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Rezensionen zu
Flüchtige Seelen

Madeleine Thien

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Janie kam als kleines Mädchen aus Kambodscha nach Kanada. Sie hat sich in Montréal ein Leben als erfolgreiche Neurologin aufgebaut, hat Mann und Sohn. Als ihr Mentor und Kollege Hiroji urplötzlich und spurlos verschwindet, macht sich Janie auf die Suche. Nach ihm und nach ihrer eigenen Vergangenheit - denn beides ist eng miteinander verknüpft. Beide haben ihre Geschwister während der Zeit der Roten Khmer verloren, beide haben schlimmste Traumata erlebt und können nicht abschließen mit der Vergangenheit, die tiefe Wunden in ihre Seelen gerissen hat. - Janie befasst sich beruflich mit Menschen, die ihre Erinnerung verlieren. Und kämpft selbst mit ihrer Vergangenheit, ihren Emotionen und vor Allem ihren Erinnerungen. Die Roten Khmer haben sie umgestrickt, die einzelnen Menschen. Haben die Geschichten neu geschrieben, Erinnerungen verändert, ganze Leben neu kreiert. Janie hatte mal einen anderen Namen, war jemand Anderes. Sie wurde gerettet aus Kambodscha, bekam eine neue Chance bei einer Pflegefamilie. Aber ihr Bruder, der ist verschwunden. Somit lebt ihre Vergangenheit in ihrer Gegenwart, denn sie kann nicht abschließen, ihre Fragen nicht klären - und ihre Scham darüber, dass sie, anders als vermutlich ihr Bruder, gerettet werden konnte zermürbt sie. Man folgt Janie auf ihrer emotionalen Reise in ihre Vergangenheit und ihre Erinnerungen, man springt zwischen Kanada und Kambodscha, zwischen dem Heute und dem Vergangenen. Manchmal ist es schwierig, sofort hineinzufinden in die Gedankengänge, in die Haken, die das Buch kapitelweise schlägt, in die Gedanken, die zwischen verlassenen Kindern, Gewalt und Schuldgefühlen springen. Aber diese Schwierigkeit braucht das Buch, denn sie spiegelt die emotionale Verfassung der Protagonistin wieder. Das Zerrissene, das Wirre - das macht sie aus, die Menschen, die einen Krieg erleben mussten. Sprachlich sehr leise aber unglaublich berührend erzählt Madeleine Thien von Schicksalen, die einen so schnell nicht mehr loslassen. Eigentlich steht Kambodscha hier nur stellvertretend für alle großen Konflikte unserer Welt - und Janie und Hiroji nur Beispiele für so Viele, die traumatisiert und emotional zerstört sind von Kriegen. Das Buch und seine Botschaft ist zeitlos, ein Spiegel für jede Generation, die Gewalt und Zerstörung erleben muss und die Konsequenzen mitnimmt in die Zukunft. Hier gibt es Krieg ohne plakative Gewalt, es wird nicht filmhaft gemordet, es fließt kein Blut. Poetisch und zwischen den Zeilen erlebt der Leser das Unfassbare, was Janie erlebt haben muss. Leise und emotional leidet man mit, erlebt die Qualen, die teils unglaublich grausamen Situationen, in denen die Protagonisten überleben mussten. Die Zerrissenheit, die Schuldgefühle, die ungeklärten Fragen nach der eigenen Identität, man kann ihnen nicht entkommen beim Lesen dieses Buches. Man kann es nicht weglegen, auch wenn es einem manchmal das Herz bricht. Und wenn man fertig ist, dann ist man trotzdem noch da, emotional gefangen von dem, was man dort mit Janie erleben musste.

