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Rezensionen zu
Die Glücklichen

Kristine Bilkau

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In "Die Glücklichen" geht es um Isabell und Georg. Die beiden sind verheiratet und haben einen kleinen Sohn - der ist einfach zum Fressen, denn er fängt grade an zu laufen und ist einfach ein richtiger Sonnenschein. Der Roman zeichnet Szenen einer Ehe. Der Leser bekommt Stück für Stück mit, wie die Begeisterung aus der Beziehung entweicht, wie der Alltag immer schwieriger wird, wenn man zur "unteren Mittelschicht" gehört, der Job auf der Kippe steht und genauso das bisher gewohnte Umfeld. "Die Glücklichen" vermittelt einfach eine fantastische Atmosphäre - die Handlung ist in dem Buch gar nicht so spektakulär, es passieren keine großen Katastrophen und keine Riesenunglücke, die aus den handelnden Charakteren Protagonisten machen würden. Trotzdem habe ich in jedem Satz mitgelitten - mit jeder abgelehnten Bewerbung, jedem verpatzten Auftritt, jedem Verhandeln über einen Umzug auf's Land, weil man sich eine Stadtwohnung nicht mehr leisten kann... Und ich habe mich dabei erwischt, genauso in die Fenster zu schielen und meine Einrichtung mit der anderer Leute zu vergleichen und ihre Beschwingtheit zu beobachten, wie Isabell. Gezeichnet wird ein Bild über "sozialen Abstieg", der jedem von uns genau so geschehen könnte und der genauso in der Gesellschaft geschieht! Das Buch hat mich wahnsinnig beeindruckt und seine von Anfang an drückende Stimmung hat mich zum Nachdenken gebracht und mich nachhaltig beeinflusst. Hier haben wir ein zu recht ausgezeichnetes Debüt einer tollen Autorin!

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In dem Gesellschaftsroman “Die Glücklichen”, erzählt uns die Autorin Kristine Bilkau, die Geschichte des jungen Ehepaares Isabell und Georg, die mit ihrem kleinen Sohn Matti, ein vermeintlich zufriedenes Leben in einer deutschen Großstadt führen. Isabell ist Cellistin und arbeitet im Orchestergraben eines Musicaltheaters. Georg verdient sein Geld als Journalist einer Tageszeitung und so kann sich das Pärchen einen relativ hohen Lebensstandard leisten. Eine großzügige Altbauwohnung, Biolebensmittel, Besuche in schicken Cafés und Einkäufe in teuren Boutiquen, prägen ihren Alltag. Doch als Isabells Hände plötzlich zu zittern beginnen und die junge Frau das Problem nicht in den Griff bekommt, bestätigt sich ihre Vorahnung und sie verliert ihren Job als Musikerin. Auch Georgs Stelle wird wegrationalisiert und so müssen die beiden versuchen, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Während Georg nach Lösungen sucht und überlegt mit seiner Familie aufs Land zu ziehen um Geld zu sparen, will Isabell nicht auf ihr wohlsituiertes Leben verzichten und kauft weiterhin in Delikatessenläden ein. Die Spannungen zwischen Isabell und Georg wachsen stetig, stumme Vorwürfe und Schweigen schleichen sich in die Beziehung und die Probleme werden verdrängt, in der Hoffnung, dass alles wieder so wird, wie es einmal war. Die depressive Stimmung verschärft sich, bis Isabell schließlich durch einen Schicksalsschlag aus ihrer Lethargie gerissen wird. Trotz der minimalistischen Handlung, konnte mich die Autorin bereits nach wenigen Seiten, mit ihrer äußerst realistischen Geschichte begeistern, denn sie hat es geschafft, eine überzeugende Studie dieser privilegierten aber ängstlichen Generation zu zeichnen. Die Situation des Ehepaares, ihre Ansprüche und ihre Sorgen, werden so glaubhaft geschildert, dass man sofort in das Leben der beiden jungen Menschen eintauchen kann. Wir begleiten ein gewöhnliches Paar, das seine finanzielle Sicherheit verliert und in ein Gefühlschaos aus Existenzängsten stürzt. Der Leser kann miterleben, wie sich vor allem Isabell zunehmend verändert. Während das Geld immer knapper wird, werden die gegenseitigen Vorwürfe immer größer und die junge Frau wird immer reizbarer. Auch ihr Hass gegen die sparsame und hilfsbedürftige Schwiegermutter steigt. Mit der Zeit konnte ich Isabells egoistisches Handeln allerdings nicht mehr nachvollziehen. Die junge Frau wurde mir immer unsympathischer, denn ich empfang ihr Verhalten als anstrengend und selbstgerecht. Anstatt zueinander zu stehen und miteinander zu reden, ist jeder mit seiner eigenen Person beschäftigt, was schließlich zu einer Zerreißprobe für die Beziehung wird. Der Leser wird während der Geschichte, immer wieder dazu gebracht, über das eigene Leben nachzudenken und ich habe mich mehrmals gefragt, in welchem Maße mich äußere Umstände und materielle Verluste beeinflussen würden. Das Leben unterliegt permanenten Veränderungen und obwohl man sich diesen Umstand nicht jeden Tag bedrohlich vor Augen halten sollte, wäre es ratsam, sein Glück in kleinen Dingen zu suchen, fernab von Geld und sozialem Status. Genau diese Botschaft hätte ich den beiden Protagonisten sehr gerne vermittelt und sie wachgerüttelt. Der Roman lebt aber nicht nur von vielen Gedankenstößen und klugen Formulierungen, sondern auch von einem großartigen und klaren Schreibstil, denn das Buch ist sprachlich sehr ansprechend gestaltet. Die Autorin erzählt jeweils ein Kapitel aus Isabells und eines aus Georgs Sicht und so bleibt die Geschichte lebendig und die beiden Perspektiven ermöglichen einen noch intensiveren Einblick in die Gefühlswelten. Vom Ende des Romans war ich überrascht und ein wenige enttäuscht, denn ich hatte andere Erwartung an den Ausgang der Geschichte. Somit blieb für mich leider die Fragen offen: Werden die beiden wohl irgendwann erkennen, dass sie trotz Höhen und Tiefen im Leben, „die Glücklichen“ sind?

