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Rezensionen zu
Die Rückkehr

Hisham Matar

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Dies ist ein stilles Buch, ein verzweifeltes, eines das stumm macht und weh tut. 1990 wird Matars Vater von der ägyptischen Regierung an den libyschen Diktator Gaddafi ausgeliefert. Dem vorausgegangen waren jahrelanges Untertauchen und Leben unter falschen Namen. In Ägypten glaubte die Familie sich halbwegs sicher, bis zu der Entführung Jaballa Matars. Nach dem Sturz Gaddafis und vor dem Bürgerkrieg öffnet sich ein Zeitfenster, dass eine Suche ermöglicht. Doch der Vater bleibt spurlos verschwunden. Hisham Matar versteht das Zusammenspiel von Nähe und Distanz. Er analysiert mit sorgfältig ausgewählten Worten sein Leben und seine Gefühle, die Hilflosigkeit und die Einsamkeit. Er gibt tiefste Einblicke in sein Seelenleben und bleibt doch unerreichbar in sich abgekapselt. Er hat innere Türen geschlossen, seit sein Vater nicht mehr da ist. Matars gesamte, sehr weitläufige Familie hat unter der Diktatur gelitten. Manche waren über 20 Jahre eingekerkert, wurden gefoltert, andere wussten jahrzehntelang nicht, ob der Vater, Bruder, Sohn noch lebt. Viele sind bei einem Gefängnismassaker umgekommen, andere im Widerstand. Die Suche nach dem Vater wird zu einer Reise, bei der Matar sich selbst und seine Wurzeln neu entdeckt. Und über allem schwebt die Erinnerung an den Vater.

