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Rezension zu
Der Kult

Der Kult

Von: Miss.mesmerized aus Deutschland
29.07.2018

Im Dorf Gibbeah ist man schon lange nicht mehr gottesfürchtig, aber böse Omen kann man deuten und die Bewohner wissen, wann sie Angst haben müssen. Als bei der Messe ein toter Geier durch die Kirche fliegt und neben dem Prediger aufschlägt, ist dies so ein Moment. Dass kurze Zeit später dann auch noch Apostel York erscheint und den Prediger aus seinem eigenen Gotteshaus vertreibt, muss ein Zeichen des Himmels sein. Sie haben zu lange in Sünde gelebt und sind verkommen, doch der neue Gottesmann wird die Ordnung wieder herstellen und sie auf den rechten Pfad zurückführen. Ehebrecher werden bestraft werden, Opfer müssen erbracht werden und Tugend wird wieder Einzug halten. Doch nicht allen gefällt der neue Stil, vor allem Hector Bligh, der jahrelang in Ruhe über seine Gemeinde herrschte – oder eher, von dieser beim Saufen nicht gestört wurde und die geringen Erwartungen an seine Predigten fast erfüllte – will nicht kampflos dem Fremden das Feld überlassen. Der jamaikanische Autor Marlon James wurde durch seinen dritten Roman „A Brief History of Seven Killings“ um den Mordanschlag auf Bob Marley 2014 berühmt und gewann neben zahlreichen anderen Preisen auch den renommierten Man Booker Prize. „Der Kult“, im Original „John Crow’s Devil“, ist sein erster Roman, der bereits 2005 veröffentlicht wurde und zunächst unter dem Titel „Tod und Teufel in Gibbeah“ im Verlag F. Stülten erschien. Heyne Hardcore hat ihn 2018 unter anderen Titel neuaufgelegt. Schon nach wenigen Zeilen hat man den Eindruck, dass James eigentlich fürs Kino schreibt. Die Bilder, die er in seinem Roman hervorruft, sind ausdrucksstark und brutal und davon lebt die Geschichte: Zuerst kam der Krähenschwarm. Hunderte. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf, verdunkelten die Sonne und wurden zu einer sich ständig verändernden Sonnenfinsternis, die sich auf Gibbeah niedersenkte. Die Vögel flogen in einem schwarzen Zug die Straße hinauf, ihre Flügel schnitten durch den Wind und flößten sogar den kleinsten Kindern Angst ein. Man muss als Leser schon einiges aushalten, denn die Sprache ist vielfach nicht nur direkt, sondern geradezu derb und abstoßend. Aber dies wird der Situation des verkommenen jamaikanischen Dorfes zu Ende der 1950er Jahre gerecht. Daneben herrscht eine feine Ironie, mit der das Agieren des selbsternannten Apostels und das blinde Folgen der Bewohner ins rechte Licht gerückt wird. Sie folgen ihrem neuen Anführer, trotz der anfänglichen Bedenken, aber dank seines Charismas überzeugt er die Menschen und macht sie zu willfährigen Gefolgsleuten, die ihre letzten Zweifel bald aufgeben: (...) manche dachten, es sei ein Scherz. Der Rest von uns sagte, dass es ein Gottesurteil war und dass niemand dafür verantwortlich war als die beiden garstigen Neger, die den Tempel des Heiligen Geistes beschmutzt haben. Hinzu kommt, dass man in Gibbeah ein Exempel dafür statuieren muss, dass wir Menschen des HERRN sind und dass Ungehorsam nicht geduldet wird – das sagt der Apostel. Und so wird noch härter ausgepeitscht und die erforderlichen Tode sind ja letztlich alle im Sinne des Herrn. Der Kampf zwischen den beiden Widersachern wird bis auf Blut ausgefochten, denn es geht immerhin um die verlorenen Seelen, die errettet werden müssen. Man kann sich leicht vorstellen, wie ein ganzes Dorf in die Hände eines solchen Anführers gerät und die Augen vor dem offenkundigen verschließt. Aber es sind nicht nur die beiden männlichen Protagonisten, die interessant gezeichnet sind und denen man sprachlos folgt. Auch zwei weibliche Figuren wurden von Marlon James als außergewöhnliches Gegengewicht geschaffen und ihre Geschichten erzählen ebenfalls vieles über das Land und den Zustand nach dem 2. Weltkrieg. „Der Kult“ schafft das Paradoxon des anziehenden Abstoßenden. Man will das eigentlich gar nicht lesen, ist aber so fasziniert, dass man den Roman auch nicht weglegen kann.

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