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Rezensionen zu
Das evangelische Pfarrhaus

Cord Aschenbrenner

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Vor einigen Jahren kaufte ich ein Fachwerkhaus. Um auf dem Land zu sitzen und zu schreiben. Die leerstehende Pfarre in jenem kleinen Harzdorf war damals längst unrettbar dem Verfall preisgegeben. Wo aber Verfall ist, stellt sich bald ästhetisches Interesse ein. Und siehe, es kam eine Filmemacherin. Mit großen Augen, wie man sie von nachtaktiven Arten kennt, inspizierte sie die imposante Ruine und sprach: <em>Man muss sich Zeit nehmen für dieses Haus</em>. Bald klaubten wir alte Autographen, lose Buchseiten und akademische Urkunden aus einer riesigen hölzernen Truhe auf dem Dachboden. Derweil die Lettern eines Bibelzitates links neben der Haustür in feinen Scherbeln verwehten: <em>Verbum dei manet in aeternum</em>. Unser beider Ewigkeit indes, unser fatales Streben um eines gemeinsamen Filmes Willen, währte nur einige Monate. Leider missfielen ihr meine Textcollagen, die aus dem Off zu hören sein sollten. Da vertrieb ich sie, verletzt und enttäuscht. Ob die Filmemacherin weiß, wie protestantisch unser Zerwürfnis war, das sich doch dem Wort verdankte? Das Evangelische Pfarrhaus liegt wie ein Monolith in deutscher Geisteslandschaft. Als Hort bürgerlichen Lebens und Nukleus der deutschen Kulturnation wird es in einem Atemzuge genannt mit dem sprachschöpferischen Genie des Bibelübersetzers Martin Luther. Wohl stehen heute die Häuser, die als bauliches Substrat den weiten Kosmos des Evangelischen Pfarrhauses aufzunehmen, zu beschirmen hatten, oft genug leer. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland bietet gar auf einer eigens eingerichteten Seite brach liegende Pfarrgrundstücke samt Pfarrhäusern zum Kauf an. Und selbst in einem so prominenten Pfarrhaus wie jenem in Lützen, im Geburtshaus Friedrich Nietzsches, mag der Pfarrer der Gemeinde nicht wohnen und leben. Seit über einem Jahr ist es verwaist und die Gemeinde denkt über ein neues, letztlich nur mehr museales Nutzungskonzept nach. Die geistige Strahlkraft des Evangelischen Pfarrhauses ist demgegenüber ungebrochen. Mit fortschreitendem Niedergang der Institution scheint ihr Nimbus, ihre Aureole noch zu wachsen. Ambitionierte Publikationen der letzten Jahre zeigen dies eindrucksvoll. Erst jüngst ist der üppig ausgestattete Katalog <em>„Leben nach Luther – Eine Kulturgeschichte des Evangelischen Pfarrhauses“</em> zur großen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin 2013/2014 erschienen. Nun liegt bei Siedler eine weitere Kultur- und Sittengeschichte des Evangelischen Pfarrhauses vor: <em>Cord Aschenbrenner, Das Evangelische Pfarrhaus. 300 Jahre Glaube, Geist und Macht: Eine Familiengeschichte.</em> Wie aus dem Untertitel ersichtlich, entfaltet der Autor seinen Stoff am Exempel einer konkreten Pastorendynastie, der Familie Hoerschelmann, die bereits in der neunten Generation Pastoren hervorbringt. Im 18. Jahrhundert verließ der erste Hoerschelmann der überlieferten Familiengeschichte Thüringen, um im Baltikum sein Glück zu machen. Die russischen Ostseeprovinzen Estland und Livland sollten für knapp zwei Jahrhunderte die Wirkungsstätte der Hoerschelmann-Pastoren sein. Sie alle gehörten der privilegierten Schicht der Literaten an und verkehrten mit dem Adel, anders als etwa in Preußen, auf Augenhöhe. Einige von ihnen erlangten einflussreiche Positionen als Staatsrat, Hofprediger oder Professor. Aschenbrenners Buch ist eine gelungene, lebendige Darstellung der universalen Sendung des Evangelischen Pfarrhauses. Wessen der Landpastor und seine Frau sich annahmen, in Sorge um die ihnen anvertraute Gemeinde und die allgemeine Wohlfahrt im Dorf – Aschenbrenner zeigt es in anschaulicher, stoffreicher Weise: Der Pastor als Autor und Herausgeber gelehrter Periodika und Schriften, der Pastor als Naturforscher, Aufklärer und Sozialreformer, der Pastor als Lehrer und Arzt, als Bauer und Richter, nicht zuletzt der Pastor als Seelsorger, Vater und Familienoberhaupt. Auch als Vorsteher eines bildungsbürgerlichen Hauses, das als offenes Haus Gäste von nah und fern anzog und in dem Bücher und anspruchsvoller Diskurs ebenso geschätzt und gepflegt wurden wie Hausmusik. Besonderen Gewinn zieht der Leser indes aus dem Deutschbaltentum der Protagonisten des Buches. Die Deutschen als Angehörige der Oberschicht in Kurland, Livland und Estland waren bis ins 19. Jahrhundert hinein im Besitz von Vorrechten geblieben, die der Adel im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation längst verloren hatte. Sie hatten sich in bevorzugter Lage, weit ab von allen Aufgeregtheiten des Kontinents, selbstbewusst eingerichtet und reizvolle Spielarten und Ausprägungen deutscher Kultur hervorgebracht. <em>Martin Mosebach</em> beschrieb dieses Phänomen in einem Essay über den deutsch-baltischen Novellisten <em>Eduard Graf Keyserling</em> treffend unter der Überschrift <em>„Das Landgut als Lebensform“</em>. So war denn auch das Leben und Wirken der Landgeistlichen in Livland und Estland geprägt von geographischer, politischer und ethnisch-kultureller Exponiertheit. <em>„Das Leben auf den abgelegenen Gehöften, die Einsamkeit der Menschen scheinen Schwermut, seelische Erkrankungen und Selbstmorde in der Gemeinde gefördert zu haben“</em> schreibt Aschenbrenner. Ein Gegengewicht hierzu bildete das so genannte „ganze Haus“, wie es gerade in den Haushalten der livländischen und estländischen Pastorenfamilien sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein erhalten hatte: Einheit von Beruf und Familie, von Arbeiten, Wirtschaften und Wohnen, von Öffentlichkeit und Privatheit, von männlichem und weiblichem Prinzip. Das verdienstvolle Buch Cord Aschenbrenners lässt dieses ganze Haus anschaulich vor den Augen des Lesers wiedererstehen. Detlef M. Plaisier [Der Mann für den Text] dankt Johann Felix Baldig für diese persönliche Gastrezension.

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