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„Die Glücklichen“ führt uns hinter die Kulisse der In-Viertel einer jeden Großstadt. Zwischen chicen Bistros, Blumenläden und Modeboutiquen und hinter sanierten Jugendstil-Fassaden – da lauern die Sorgen. Da ist die Angst vor dem sozialen Abstieg. Isabell und Georg leben seit Kindertagen in dem Stadtteil – zu einer Zeit, in der es noch eine normale Wohngegend war und kein unbezahlbares Viertel. Doch die Aufwertung des Stadtteils bereitet ihnen Probleme. Isabell ist Cellistin und kann wegen eine zitternden Hand nicht mehr auftreten, Georg ist Journalist und wird entlassen. Auf einmal können sie sich ihr eigenes Leben nicht mehr leisten. Georg möchte aussteigen, auf dem Land leben, träumt von einem Cottage in Irland und sieht sich Reihenhäuser in einer Vorstadt an – Isabell geht trotzdem in den Bistros Mittagsessen und kauft überteuerte Marmelade im Bio-Feinkostladen und Designer-Ware. Die Beziehung steuert auf ihr Scheitern zu. Trotz der teils verschachtelten Sätze bedient sich Bilkau in ihrem Debüt-Roman einer klaren Sprache, die der Melancholie der ganzen Situation einen passenden Raum verleiht. Während die beiden Protagonisten durch die Straßen spazieren und in die beleuchteten Fenster blicken, zeichnet Bilkau ein Gesellschaftsbild. Wie möchten wir leben? Was macht ein gelungenes Leben aus? Wie sehr orientieren wir uns dabei an anderen? Und was können wir uns eigentlich leisten? Das sind die zentralen Fragen des Romans. Dabei wird die Autorin nie von außen wertend, sondern beschreibt empathisch die Gefühle Isabells und Georgs. „Die Glücklichen“ ist ein wichtiger Roman für unsere heutige Zeit. Eines meiner Lesehighlights des Jahres 2015.

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Das Gerücht macht schon lange die Runde. Für unsere Generation junger Leute von heute ist nichts mehr einfach - nichts mehr vorgeschrieben, nicht mehr vorgegeben. Großeltern sind oft irritiert, wenn Sie über Studienfächer und Lebensplanung informiert werden. Die Jugend gönnt sich heute ein Austauschsemester, ein Gap Year, etwas Selbstfindung, etwas dort. Natürlich sind wir um unsere große Freiheit ein Stück weit zu beneiden: wir können alles schaffen (wir müssen nur wollen). Leider sind die Großeltern gleichermaßen oft nicht nur irritiert, sondern auch alarmiert, wenn das Enkelchen Jahre nach dem sehr guten Hochschulabschluss immer noch nicht in trockenen Tüchern ist. Doch kann man eigentlich überhaupt in trockene Tücher kommen und dann auch bleiben? Geht das? Kristine Bilkau beschreibt ein solches Paar, das zwar im Leben angekommen zu sein scheint, aber auch wieder nicht. Sie ist Cellistin und hat nach der Babypause ihre alte Sicherheit im Spiel noch nicht wiedergefunden. Wir überall kürzen die Orchester Geld und Stellen. Sie kann es sich nicht leisten zu schwächeln. Er fremdelt noch mit dem Vatersein und seine Stelle als Redakteur ist in Gefahr, weil die Zeitung bei der er arbeitet, verkauft werden soll. Der Druck auf beide nimmt unaufhaltsam zu, aber sie können nicht miteinander reden, ohne das Leben das sie führen zu demontieren. Beide aber träumen sich hinaus. Sie verfolgt das Online-Fotoalbum einer unbekannten Amsterdamer Märchenbuchfamilie und er grast Immobilienportale ab, um den finanziellen Druck vielleicht durch billigeres Wohnen in der Vorstadteinöde abzulassen. Und der Leser sitzt daneben und schaut zu, wie beide mehr und mehr Zuversicht und Lebenskraft verlieren und wie sie nach einem Ausweg suchen. Nur wo könnte der sein? Landflucht? Kaufsucht? "Die Glücklichen" zeigt, dass diese Leute, die mit allen Möglichkeiten der modernen Gesellschaft gesegnet sind, leider überhaupt nicht glücklich und aus ihrem Leben verdrängt werden, wenn ihnen nicht bald etwas einfällt. Kristine Bilkau entfaltet peu a peu existenzielle Nöte und trifft die Leute von heute ins Mark. "Die Glücklichen" wurde seit seinem Erscheinen vor etwa einem Jahr mehrfach preisgekrönt - zu Recht!