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Dreissig Jahre lang hatte Hisham Matar das Land seiner Kindheit nicht mehr betreten, als er sich im März 2012 zusammen mit seiner Frau und seiner Mutter nach Libyen aufmacht, um herauszufinden, was mit seinem Vater geschehen ist, der in Gaddafis Gefängnissen verschwunden war. "Mutter wusste, dass mein Wille, herauszufinden, was geschehen war, zu einer Obsession geworden war." Hishams Vater, Diplomat, Politiker und Widerstandskämpfer gegen Gaddafis Regime, war im März 1990 vom ägyptischen Geheimdienst aus seiner Kairoer Wohnung entführt und an Gaddafi ausgeliefert worden (der Klappentext spricht fälschlicherweise davon, dass der libysche Geheimdienst ihn im Kairoer Exil mitten auf der Strasse entführt habe). Vor allem beschäftig den Sohn, wie es seinem Vater in den ersten Tagen, ja, den ersten Stunden der Gefangenschaft ergangen ist. Bei seinen Nachforschungen stösst er jedoch auch immer wieder auf kulturelle Eigenheiten, die seiner Wahrheitssuche entgegen stehen. "Als Erregung und Nervosität nichts zu sagen übrig liessen, taten wir, was die meisten Leute tun und worin die libysch-beduinische Gesellschaft besonders gut ist: Wir wiederholten die höflichen, unpersönlichen Allgemeinplätze und Fragen, die, so verlangt es die Etikette, nicht zu spezifisch sein dürfen, wobei der Hauptzweck darin liegt, dem aus dem Weg zu gehen, was die männlichen Mitglieder meiner Familie väterlicherseits stets sorgfältig vermeiden: Einmischung und Klatsch." In Libyen waren Geschichten im Umlauf, "die zu abstrus wirkten, als dass man sie glauben konnte", doch die sich als wahr erwiesen. So sollten sich etwa unter dem Gelände des militärischen Komplexes in Tripolis, in dem Gaddafi sich aufhielt, Gefängnisse befinden, in denen die heftigsten Widersacher des Dikatators eingesperrt waren, denn er "hatte seine grössten Gegner gerne nahe bei sich, um sie sich von Zeit zu Zeit ansehen zu können, die Lebenden wie die Toten. Gefriertruhen mit Leichen lange verstorbener Dissidenten wurden gefunden." Die Rückkehr findet in der Zeit nach Gaddafis Sturz und vor dem neuen Bürgerkrieg statt und beschert dem 42jährigen Hisham Matar auch ein recht aufreibendes Familienbesuchsprogramm. Er hat zwar nur einen Bruder, jedoch einhundertdreissig Cousins und Cousinen, die alle besucht werden wollen. Sein Onkel Mahmoud (geboren 1955), der jüngste Bruder seines Vaters (geboren 1939) verbrachte einundzwanzig Jahre in Abu Salim, dem berüchtigsten Gefängnis des Landes, und erweist sich als eine wichtige Informationsquelle. Er war auch ein grosser Leser, der immer wieder bestimmte Einzelheiten aus den Brüdern Karamasow, Candide oder Madame Bovary zitierte, "was er aus dem gleichen Grund heraus tat, der freie Menschen ein Buch erneut lesen lässt: um den Genuss zu wiederholen und zu vertiefen." Für mich, der ich so ziemlich gar keine Vorstellung von Libyen habe, ist Die Rückkehr eine höchst aufschlussreiche Lektüre. Und das hat nicht zuletzt mit den vielen Anekdoten zu tun, die Hisham Matar erzählt. So war etwa sein Vater Bayern München-Fan und wenn er ausser Haus war, nahm die Mutter die Spiele auf, auch die Fussballübertragungen im Radio, einschliesslich der zweiten ägyptischen Liga, sogar nachdem er entführt worden war. Die mir liebste Anekdote ist diese hier: "Ein achtzehnjähriger arabischer Muslim betete in einem englischen Pub für eine schottische Mannschaft, weil sie einen möglicherweise aus Afrika stammenden schwarzen Spieler hatte, während die libysche Familie des Muslims im Exil in Kairo die deutsche Mannschaft anfeuerte." Da Hisham Matar ein belesener Mann ist, kommt auch Literarisches nicht zu kurz. So zitiert er etwa Jean Rhys: "Nie würde ich zu irgend etwas gehören. Nie würde ich wirklich irgendwohin gehören, und das wusste ich, und mein ganzes Leben lang würde es nie anders sein - ich würde versuchen, irgendwohin zu gehören, und dabei scheitern. Immer würde irgend etwas schiefgehen. Ich bin eine Frede und werde es immer bleiben, und im Grunde genommen machte es mir so gut wie nichts aus." Er kommentiert das Zitat wie folgt: "Als ich diese Zeilen von Jean Rhys zum ersten Mal las, dachte ich, ja, und dann, fast sofort, ärgerte ich mich über dieses Einverständnis. Deshalb ist die Rückkehr in jenes frühere Leben wie das Entdecken eines Spiegelbildes an einem öffentlichen Ort. Deine erste Reaktion, noch bevor du es begreifst, ist Argwohn. Du kommst aus dem Tritt, findest aber gerade noch rechtzeitig das Gleichgewicht wieder." Er soll in der Bibliothek auftreten, ein Gespräch vor Publikum. Ein alter Mann aus dem Publikum stellt sich als Freund seines Vaters vor und übergibt ihm Kurzgeschichten, die dieser geschrieben hatte. "Ich wusste zwar von den Versuchen meines Vaters, Gedichte zu schreiben, hatte aber nicht geahnt, dass er sich als Student in Paris auch in Prosa versucht hatte." Auch erfährt er erst von Fremden, dass seine Mutter Mütter von politischen Gefangenen bei sich aufgenommen hatte. Die Rückkehr informiert auch über die Verbindungen des britischen Establishments mit Gaddafi sowie über die Besatzung Libyens durch die Italiener, die 1911 ins Land kamen und jeden sechsten Bewohner der Hauptstadt auf kleine Inseln rund um Italien, zum Beispiel die Tremiti-Inseln, Ponza, Ustica und Favignana, verschleppten. "Das Land sollte entvölkert werden. Die Geschichte erinnert sich an Mussolini als den clownesken Faschisten, den wirkungslosen, tumben Italiener, der im Zweiten Weltkrieg kaum überzeugte; in Libyen verantwortete er einen Genozid." Gegen Ende des Buches wähnt man sich plötzlich in einem veritablen Thriller. Nach neunzehn Jahren des Stocherns im Nebel, meldet sich ein Mann telefonisch bei Hisham – er habe seinen Vater gesehen, im Jahre 2002. "Noch nie hatte jemand behauptet, meinen Vater nach 1996, dem Jahr des Massakers gesehen zu haben. Wenn das stimmte ...". Der britische Aussenminister David Miliband und Gaddafis Sohn Saif al-Islam kommen ins Spiel ... Die Rückkehr ist ein bewegendes Buch.

