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Rezensionen zu
Cold Spring Harbor

Richard Yates

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Das kleine bisschen Glück

Von: Tanja Jeschke aus Stuttgart

02.06.2016

Rezension Richard Yates: Cold Spring Harbor. Roman. DVA, München, 2015. 240 Seiten. 19.99 Euro. Von Tanja Jeschke Das kleine bisschen Glück Der US-amerikanische Autor Richard Yates brachte es mit seinen eindrucksvollen Romanen Zeit seines Lebens nicht zum Ruhm, gleichwohl er für Schriftsteller wie Richard Ford und Raymond Carver ein literarisches Vorbild war. „Cold Spring Harbor“ erschien 1986 als sein letzter sechs Jahre vor seinem Tod und liegt jetzt bei DVA in der ausgezeichneten Übersetzung von Thomas Gunkel vor. Es ist ein Roman, der Yates erneut unter die Hochkarätigen einreiht. Er liest sich wie eine vergilbte New Yorker Zeitung aus den 40gern, durch deren Seiten die zeitlose Sonne scheint. Alle sind sie von Anfang an gescheitert, seine Figuren, nur wissen sie es nicht, zumindest nicht so wie der Leser, der in der zwischen Ironie, Mitgefühl und Wehmut schwankenden Stimme des Erzählers heraushört, dass es hier um Illusionen geht. Um das kleine bisschen Glück, das so groß aussehen soll wie im Kino. Charles Shepard und seine Frau Grace, leben während des 2. Weltkriegs auf Long Island, sie als ein kränklicher Schatten im Hinterzimmer, er als Colonel, der er gern gewesen wäre. Ihr Sohn Evan erscheint aus ihrer Sicht als Tagedieb, nur interessiert an Mädchen und Automobilen. Doch kaum ist man in diese Geschichte eingestiegen, schwenkt die Kamera um und zoomt auf die Familie Drake, in der der Mann fehlt. Als Gloria Drake Charles kennen lernt, verfällt sie dem Schein des Noblen, der ihn umgibt, und zieht ungebeten in seine Nachbarschaft. Evan heiratet Rachel, ihre Tochter, die nicht dumm ist, aber blind sein will. Denn sie will es sich vorstellen können, das schöne gute Leben. Die beiden mieten für ihren Traum ein viel zu teures Haus, in das Gloria und der muffelige kleine Bruder Phil mit einziehen, und das kann ja gar nicht gut gehen. Yates gelingt es, die Atmosphäre im Haus wunderbar heraufzubeschwören. Die Versuche der neu zusammengewürfelten Familienmitglieder, mit Evan als Mann im Haus zurecht zu kommen, erscheinen wie das Hin- und Herschieben eines Mobiliars, das nie ihnen selbst gehört hat, und billig ist es auch. Allein das Meer, das in unmittelbarer Nähe gegen die Grenzen dieses kleinen Spießertums donnert, ist großartig. Bald schon betrügt Evan seine Frau mit seiner Ex, ernst meint er aber gar nichts. Fazit: Eine wahre Existenz ist nirgends in Sicht. Es ist ein Roman mit Klippen, die wie Badefelsen aus dem Wasser ragen. Es ist die Flut, die sie so gefährlich macht. Und Flut ist bei Yates immer.

