern sich auch mit dem zeitlichen Hintergrund befassen sollte, um es richtig zu verstehen. Auf den letzten 50 Seiten des Buches gibt es 253 Anmerkungen zum besseren Leseverständnis und ein erhellendes Nachwort von Heinrich Steinfest. Es geht um Emanzipation, den Wunsch nach Veränderungen, nach Modernisierung von Gesellschaft und Lebensqualität. Ein melancholisch wirkender Roman, der den Zeitgeist der 1920er Jahre wiedergibt und trotzdem heute noch aktuell erscheint. Insgesamt wirkt die Handlung allerdings recht langatmig, denn sämtliche Hoffnung auf Veränderungen zerplatzen wie Seifenblasen. Dennoch lesenswert und besonders.

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