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Spoiler Es gibt Bücher, die mich und mein Leben ganz unmittelbar berühren. »Die Glücklichen«, der Debütroman der Journalistin Kristine Bilkau, ist solch ein Buch. Als im Frühjahr die ersten Rezensionen auftauchten, wusste ich sofort, dass ich dieses Buch lesen will. Sind sie wirklich glücklich die Glücklichen? Isabell und Georg wohnen in einem nicht genannten Großstadtviertel, das »angesagt« ist für junge Akademikerfamilien und für die Selbständigen in kreativen Berufen. Schon auf den ersten Seiten hatte ich den Berliner »Prenzlauer Berg« vor Augen, die Gründerzeitfassaden, das Grün, die Cafés und die vielen jungen Familien, die mir dort begegnet sind. Isabell und Georg entsprechen jedoch nicht ganz dem Klischee für solche Stadtteile. Sie sind keine Zugezogenen, sondern wohnten schon als Kinder dort. Isabell zog als Zehnjährige mit ihrer Mutter in die Wohnung, in der sie jetzt mit Georg und dem einjährigen Sohn Matti lebt. Georg wuchs im Viertel auf, seine Eltern besaßen einen Laden für »Rundfunk und Fernsehen« und waren angesehene Geschäftsleute bis die großen Elektromärkte ihnen Konkurrenz machten. Isabell spielt Cello in einem Musicalorchester, Georg arbeitet als Journalist für eine große Tageszeitung. Ihren Sohn Matti betreuen sie wechselseitig, Georg am Abend, wenn Isabell Auftritte hat und Isabell am Tage während Georg in der Redaktion ist. Sie gehören dazu, unterscheiden sich mit ihrer Lebensweise nicht von den meisten Bewohnern des Viertels. Sie leben in einer großen Altbauwohnung, besitzen ein Auto, fahren mehrere Male im Jahr in den Urlaub. Kleidung und Nahrungsmittel, vor allem für das Kind, werden nach ökologischen und nachhaltigen Kriterien ausgesucht. Sie können sich ein angenehmes Leben leisten, müssen nicht darüber nachdenken, ob sie sich den Espresso im Straßencafé leisten können oder die Brötchen, die nicht mehr vom Bäcker kommen sondern aus einer »Brötchenmanufaktur«. Das klingt nach einem perfekten Glück, ist es aber nur für den Betrachter von außen. Da sind die Veränderungen im Quartier. Die Fassade des Hauses von Isabell und Georg wird als eine der letzten im Stadtteil saniert. Die Handlung setzt ein als ein Baugerüst vor den Fenstern der Wohnung steht. Noch gibt es die alteingesessenen Nachbarn, aber wie lange noch? Im Berliner Stadtteil »Prenzlauer Berg« lag das Durchschnittseinkommen Anfang der 90er Jahre 20% unter dem Ostberliner Durchschnitt, 2007 war es schon auf 5 % über dem Gesamtberliner Durchschnitt geklettert. Weniger als 30% der Stadtteilbevölkerung wohnen seit über zehn Jahren in ihrer Wohnung. Besonders in den teureren Wohngegenden um Kollwitz- und Helmholtzplatz sind heute dreiviertel der erwachsenen Bewohner Akademiker. Laut Marc-Uwe Kling ist wer das Wort Gentrifizierung kennt, Teil derselben. Das trifft sicher auch auf Isabell und Georg zu. Anfangs registrieren beide nur beiläufig die Entwicklungen in ihrer Nachbarschaft. Sie bedauern es, dass die Bäckerei einer Brötchenmanufaktur weichen musste, stehen aber dennoch an, um die Brötchen, die hinter einer Glasscheibe per Hand geformt werden, zu kaufen. Vor allem ist jedoch Isabells Glück gleich am Anfang des Romans sehr fragwürdig, da die Cellistin sich mit Auftrittsängsten herum quält. Ihr zittern die Hände beim abendlichen Spiel seit sie nach Mattis Geburt wieder in den Beruf eingestiegen ist: Doch im Theater kehrt die Angst zurück, jeder Abend ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, kein unkontrolliertes Zittern, nein, es kommt auf den Punkt genau, wenn sie verwundbar ist. Als würde sie es selbst hervorrufen. Mit Kügelchen oder Johanneskrautkapseln gegen die Anspannung, vergebliche Versuche, von Betablockern wird sie die Finger lassen, das endet bei ihr mit Schwindel und Übelkeit. Zitat, Seite 79 Mit diesen Problemen ist Isabell nicht allein. Unter Berufsmusikern gehört Lampenfieber, dass auch mit Betablockern bekämpft wird, bei vielen zum Alltag. Der Leistungsdruck ist gerade in diesem Beruf sehr hoch und Isabell, die immer schon darum bemüht war, nichts »falsch« zu machen, hält ihm nicht mehr stand als sie Mutter wird. Um sie herum sind alle damit beschäftigt, sich und auch den Nachwuchs so gut es geht zu optimieren. Keine Schwächen zeigen, Scheitern ist nicht erlaubt. Im Café jammerten die Mütter, um sich zu verbünden, aber es war ein harmloses Jammern, bevor es wirklich ehrlich wurde, wandelten sich die Gespräche, die Frauen wiegelten ab, es sei ja doch alles schön, und überhaupt, sie steckten das weg, wie, wüssten sie nicht, das wäre halt so… Zitat, Seite 58 Noch sind die Glücklichen glücklich, wenn man Glück allein über Lebensstandard und berufliche Positionen definiert. Der kleine Matti ist eine Glücksquelle für das Paar, auch wenn seine Bedürfnisse und das besondere Betreuungsmodell die Kommunikation miteinander erschweren. Aber über der Idylle scheint ständig die unausgesprochene Frage zu schweben, wie lange sie wohl noch anhält. Wie lebt es sich mit dieser