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Was haben wir nicht alle für Lebenspläne. Eine Weltumsegelung, den Doktor-Titel, Haus bauen, Baum pflanzen, Kind zeugen. Wir machen Ideen für unser Dasein auf Erden, als ob sie wie auf einer Liste nur nach und nach abgehakt werden müssen. Wir ahnen nicht, dass wir auf Hindernisse stoßen könnten, zu denen das Leben selbst gehört. In seinem Roman “Cold Spring Harbor” erzählt der Amerikaner Richard Yates von Menschen, die Großes wollen, aber schlichtweg im Alltag versumpfen. Evan ist so ein Typ. Dabei standen die Chancen gar nicht so schlecht, obwohl er in der Jugend als unverbesserlicher Rüpel galt, der nicht nur Eltern, sondern auch die Polizei gehörig auf Trapp hielt. Er bekommt die Kurve, einen Job, eine Frau, ein Kind. Doch auf Liebe folgt Gleichgültigkeit, schließlich die Trennung. Allzu jung erschienen Evan und seine Freundin Mary als Paar, deren Eltern sich um die kleine Tochter kümmern werden. Während einer Fahrt mit dem Vater von Long Island nach New York lernt der junge Mann zufällig Gloria Drake und deren bildhübsche Tochter Rachel kennen. Es kommt wie es kommen muss: Evan und die vier Jahre jüngere Rachel werden ein Paar und heiraten nach einer sehr kurzen Verlobungszeit. Gemeinsam mit Gloria und Rachels Bruder Phil ziehen sie in ein marodes Haus auf Long Island, wo bereits Evans Eltern leben. Die stille Hoffnung, als Soldat im Krieg in Europa um Ruhm und Ehre zu kämpfen, platzt wie eine Seifenblase, da er während der Musterung als untauglich eingestuft wurde. Und sein großer Wunsch, ein Maschinenbau-Studium aufzunehmen, rückt ebenfalls in weite Ferne. Evan muss sich vielmehr um seine Frau und die künftige kleine Familie kümmern, denn Rachel wird schwanger. Spannungen zwischen den beiden und Gloria als trinkfreudige Quasselstrippe bleiben nicht aus, so dass es Evan wieder zurück in die Arme seiner Ex-Frau treibt. Blickt man jedoch etwas näher auf die anderen Charaktere, bemerkt man schnell, dass weitere Personen des überschaubaren Figuren-Ensembles ein Leben der ungenutzten Gelegenheiten führen. Allen voran Evans Vater Charles, der als Soldat (sicherlich glücklicherweise) 1918 den Ersten Weltkrieg verpasst hat. Nach Jahrzehnten als Berufssoldat auf mehreren Stützpunkten scheidet er aus dem Dienst aus und gibt sich mit einem bescheidenen Leben als kochender und putzender Hausmann sowie Pfleger seiner psychisch instabilen Frau zufrieden. Dabei hatte er die Chance, gemeinsam mit einem Kollegen ein hoffnungsvolles Geschäft aufzumachen. Und auch Rachels Mutter Gloria sitzt ihre Lebenszeit ab, lässt sich von ihrem Ex-Mann aushalten. Einzig und allein Phil, Rachels Bruder, scheint Einsatz zu zeigen: In den Sommerferien jobbt er auf dem Parkplatz eines Restaurants, um sich sein eigenes Geld zu verdienen. “Cold Spring Harbor” erschien 1986 als letztes vollendetes Werk des Amerikaners, der mit nur 66 Jahren 1992 verstarb. Obwohl Richard Yates mit seinem Debüt “Zeiten des Aufruhrs”, verfilmt von Samuel Mendes mit Kate Winslet und Leonardo Di Caprio in den Hauptrollen, bekannt, beliebt und mit großen Namen wie Salinger und Updike verglichen wurde, verblasste später sein Ruhmes-Stern. Der Schriftsteller Stewart O’ Nan erinnerte in einem Essay, erschienen im Oktober 1999 im Boston Review, an dessen Werk und brachte ihn so wieder in das literarische Bewusstsein zurück. Seit einigen Jahren veröffentlicht die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) Yates Werke. Auch eine Biografie mit dem Titel “Der fatale Glaube an das Glück” von Richard Moritz wurde herausgegeben. Yates letzten Roman zu lesen, bereitet viel Freude, führt aber auch zu einem gewissen inneren Kampf. Allerdings nicht, weil dieses Buch ungeraten ist. Ganz im Gegenteil. Schonungslos legt er die Schwächen seiner Helden offen, ihre Feigheit, ihre Stimmungswechsel, ihre Passivität. Sie schaffen es nicht, ihre Pläne, Wünsche, Hoffnungen in die Tat umzusetzen und die Weichen ihres Lebens selbstständig zu stellen. Lebenslügen werden aufrechterhalten der vermeintlichen Harmonie und des Scheines wegen. Als Leser will man nahezu die Charaktere packen und einmal kräftig durchschütteln. Yates Sprache ist kühl, manchmal auch drastisch, an vielen Stellen wiederum von einem unvergleichlichen Humor getragen. Der innere Kampf stellt sich schließlich ein, wenn man bemerkt, dass der Amerikaner nicht nur eine Geschichte erzählen lässt und Gesellschaftskritik anbringt, sondern er vielmehr jedem einen Spiegel vor das Gesicht hält. Zweierlei erscheint mit diesem Roman zudem erstaunlich: Er reiht sich ein in eine ganze Folge an erfolgreichen wie gefeierten Werken, die das einfache alltägliche Leben auf eindrucksvolle Weise beschreiben und in den letzten Jahren für viel Aufmerksamkeit gesorgt haben. Als Beispiel sei an dieser Stelle John Williams “Stoner” erwähnt. Und Yates Roman beweist, dass die Literatur im Allgemeinen über ein faszinierendes Gedächtnis verfügt, so dass auch für einst vergessene Autoren und ihr Schaffen die Zeit noch einmal kommen kann. In den vergangenen Jahren sind so manche Wiederentdeckungen gemacht wurden, die unsere Lesekultur so ungemein bereichern. Oft ist es tragisch für Schriftsteller, die ihren Erfolg und Wertschätzung nicht mehr miterleben dürfen. Ein unvergleichliches Geschenk ist es indes für die Leser, die großartige Werke erfahren dürfen. Damit einher geht indes eine große Herausforderung für Verlage wie Leser: Dass ein wieder entdeckter Autor nicht noch einmal vergessen wird.

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Auch wenn Yates in diesem Roman mit seinem Personal recht unsentimental umspringt, seine Schwächen messerscharf darstellt und weniger als sonst auch Mitgefühl und Wärme mitschwingen lässt – das Buch ist mitreißend, auch hochironisch, kein Wort zu viel. Yates, der Stilist, wusste, wie er sie zu setzen hatte.

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