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Rezensionen zu
Der Tag X

Titus Müller

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Titus Müller hat sich für sein neues Buch den Aufstand der Arbeiter in der DDR am 17. Juni 1953 vorgenommen, den man im Nachhinein als „Tag X“ bezeichnete. Herausgekommen ist ein dichter, authentischer Roman über die Widerstände in den Anfangsjahren des „real existierenden Sozialismus“, der allerdings auch ein paar Schwächen hat. Wie kam es dazu, dass am 17. Juni 1953 abertausende Menschen in Berlin, Leipzig, Halle und anderen Orten der noch recht jungen Deutschen Demokratischen Republik ihre Arbeit niederlegten und – mit ganz viel Wut im Bauch – auf die Straße gingen, die Auflösung der Regierung forderten, Steine warfen und sich den russischen Panzern entgegen stellten? Baute man nicht gemeinsam an der Verwirklichung einer Utopie des gemeinschaftlichen Zusammenlebens, in dem für jeden gesorgt ist? In der Theorie klang das rosig, doch die Realität sah anders aus: In den Monaten vor dem Aufstand waren die Waren knapp geworden, wer Brot, Butter oder Milch kaufen wollte, musste lange anstehen oder hatte Pech. Anstatt sich um die Grundversorgung der Bevölkerung zu kümmern, beschließt die Regierung eine Normenerhöhung: Für den gleichen Lohn sollen die Arbeiter mehr arbeiten und bessere Ergebnisse erzielen. Man möchte den Westen überflügeln, im in den Produktionserträgen voraus sein – auf der anderen Seite der Grenze befindet sich nach Meinung der Obrigkeit außerdem so etwas wie „Sodom und Gomorrha“. Doch das lassen die Arbeiter nicht mit sich machen, in den Betrieben wird es laut: „Wir brauchen keine Betriebsversammlung mit politischen Floskeln und Vertröstungen. Wir wollen konkret von Ihnen wissen, was die Betriebsleitung unternimmt, damit sich unsere Lebensbedingungen verbessern! Marx ist seit siebzig Jahren tot, und wir Arbeiter haben immer noch nicht genug zu essen auf dem Teller, und das im Staat der Arbeiter und Bauern! tag xMittendrin stehen auch Nelly, Wolf, Lotte, Katharina und Marc. Alle noch relativ jung und bereit, das System zu hinterfragen: Nelly engagiert sich in Berlin bei der jungen Gemeinde der evangelischen Kirche und wird daher kurz vor dem Abitur von der Schule geworfen. Wolf ist Uhrmacher, Sohn eines SED-Funktionärs und verliebt in Nelly; nachdem er sie zu einer Gemeindesitzung begleitet, wird er von der Stasi festgenommen und zur Mitarbeit gezwungen. Lotte ist alleinerziehende Mutter von drei Jungs und arbeitet als Putzfrau in einer Fabrik in Halle – als die Aufstände beginnen, stellt sie fest, dass in ihr ganz schön viel Wut über die Verhältnisse brodelt. Katharina und Marc geraten ebenfalls auf fatale Weise in die Demonstrationen. Und dann gibt es noch einen Erzählstrang aus der Sicht von Lawrenti Beria, dem früheren Geheimdienstchef der Sowjetunion, der nach Stalins Tod die Fäden in die Hand nehmen will und damit scheitert, sowie die Gedanken des russischen Spions Ilja, der damals für die Verschleppung von Nellys Vater nach Sibirien zuständig war und sie nun umgarnt. Was Titus Müller hier entstehen lässt, ist ein gut recherchiertes Sittenbild der frühen 1950er Jahre und der politischen Vorgänge in der DDR, in dem viele Fäden miteinander verbunden sind. Der Autor hat gut recherchiert, manchmal sogar zu gut: Da werden in Absätze, die wenig zur restlichen Handlung beizutragen haben, etwas bemüht etliche zeitgenössische Details hineingepropft – das wirkt schnell gestelzt und überfrachtet: Halle war ebenso die Universität. Der Dom. Händel. Man sah auf den Straßen Kohlenträger mit ihren schweren Kästen auf dem Rücken, Scherenschleifer, die ihre Wägelchen schoben, und vor einer Eisdiele die ersten Mutigen: Sie ließen sich ihre Eiskugeln auf muschelförmige Waffeln geben und setzten sich unter freiem Himmel auf die Stühle aus eisernem Gestell. Doch auch wenn diese Stellen den Lesefluss gelegentlich zum Stocken bringen, so verzeiht man es dem Autor: Auf knapp 400 Seiten entfaltet er ein alles in allem gelungenes Zeitporträt des Jahres 1953, das ich bis zur letzten Seite nicht mehr weglegen wollte! Eine Empfehlung für alle, die etwas mehr über die Hintergründe des Aufstands wissen möchten, ohne sich durch dröge Geschichtsbücher futtern zu müssen…

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