Angst? Isabell und Georg reagieren vor allem mit der Flucht in Traumwelten, mit weiterer Selbstoptimierung und Verleugnung von Ängsten. Georg schaut sich im Internet gern einsam gelegene Häuser an, die zum Verkauf angeboten werden. Er träumt von einem Leben als Aussteiger. Als Journalist interviewt er einen ehemaligen Manager, der mit seiner Frau als Selbstversorger auf dem Land lebt. Georg schwankt dabei zwischen Bewunderung und Ungläubigkeit, ob es wirklich möglich ist, dass für ihn normale Leben zu verlassen und dabei glücklich zu sein. Isabell sucht im Internet immer wieder die Seite einer Familie mit mehreren Kindern auf und empfindet Neid angesichts dieser scheinbar perfekten Idylle. Dem Zittern beim Cellospiel glaubt sie anfangs mit Autosuggestion begegnen zu können. Schließlich lässt sie sich krank schreiben, redet sich und vor allem anderen ein, dass ihr Arm vom vielen Spielen überlastet ist. Physiotherapie soll helfen. Über ihre Ängste und ihren inneren Stress kann sie mit niemanden reden, selbst mit Georg nicht. Der soziale Abstieg beginnt schleichend Noch bekommt Isabell Lohnfortzahlung und Krankengeld. Aber ihr befristeter Vertrag wird nicht mehr verlängert. Georgs Arbeitsplatz wird in Folge der Zeitungskrise weg rationalisiert. Plötzlich sind beide zu Hause. Der Postbote bekommt schnell mit, dass er hier seine Pakete für die Nachbarschaft abgeben kann. Matti erhält überraschender Weise einen Platz in der KITA. Das tägliche Bringen und Holen sowie Isabells Physiotherapiestunden sind die einzigen Routinen in diesem nun sehr gleichförmig gewordenen Alltag. Georg und Isabell fühlen sich plötzlich immer fremder in ihrem Wohnviertel. Die Mütter auf dem Spielplatz fragen sich bestimmt schon, wieso der junge Vater regelmäßig am frühen Nachmittag mit seinem Sohn im Sandkasten sitzt. Die Biokiste wird abbestellt, der Vertrag mit dem Fitnessstudio gekündigt, der Ostseeurlaub findet nicht mehr im Strandhotel sondern in einer engen Ferienwohnung unter dem Dach statt. Auffällig ist, dass Georg und Isabell nicht miteinander sprechen können. Das führt erst zu unausgesprochenen Vorwürfen an den anderen und später zu ausgesprochen Kränkungen. Die Liebe leidet. Krisenbewältigung Die Abstiegsängste, den beginnenden Abstieg, das alles beschreibt Kristine Bilkau sehr authentisch. Ein bisschen erinnert mich die allmählich ansteigende Bedrohung der bürgerlichen Existenz, dieses zuerst nur befürchtete dann aber immer wahrscheinlicher werdende Zerbrechen der »heilen Welt« an Judith Hermanns »Aller Liebe Anfang«. Ich kann die Ängste der »Glücklichen« sehr gut nach vollziehen, auch wenn ich älter bin und meine Sozialisation woanders stattfand. Anders als die Generation meiner Eltern, die hier im Osten nach der Wiedervereinigung vielfach entweder arbeitslos wurde, in den Vorruhestand ging oder sich bis zur Rente von einem prekären Job zum nächsten hangelte, waren wir jung genug, um unseren Platz in der Arbeitswelt zu finden. Die gesicherte Lebensexistenz wurde mit den Jahren zur Selbstverständlichkeit, die durch alle Wirtschaftskrisen hindurch auch nie ernsthaft bedroht war. Wir wohnen in einem ähnlichen Viertel wie die Protagonisten von Kristine Bilkaus Roman. Es ist (noch) nicht ganz so hip, es gibt keine Szenekneipen, keine Geschäfte mit Luxusartikeln. Neben den Gründerzeitvillen stehen Plattenbauen in den vom Krieg geschaffenen Baulücken. Als wir hierher zogen waren die Mieten moderat und wir waren die einzigen Interessenten für unsere Wohnung. Seit ein paar Jahren steigen die Mieten rasant, die Autos am Straßenrand werden größer und luxuriöser. Es gibt keine unsanierten Häuser mehr, auf Brachflächen entstehen Wohnparks mit Eigentumswohnungen. Wir mussten mit dem Wort »Eigenbedarf« unsere Erfahrung machen und wie schnell ein subjektives Sicherheitsempfinden verloren gehen kann. Isabell und Georg sind mir nah mit ihrer Angst vor einer unsicheren Zukunft und ich war sehr neugierig, wie Kristine Bilkau die Beiden ihre ganz persönliche Lebenskrise bewältigen lässt. Irgendwie hatte ich immer die Befürchtung, alles könnte kitschig enden. Isabell findet zum Beispiel einen verschlossenen Tresor in ihrer Wohnung. Ist darin vielleicht ein Schatz verborgen? Aber der Tresor lässt sich nicht öffnen, Georg bekommt auch keine neue Arbeit und Isabell ist vorerst arbeitslos und gibt es auf, irgendwo vorzuspielen. Während sie ihre Situation trotzig verdrängt, ihren aufwendigen Lebensstil weiter pflegt und wenn sie an Grenzen stößt in Depressionen verfällt, sucht Georg panisch nach einem Ausweg. Er denkt zunächst pragmatisch, dass eine Stelle als Lokalreporter an einer Provinzzeitung und ein kleines Häuschen in einer Kleinstadt doch kein Weltuntergang sind. Er beginnt Einnahmen und Ausgaben durch zu rechnen und überlegt, wo gespart werden kann. Als er sich für eine Stelle bei einer Luxus-Immobilienzeitschrift bewirbt, merkt er jedoch das erste Mal, dass sein Pragmatismus Grenzen hat. Isabell ist offenbar überhaupt nicht bereit, seinen Weg mit zu gehen, sie