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"Hier geschieht nie was. Aber wenn, dann schnell wie der Blitz. Dann lässt sich die Welt in einem Tag verändern. Es mag zweiundvierzig Jahre dauern, bis der Tag kommt, aber wenn..." Im Jahre 1979, zehn Jahre nach Gaddafis Machtergreifung, floh Hisham Matars Familie aus der libyschen Heimat. Hisham Matars Vater war unter König Idris Offizier der libyschen Armee und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem der bekanntesten Führer der Opposition gegen Gaddafis Regime. Die Familie lebte viele Jahre im ägyptischen Exil, wurde auch nach ihrer Flucht aus Libyen vom libyschen Geheimdienst überwacht und nahm einen neuen Namen an. Im Jahre 1990 wurde Hisham Matars Vater dennoch vom libyschen Geheimdienst entführt und in das berüchtigte Abu Salim-Gefängnis bei Tripolis gebracht. In den ersten sechs Jahren seiner Gefangenschaft gelang es dem Vater, drei Briefe an seine Familie aus dem Gefängnis zu schmuggeln, doch dann verlor sich die Spur, und seine Familie hörte nie wieder von ihm. Als im Zuge der libyschen Revolution im August 2011 Tripolis eingenommen und das Abu Salim-Gefängnis gestürmt wurde, konnte Hisham Matars Vater weder unter den Gefangenen von Abu Salim noch in anderen Gefängnissen gefunden werden: "Vater war nicht unter ihnen. Zum ersten Mal ließ sich die Wahrheit nicht mehr verleugnen. Es war klar, dass er erschossen, gehängt, verhungert oder zu Tode gefoltert worden war. Niemand weiß, wann, und die es wussten oder wissen, sind tot oder geflohen, haben zu große Angst zu reden, oder es interessiert sie nicht. War es im sechsten Jahr seiner Gefangenschaft, als seine Briefe aufhörten? War es bei dem Massaker in jenem Jahr in Abu Salim, als 1270 Gefangene zusammengetrieben und erschossen wurden? Oder ist er einsam und allein umgekommen, vielleicht im siebten, achten oder neunten Jahr? Oder erst im einundzwanzigsten, als die Revolution ausbrach? [...] Aber vielleicht war Vater ja gar nicht tot [...]. Vielleicht war er in Freiheit [...] und fand wegen eines Gedächtnisverlusts, weil er nicht mehr sehen, sprechen oder hören konnte, nicht zurück zu uns [...].". Hisham Matars Kindheit, Jugend und Erwachsenenleben waren somit geprägt von tiefer Unsicherheit und vom Unwissen, wie es seinem Vater ergangen ist. Im Jahr nach dem Sturz Gaddafis reiste er schließlich mit seiner Frau Diana und seiner Mutter nach Libyen. Er machte sich vor Ort auf die Suche nach Antworten über den Verbleib seines Vaters, sprach mit Verwandten, die zeitgleich inhaftiert waren, und traf andere Gefangene, um Licht in das Dunkel zu bringen. Hisham Matar erzählt in Die Rückkehr sehr eindringlich vom Verschwinden seines Vaters und von der Suche nach ihm und verwebt seine persönliche Geschichte mit der damit sehr eng verknüpften Geschichte Libyens. Dabei wechselt er immer wieder die Handlungsorte und die Zeitebenen, erzählt vom Leben seines Großvaters und seines Vaters sowie von seinen eigenen Erfahrungen und Erlebnissen in Libyen, Ägypten und Europa. Diese Zeitsprünge und Ortswechsel sorgen für viel Spannung und große Abwechslung, erfordern aber auch eine konzentrierte Lektüre dieses in schnörkelloser, aber stets gewählter Sprache geschriebenen Buches. Sowohl durch die Zeit- und Ortswechsel als auch thematisch und sprachlich ist Die Rückkehr meiner Meinung nach ein typisches Hisham Matar-Buch, in dem nicht nur eine fesselnde Geschichte erzählt wird, sondern in dem auch detaillierte Einblicke in die Geschichte Libyen ermöglicht und die Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen und das Leben im Exil thematisiert werden. Dabei sind die Schilderungen im Buch zwar detailliert, aber stets sachlich, so dass Hisham Matar zwar von Grausamkeiten, von Folter und Haft, von Entführung und Exekution erzählt, jedoch nie reißerisch wird. So zeichnet er ein authentisches Bild vom Leben in Libyen zu Zeiten Gaddafis und nach dessen Sturz, und zeigt deutlich, wie ein Leben in Gaddafis Land aussah und wie das Land nach dem Sturz des Diktators aus den Fugen geraten ist. Ich kann Die Rückkehr vorbehaltlos empfehlen und lege jedem Leser auch Hisham Matars Im Land der Männer und Geschichte eines Verschwindens sehr ans Herz. Hisham Matar: Die Rückkehr. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. Luchterhand Literaturverlag, 2017, 286 Seiten; 20 Euro.