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Wieder einmal habe ich mich bei der Wahl meiner Lektüre auf Litprom verlassen und den Gewinnerroman des LiBeratur Preises 2015 gelesen, ohne mich im Vorfeld genauer darüber zu informieren. Mit „Flüchtige Seele“ von Madeleine Thien habe ich einen anspruchsvollen und traurigen Roman über das oft lebenslängliche Leiden von Flüchtlingen gefunden. Leider war dieses hochaktuelle Thema in einer sehr emotionslosen Sprache erzählt, die mich nicht berühren konnte. Worum geht es? Als Janies Vorgesetzter und Mentor Hiroji von einem Tag auf den anderen spurlos verschwindet, macht sich Janie selbst auf die Suche nach ihm. Die Spur führt ausgerechnet nach Kambodscha, wo Hirojis Bruder vor vielen Jahren verscholl, nachdem er dort als Mitarbeiter für das Rote Kreuz tätig war. So wird Janie, die selbst als junges Mädchen vor der Roten Khmer aus Kambodscha floh, von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Warum habe ich es gelesen? Madeleine Thien wurde für „Flüchtige Seelen“ in diesem Jahr mit dem LiBeratur Preis ausgezeichnet. Mir war sie bis dahin völlig unbekannt. Da sie sich aber gegen starke Konkurenz durchsetzen konnte, wurde ich neugierig auf diesen Roman, der mit der Flüchtiglingsthematik ein dieser Tage so brandaktuelles Thema aufgreift. Wie war mein erster Eindruck? Vorallem ihre wunderschönen Sprachbilder, die in einem scheinbaren Gegensatz zur todtraurigen Geschichte stehen, hatten es mir sofort angetan. Ich las beispielsweise von einer Katze, die in „Sonnenscheinpützen“ badete und hatte sofort ein deutliches Bild dieser Szene vor Augen. Madeleine Thiens Umgang mit Sprache ist wunderschön und voller zarte Poesie, die dem Grauen, über das sie berichtet, etwas die Schärfe nimmt. Wie fand ich den Aufbau? Dicht verwebt Madeleine Thien in „Flüchtige Seelen“ Erinnerungsfragmente, fiktive Tagebucheinträge und Flashbacks zu einer atmosphärisch dichten Einheit. Immer wieder werden ihre Figuren von grauenhaften Szenen von ihrer Flucht und anderen Erinnerungen auf ihrer Vergangenheit unter der Terrorherrschaft der Roten Khmer eingeholt. Dabei gelingt es Madeleine Thien, dass ich stets den Überblick über Ort und Zeit behalte. Zu groß ist der Kontrast zwischen dem Heute im winterlichen Kanada und dem Gestern im schwülen kambodschanischen Dschungel. Zudem wechselt die Erzählperspektive je nach Gattung des Textes. Zwar ist der Hauptteil in der dritten Person verfasst; Tagebucheinträge und Erinnerungsfragmente sind jedoch teilweise Inder Ich-Perspektive geschrieben. Auch das sorgt für Klarheit dem Leser. Auch dass die einzelnen Kapitel jeweils einem bestimmten Charakter zugeordnet sind, erleichterte mir die Orientierung. So war stets klar, über wessen Vergangenheit und Erinnerungen ich nun lesen werde. Stück für Stück fügen sich so im Laufe des Romans die einzelnen Teile ineinander, bis ein komplexes vollständiges Bild entsteht. Wie fand ich die Charaktere? Madeleine Thien kommt in „Flüchtige Seelen“ mit gerade einmal sechs Charakteren aus, die alle wunderbar ausdifferenziert und komplex dargestellt werden. Was die Sache bisweilen etwas kompliziert erscheinen lässt, ist, dass alle Protagonisten verschiedene Identitäten annehmen, um unter der Roten Khmer und während der Flucht überleben zu können. Es erfordert etwas Aufmerksamkeit, um mitzubekommen, um wen es sich eigentlich handelt. Ich hatte hiermit während des Lesens jedoch nie ein Problem. Ich fand es interessant und spannend, zu erfahren, welche unterschiedlichen Leben die einzelnen Figuren bereits führten. Bisweilen hat man den Eindruck, dass es sich um einen vollkommmen anderen Menschen und eine vollkommen andere Zeit handelt, so unvereinbar erscheinen die verschiedenen Identitäten. Etwas schade fand ich jedoch, dass Madeleine Thien in einem relativ emotionslosen Stil die einzelnen Szenen jeweils nur von außen – einem reinen Beobachter gleich – beschreibt. So konnte ich mich nicht wirklich mit ihren Figuren identifizieren und blieb von dem Gelesen trotz all der Grausamkeiten erstaunlich unberührt. Andererseits zeigt jedoch auch sehr gut die innere Zerrissenheit, die Terror und Flucht bei Thiens Figuren ausgelöst haben. Bei all den furchtbaren Erfahrungen wie Folter, Gehirnwäsche und dem Tod naher Angehöriger, ist ihnen ein halbwegs normales Leben nur möglich, weil sie die Vergangenheit so gut es geht verdrängt oder vermeintlich anderen Personen zugeschrieben haben. Wie fand ich das Buch insgesamt? Mit „Flüchtige Seelen“ legt Madeleine Thien einen anspruchsvollen und traurigen Roman über ein ebenso ernstes wie aktuelles Thema vor. Am Beispiel Kambodschas unter der Herrschaft der roten Khmer zeigt sie auf eindrucksvolle Weise, was Terror und Flucht in einem Menschen bewirken. Auch lange nach ihrer Auswanderung ins sichere, ferne Kanada bleiben Thiens Figuren innerlich zerrissen, erleben immer wieder die dramatischen Szenen ihrer Flucht und ihres Lebens davor und scheitern hierdurch in ihrem neu aufgebauten Leben. „Flüchtige Seelen“ ist keine leichte Kost, die den Leser unterhalten will. Vielmehr ist es eine anstrengende Reise in die Gefühlswelt eines Menschen auf der Flucht vor einem unmenschlichen Staat in ein besseres, freieres Leben. Dabei verschweigt Madeieine Thien nicht, dass dies einigen gar nicht, anderen nur zum Teil und mit Einschränkungen gelingt. Im Ergebnis entsteht so ein ebenso komplexer wie ehrlicher und trauriger Roman über die unterschiedlichen Schicksale von Flüchtlingen, den ich erstaunlich schnell gelesen hatte und der mich noch lange beschäftigte. Das hochaktuelle Thema und die gekonnte, anspruchsvolle Umsetzung, ohne jede Form der Effekthascherei, überzeugen. Vollkommen zu Recht erhielt Madeleine Thien für dieses Werk den LiBeratur Preis. Gerade in diesen Tagen wünsche ich mir für „Flüchtige Seelen“ viele aufmerksame Leser.

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