will weiterleben wie bisher. Aber wie soll das gehen? Isabell scheint von Georg zu erwarten, dass er wieder einen gut bezahlten Job findet. Seine zaghaft abtastenden Versuche, auch ein Aussteigerleben in Erwägung zu ziehen, teilt er ihr erst gar nicht mit. Beide können immer weniger miteinander über ihre persönlichen Empfindungen sprechen. Erstaunlich ist es aber, dass Isabell die Selbstoptimierung als Cellospielerin in der persönlichen Krise aufgibt und nicht weiter an den Problemen mit ihrem Arm arbeitet. Das ist sicher zunächst depressiven und resignativen Gefühlen geschuldet, bedeutet für mich aber einen Ausgangspunkt zur Bewältigung der Konfliktsituation. Schließlich kommt es, wie des Öfteren im Leben, zu einer weiteren Herausforderung und während Georg zunächst eine Art Burnout erleidet, werden in Isabell versteckte Ressourcen geweckt. Endlich können beide auch wieder mehr miteinander reden. Es bleibt dennoch offen, wie Isabells und Georgs Weg weitergehen wird. Eine Patentlösung, wie man mit der zunehmenden Unsicherheit und den schnellen Veränderungen in der Arbeitsumwelt oder auch mit den Verdrängungsmechanismen auf dem Wohnungsmarkt umgehen sollte, bietet Kristine Bilkau nicht an. In einem Interview rät sie ihren Protagonisten, mehr in der Gegenwart zu leben. Wichtig erscheint es mir, sich zunächst einzugestehen, dass man eigentlich gar keine Veränderung möchte und eine Art Trauerprozess besser ist als die Flucht nach vorn mit unrealistischen Plänen. Ein Leben als Selbstversorgerin oder Auswandern schwebt mir in Krisensituationen auch immer mal vor, realistisch ist das aber nicht und genau betrachtet eher eine Flucht als eine Lösung. Einen Plan, den hat er trotzdem nicht. Er hat keine Alternativen, und er will sie auch nicht. Er will das Leben mit Isabell und Matti, das sie hier führen. Wenn sie das nicht schaffen, wird es wehtun. Das kann er sich endlich eingestehen: Es wird wehtun, Isabell wusste es die ganze Zeit. Zitat, Seite 292 Wie glücklich sind die Leser mit den »Glücklichen« – Generationenroman oder belanglos? Im Frühjahr gab es zahlreiche positive Besprechungen der »Glücklichen« in den Feuilletons und auf Literaturblogs, die das Buch teilweise als Generationenroman feierten. Dementsprechend groß war bei vielen die Enttäuschung als das Buch nicht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis erschien. Inzwischen erhielt Kristine Bilkau aber zwei Literaturpreise für ihr Debüt: den Franz-Tumler-Literaturpreis und den Klaus-Michael Kühne Preis. Gemessen an anderen Büchern, die auf der Longlist standen wie zum Beispiel Anke Stellings »Bodentiefe Fenster« hätte »Die Glücklichen« sicher auch einen Platz auf der Longlist finden können. Die nun gewonnenen Preise erscheinen mir aber passender, zumal diese das beste deutschsprachige Debüt und den besten Nachwuchsschriftsteller ehren. Sind Isabell und Georg nun typische Vertreter ihrer Generation? Einschränkend würde ich zumindest sagen, dass die »Generation Null Fehler«, wie der Soziologe Heinz Bude die heute 35- bis 45jährigen nennt, vor allem die Angehörigen der akademischen Mittelschicht charakterisiert. Darüber und darunter gibt es zwar auch viel Angst, kennzeichnend für die sogenannte mittlere Gesellschaftsschicht ist aber der Optimierungswahn, die Angst vor Fehlern, vor dem Scheitern. Der Erfolgsdruck, welcher sowohl das Arbeitsleben, die Beziehung und auch die Familie betrifft, verlangt nach Vervollkommnung in allen Lebenslagen. Das erzeugt Versagensängste und Schuldgefühle, wenn plötzlich nicht alles nach Plan verläuft. In einem Interview mit dem »Spiegel« sagt Heinz Bude: Die Kriegsgeneration hatte das Schlimmste hinter sich, die heute 40-jährigen glauben, dass sie es noch vor sich haben. Tatsächlich ging es für die Elterngeneration nach dem Krieg wirtschaftlich stetig aufwärts. Es konnte eigentlich nur besser werden oder zumindest so bleiben wie es ist. Technologieveränderungen, Wirtschaftskrisen und gesellschaftliche Veränderungen wie im Osten nach 1990 machten aber zumindest vor den Jahrgängen, die kurz nach dem Krieg geboren wurden, auch nicht Halt. Georgs Eltern, die ein erfolgreiches Geschäft für Rundfunk und Fernsehen im Viertel betreiben, stehen der zunehmenden Konkurrenz durch Elektronikmärkte hilflos gegenüber und müssen schließlich den Laden aufgeben. Sie tun allerdings alles dafür, dass aus ihrem Sohn ein gesellschaftlicher Aufsteiger wird und nehmen für die Finanzierung seines Studiums sogar einen Kredit auf. Heute geht bei Mittelschichtseltern vor allem die Angst um, dass die Kinder im Erwachsenenleben ihren gesellschaftlichen Status verlieren könnten. Optimierung schon kleiner Kinder, um einen Abstieg auf jeden Fall zu verhindern, ist fast schon gesellschaftlicher Konsens. Woher kommt dieser allgegenwärtige Vervollkommnungswahn? Hier im Osten spielt sicher auch der bei jüngeren Menschen nachwirkende Schock eine Rolle, als nach 1990 massenhaft Arbeitsplätze wegfielen. Es war eine vollkommen neue Erfahrung, dass Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr sicher sind, während es für die »Generation Praktikum« schon zu Beginn ihres Berufslebens offensichtlich wird, dass man ohne Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt nicht bestehen kann. Die heute 35- bis 45jährigen haben jedoch am Anfang ihrer beruflichen Karrieren durchaus noch Sicherheit kennengelernt, auch wenn die großen Krisen schon zu erahnen waren. Georg und Isabell lassen sich gut dieser »Generation Null Fehler« zuordnen. Hans-Peter Kunisch wirft Kristine Bilkau in seiner Rezension in der Süddeutschen Zeitung sogar vor, sie hätte ihre Figuren zu sehr in Hinblick auf einen Generationenroman angelegt. Die Individualität der Protagonisten komme zu kurz. Auch bei Let´s talk about books, wo das Buch Thema einer teilweise kontroversen Diskussion war, wird kritisiert, dass man zu wenig über die Motivationen der beiden »Glücklichen« erfährt und sie dadurch eher blass wirken. Mir sind Isabell und Georg mit ihren Ängsten sehr nahe. Ihr scheinbares Desinteresse für die Außenwelt, vor allem bei Isabell, und die Sprachlosigkeit zwischen dem Paar macht sie mir aber auch fremd. Kristine Bilkau meint zur sozialen Isolation ihrer Protagonisten, dass es sowohl dramaturgische Gründe dafür gibt als auch der Familiensituation mit Kleinkind geschuldet ist. Es kann aber auch sein, dass Menschen, die einen starken Optimierungsdrang haben, gar keinen Platz mehr für soziales Engagement außerhalb ihrer vier Wände haben. Der »Generation Null Fehler« wird u. a. auch unpolitisches Verhalten vorgeworfen. Sicher wären Isabell und Georg noch lebendiger für den Leser, wenn er mehr über ihre Vorgeschichten erfahren würde. Im Fall von Isabell ist mir aber auch mit wenigen Informationen verständlich geworden, woher ihre Angst vor Veränderungen kommen könnte. Sie wuchs in einer Reihenhaussiedlung auf. Alles schien seine Ordnung zu haben. Die Mütter kümmerten sich um das gemütliche Heim, die Väter kamen pünktlich von der Arbeit nach Hause, wuschen ihre Autos und grillten in den Vorgärten. Als Isabell zehn Jahre alt war, flüchtete die Mutter mit ihr zusammen aus dieser spießigen Idylle in die Großstadt. Das Reihenhäuschen gehörte von nun an einer anderen Familie. Isabell konnte sich lange nicht damit abfinden. Sie war entwurzelt ohne ihre vertraute Umgebung. Die Mutter genoss ihre neue Unabhängigkeit und ließ Isabell oft allein in der Wohnung bis sie ganz auszog und der dann fast erwachsenen Tochter die Wohnung überließ, welche diese mit wechselnden Mitbewohnerinnen teilte und jetzt mit Georg und Matti bewohnt. Ich denke, das erklärt vor allem auch, warum Isabell so an ihrer Wohnung hängt. Georg und Isabell stehen für mich sowohl als Stereotypen für Menschen ihres Alters und ihrer sozialen Situation und haben trotzdem ganz individuelle Lebensgeschichten. Das gesellschaftliche Umfeld befördert zwar ihre Ängste, trotzdem ist die persönliche Widerstandskraft dagegen und der Umgang damit ganz unterschiedlich und hängt im Wesentlichen auch von ihren Vorerfahrungen ab. Im Fall von Georg hätte ich mir da noch mehr Details gewünscht, seine Motivationen vor allem was das Berufsleben betrifft, bleiben zu sehr im Dunkeln. Die Probleme von Georg und Isabell scheinen angesichts der Nachrichten, die uns täglich mit viel größeren Konflikten überfluten, klein zu sein, lächerlich klein sogar. Selbst demjenigen der schon mehrmals seinen Job, die Wohnung, die Stadt wechseln musste, aus welchen Gründen auch immer, wird es seltsam vorkommen, dass man so verzweifelt wie Isabell an einer Wohnung klammern kann. Trotzdem scheint Kristine Bilkau aber einen Zeitnerv getroffen zu haben. Zukunfts- und Versagensängste sowie Selbstoptimierungstendenzen sind Themen, die viele Menschen beschäftigen. Das beweist die sowohl begeisterte als auch teilweise die ablehnende Aufnahme des Buches bei den Lesern. Für mich persönlich kam der Roman zur rechten Zeit, überzeugt hat er mich nicht nur durch seine Thematik, sondern durch die vielen ganz authentisch erzählten Szenen und die für mich überzeugende Darstellung der beginnenden Auflösung des Konfliktes. In den Diskussionen zum Buch ist viel davon die Rede, dass man Scheitern und Fehler im Leben zulassen können muss. Ich empfinde es nicht als persönliches Scheitern, seinen Job oder seine Wohnung zu verlieren. Eher sind das in den meisten Fällen Dinge, die passieren ohne das wir viel Einfluss darauf haben. Es kommt vielmehr zunächst darauf an, die Enttäuschung und das Verlustempfinden zu akzeptieren ohne aktionistisch schon wieder Pläne zu machen. Oft hält das Leben dann überraschende Wendungen bereit. Isabell und Georg finden im Buch durch das Erleben der Krise enger als Paar und als Familie zusammen. Isabell hat es gelernt, dem Augenblick in ihrem Leben mehr Bedeutung zu schenken ohne an den Morgen, an dem alles wieder anders sein könnte, zu denken. Eine Erkenntnis, die fast banal erscheint und trotzdem oft so schwer umzusetzen ist. Ich danke dem Luchterhand Literaturverlag für das Rezensionsexemplar.