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Große Literatur

Von: Anna

17.02.2017

Kurz zum Inhalt Hisham Matar wurde 1970 in New York geboren, dann ging die Familie zurück nach Libyen, doch als sein Vater – im aktiven Widerstand gegen das Gaddafi-Regime – immer mehr um seine Sicherheit und um die seiner Familie fürchten musste, emigrierte die Familie zunächst nach Kenia, dann nach Ägypten. Da war Hisham gerade einmal sieben Jahre alt. Hisham und sein Bruder Ziad absolvierten ihre schulische Ausbildung in Großbritannien und Hisham studiert anschließend in London. 1990 wird der Vater durch den Verrat des ägyptischen Geheimdienstes an Libyen ausgeliefert. Ein paar Jahre später verliert sich in dem berüchtigten Folterknast Abu Salim seine Spur endgültig. Weitere Verwandte des Autors, Onkel und Cousins, saßen ebenfalls zum Teil über 20 Jahre in diesem Gefängnis. Die erstmalige Rückkehr Hisham Matars in sein Heimatland nach 33 Jahren im Exil im Jahr 2012 bildet nun die Rahmenhandlung oder besser gesagt die Handlung, mit der unzählige andere Geschichten, Rückblenden, Betrachtungen und Exkurse verwoben sind. Meine Meinung Hier schreibt einer, der geradezu traumwandlerisch weiß, was er tut. Herausgekommen ist so viel mehr als bloß eine biografische Nabelschau. Es geht um die richtig großen Themen: Heimat, Entwurzelung, um den Mut, in einer Diktatur Widerstand zu leisten, das Wüten der italienischen Kolonialmacht in Libyen nach dem Ersten Weltkrieg. Es geht darüber hinau um die Liebe eines Sohnes und seine Erinnerungen an seinen Vater, die Liebe einer Familie zueinander, um Trauer und um das Gesicht des abgrundtief Bösen, das immer auch so unglaublich zynisch ist. Um den Kampf Matars, Informationen zum Verbleib seines Vaters zu bekommen. Von entscheidender Bedeutung sind auch Kunst, Bilder und Literatur, die einem dabei helfen können, nicht den Verstand zu verlieren. Matar macht einem bewusst, dass das, was er erzählt, in der Welt passiert, in der ich, in der wir gemeinsam leben. Libyen ist dann gar nicht mehr weit weg. Was ebenfalls frappiert: Kein Hass, keine Bitterkeit, stattdessen eine große Weite, eine große Klarheit und Anschaulichkeit, die keiner pathetischen Worte bedarf. Kurz: ganz große Literatur

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