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Kristine Bilkaus Roman „Die Glücklichen“ aus dem März 2015 stellte für mich ein grandioses Debüt dar. Es werden die Perspektiven des Paares Georg und Isabell beleuchtet, eine durchgehende er/sie-Perspektive bringt den Leser als Beobachter in ihr scheinbar perfektes Leben. Sie ist vor der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes eine erfolgreiche Cellistin gewesen und Georg brillierte bisher in seiner Verlags-Zeitung. Seit Matti auf der Welt ist, will nichts mehr so recht gelingen. Was auffällt, ist, dass die Figuren sich selbst bereits genauestens beobachten und oft auf sich selbst fixiert sind. Bald beginnt der große Strudel aus Verzweiflung, Trauer und Depression, denn „Die Glücklichen“ – dieser Titel trägt der Roman nicht wegen des Protagonistenpaares. Die beiden haben nur noch Augen für das jeweils eigene Problem und hält dies für das wichtigste. Matti tritt oft als Mittelpunkt, Stütze und Herausforderung der beiden auf und führt letztlich bei beiden dennoch zu Überforderung. Georg und Isabell werden sich immer fremder und die Beziehung krankt unter einem unglaublichen Kommunikationsproblem. Keiner der beiden traut sich ehrlich auszusprechen, was ihn plagt, dabei geistern die Gedanken Tag und Nacht in den Köpfen des Paares. Am liebsten brächen sie aus ihrem Alltag aus – doch wohin dann? Das große Scheitern von Isabell und Georg wird noch verdeutlicht und viel direkter durch Kristine Bilkaus wohl dosierte und doch bald immer mehr herausbrechende Sprachgewalt. Insgesamt zeichnet sich dieser Roman durch eine Unmenge an Negativvokabular aus, das sich von Anfang bis Ende im Buch hält und wie lästige Insekten schwer aus den Köpfen vertreibbar ist. Der Titel „Die Glücklichen“ ist das genaue Konträrkonzept zum Romaninhalt Wen der Titel mit „Die Glücklichen“ meint, wird schnell klar – das sind immer die anderen Paare, die scheinbar unbeschwert eine Familie gründen und klarkommen, ohne ihre Probleme nach außen zu tragen, dass sind Paare, die im Internet glückliche Momente einfangen, die Isabell sich verzweifelt anschaut und die sie beneidet. Mir konnte dieser Debütroman von Kristine Bilkau sehr gefallen. Er war sprachlich und inhaltlich so ausgewogen, dass ich jede Richtung des Paares mitverfolgt hätte, egal ob zum Happy End oder dem totalen Scheitern. Illusionen, Depressionen, Ängste, das eigene Bewusstsein, Altruismus, Egoismus - hier wird dem Leser eine große Palette an Emotionen, Reaktionen und Generationenängsten geboten. Sehr, sehr lesenswert!

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Georg, Isabell und Matti: Eine Kleinfamilie wie aus dem Bilderbuch. In ihrer reizenden Altbauwohnung in Hamburg leben sie ein glückliches Leben. Das Viertel mit seinen bonbonfarbigen Häuserfassaden, gusseisernen Geländern und von Blumen übersäten Balkonen spiegelt ihre Lebensfreude wieder. Aus den Ladengeschäften und Cafés ihrer Straße dringen lebendige Gesprächsfetzen an ihr Fenster, werden Teil ihrer Gespräche am Frühstückstisch. Es ist ein unbekümmertes Leben, das ihnen steht wie ein schickes Accessoire. “Die Arbeit ist geprägt von dem Wort Defizit, das Produkt sei defizitär, mindestens zweimal im Jahr erklärt ihnen das jemand aus dem Management, und es klingt dann, als wären sie eine Horde Kinder, die dankbar sein sollte, dass sie noch jemand mit Müh und Not durchfüttert.” Zitat, Seite 69 Georg ist Redakteur bei einer Tageszeitung. Er überarbeitet Texte, verwaltet Projektpläne und porträtiert manchmal auch das Leben von Aussteigern auf dem Land. Kein Riesenjob, aber immerhin einer, der ihnen ein gutes Leben finanziert. Schließlich steht es ihnen gut. Doch die Zeitung muss sparen. Es werden Stellen abgebaut und irgendwann muss auch Georg daran glauben. Es kommt zur Kündigung. Er bezieht Arbeitslosengeld. Es fühlt sich an wie Geld auf Bewährung. „Sie spielte wie unter einer Glasglocke. Jeder konnte ihr dabei zusehen. Sie hatte den Klang verloren, und die Leichtigkeit.“ Zitat, Seite 18 Isabell ist Cellistin. Sie spielt im Orchestergraben eines Musicals. Es ist nicht die Karriere im Symphonieorchester, von der sie einst träumte, aber immerhin verhilft es ihnen zu den wöchentlichen Einkäufen im Feinkostladen und den Besuchen in den teuren Bio-Cafés ihrer Stadt. Nach der Babypause steigt sie rasch wieder in den Job ein, aus Angst auf der Strecke zu bleiben. Und spielt. Doch ihre Melodien haben an Leichtigkeit verloren. Die Hände beginnen zu zittern. Der Druck ist zu groß. Sie lässt sich krankschreiben. Wird gekündigt. Die innere Unruhe wächst unaufhaltsam. Als “die Glücklichen” arbeitslos aufeinander treffen, beginnt die Mauer der Unbeschwertheit zu bröckeln. Unsicherheit und Selbstzweifel gesellen sich zu ihnen. Plötzlich ist ihr Alltag nicht mehr von Lachen und Freude, sondern vielmehr von Kummer und Schuldzuweisungen geprägt. Ein täglicher Kampf um ein harmonisches Miteinander beginnt, lässt Georg und Isabell Stück für Stück voneinander entfernen. Irgendwann müssen sie ihrem Scheitern ins Gesicht blicken. Einem Scheitern, an das sie nie denken wollten. “Es ist wie eine Probe. Sie werden etwas herausfinden. Über sich als Paar, als Familie. Oder irrt er sich? Radiert er mit all diesen Maßnahmen den Alltag aus? Höhlt ihn aus, um die Fassade zu retten? Wenn er das wüsste. Er braucht eine klare Richtung, eine Zukunft. Er will endlich wissen, wohin, ohne dieses Gefühl der Enge in der Brust, und wenn, und wenn, und wenn.” Zitat, Seite 200 “Die Straßen ihres Viertels sind nichts für Versager, die Nacht schärft die Konturen dieser Wirklichkeit, das Herz klopft hart gegen die Brust, bereit zur Flucht, und sie sehnt sich nach Schlaf, vereint mit Matti (…), so möchte sie einschlafen und nicht mehr zurückkommen in diese Wirklichkeit. (…) Sie zieht die Knie an den Körper und rutscht näher an den Atem ihres Kindes; verwerflich ist diese Sehnsucht, gemeinsam unterzugehen.” Zitat, Seite 256 Der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft steigt stetig. Täglich werden wir mit Veränderungen konfrontiert, die unausweichlich scheinen. Mehr Leistung für weniger Geld ist die Devise. Einsparungen sind Gang und Gebe. Im Gegensatz dazu verändern sich die Lebensgewohnheiten der Menschen. Man strebt nach mehr, will sich fortan noch gesünder ernähren und nachhaltiger leben. Lebensmittel vom Discounter scheinen ausschließlich für die Mittelklasse, wer dazu gehören will braucht Bio-Obst von Demeter, hochpreisige Energieshakes und Steak vom argentinischen Weiderind. Mit jedem neuen Firmensitz, jedem Ladengeschäft und jeder Grünanlage verändert sich das Stadtbild. Ein Wandel vollzieht sich. Lässt die Viertel szeniger werden und die Mieten steigen. Reißt uns ein großes Loch ins Portemonnai und lässt unsere Unbeschwertheit verpuffen. Mit erschreckender Präzision führt uns Kristine Pilkau diese Veränderung vor Augen. In ihrem Debütroman “Die Glücklichen” zeichnet sie das Bild einer nervösen Generation, unserer Generation. Sie entscheidet sich dabei für die Sicht aus einer jungen Familie, wie wir sie alle in unserer Nachbarschaft finden. Hier heißen sie Georg und Isabell, aber eigentlich könnten sie auch jeden anderen Namen tragen. Es sind Menschen wie du und ich. So nimmt sich Bilkau zwei jungen Eltern an, die völlig unerwartet ihre Stellung in der Gesellschaft verlieren. Die verzweifeln und plötzlich alles in Frage stellen, die auseinander triften anstatt zusammenzuhalten. Georg und Isabell werden zu Einzelkämpfern, können sich nicht mehr in die Augen sehen. Die Angst zu scheitern ist allgegenwärtig. Auf dem Heimweg schaut er wieder in die Fenster der anderen, dringt mit seinem Blick in ihre hellen Räum ein. Früher haben er und Isabell das oft gemeinsam gemacht. Zusammen schauten sie in fremde Zimmer. Bei abendlichen Spaziergängen wurden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, geschmackvoller Deckenlampen, moderne, offene Küchen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Inzwischen sagen alle dasselbe: Wir können, du nicht. Zitat, Seite 200/201 Mutig und schamlos setzt sich Bilkau in ihrem Debüt mit existenziellen Fragen auseinander: Wie definiert man Glück? Ab wann gilt man als gescheitert? Wie bewahren wir unser Ansehen in der Gesellschaft? Mit ihrem Blick hinter die glitzernde Fassade bohrt sie in offene Wunden. Ganz bewusst hält sie uns den Spiegel vor Augen. Scheint uns darin bestärken zu wollen, unserem Stil treu zu bleiben und uns keinen Stempel aufdrücken zu lassen. Wir sollten glücklich sein, wenn wir es wollen und nicht, wenn wir es müssen.

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Vorsicht Spoiler! Ein Paar mit einem kleinen Kind ist nach beiderseitiger Arbeitslosigkeit mit der Gefahr des sozialen Abstiegs konfrontiert. Die Ehe ist daraufhin Belastungen ausgesetzt. Der Tod seiner Mutter löst Blockaden und die beiden fassen Hoffnung. Das Buch ist gut geschrieben, die Autorin hat einen soziologischen Blick und fokussiert ihren Text ganz auf die Gedankenwelt der beiden Protagonisten, die ihr Tun und ihre wechselseitigen Beobachtungen fortwährend reflektieren, aber miteinander nicht die richtigen Worte finden. Angst vor dem Versagen ist die große Konstante des Texts. In einer Welt, in der das Versagen keinen Platz hat (S. 256), wirkt diese Angst besonders bedrohlich, obwohl die wenigen und sehr oberflächlichen Bekannten des Paares dessen Verschwinden wohl nur am Rande registrieren würden. Doch die „Freiheit, ein kleinbürgerliches, überschaubares Leben zu führen“ (S. 179), die der Mann kurz erwägt, hat keine Chance bei seiner Frau. Ist das Überheblichkeit? Nichtmehrzurückwollen? Trotz? Realitätsverweigerung? Nun, die Realität dringt schrittweise in das Leben des Paares vor. Jobverlust, Mieterhöhung, Tod der (Schwieger)Mutter. Und am Ende finden die beiden auch wieder Worte füreinander, werden aktiv und versuchen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wie im richtigen Leben gibt es kein Happy End, aber eine Chance. Und die Erkenntnis, daß man als Paar nur gemeinsam weiterkommt. Das ist immerhin etwas. Mein Fazit: Ein gutes, ein lesenswertes Buch. Ja, doch! Eines, das mich neugierig macht, wie ich es in fünf Jahren finden werde. Wird es ein Zeitdokument sein oder Zeugnis von German Befindlichkeit?

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