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Rezensionen zu
Ein ganzes Leben

Robert Seethaler

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Ein kurzes, sehr schönes Buch! „Ein ganzes Leben“ erzählt vom Leben des Andreas Egger, der in einem Tal in den Bergen Anfang des 20. Jahrhunderts lebt und dort, immer als Handlanger und Helfer unterwegs, zu einem Mann heranwächst. Er lernt seine große Liebe, Marie, kennen, schuftet sich wund, um ihr ein angenehmes Leben zu ermöglichen, und doch wird sie ihm eine Zeit später genommen. Egger meldet sich zum bis dahin bereits ausgebrochenen Krieg, verbringt Jahre in Russland, und als er wieder in sein Tal zurückkehrt, ist nichts mehr wie es war: Sein Dorf ist zu einem Touristen-Hotspot geworden und er mittlerweile zu alt, um mit all den Veränderungen mitzuhalten. "Egger nickte und der Prokurist seufzte. Und dann sagte er etwas, das Egger, obwohl er es in diesem Moment nicht verstand, sein Leben lang nicht mehr vergaß: „Man kann einem Mann seine Stunden abkaufen, man kann ihm seine Tage stehlen oder ihm sein ganzes Leben rauben. Aber niemand kann einem Mann auch nur einen einzigen Augenblick nehmen.“" Am Anfang hatte ich einige Schwierigkeiten, mich in der Welt von Andreas Egger zurecht zu finden, aber nach spätestens 50 Seiten ist man mittendrin. Robert Seethaler hat so eine wunderbare Sprache, die sich mir im Verlauf des Buches immer mehr offenbart hat. Egger ist ein genügsamer Mann, der nicht viel spricht und beim Arbeiten auch gern seine Ruhe hat, frei nach seinem Motto „Wer den Mund auf hat, dem gehen die Ohren zu“. Obwohl er in seinem Leben einige Steine in den Weg gelegt bekommt, schätzt er doch immer die kleinen Dinge. Da er so gut wie keine Schulbildung genossen hat, ist er auch nicht der Intelligenteste – dumm ist er aber auf keinen Fall! Egger hat durch seine lebenslange Arbeit und durch das Leben im Tal so viel an Weisheit gewonnen, dass man damit problemlos zwei Leben füllen könnte. Seethaler erzählt hier mit einem bildgewaltigen Erzählstil das Leben und Sterben eines Mannes, der den Wandel der Zeit miterleben durfte: von der Elektrizität und ersten Seilbahnen und seinem Tal bis hin zur Fernseh-Übertragung der ersten Mondlandung, Egger wird Zeuge des Fortschritts, zu dem er einst selbst noch beigetragen, für den er aber im Laufe seines Lebens nicht mehr viel übrig hat. Doch es geht nicht nur um den Fortschritt: es geht um ein erfülltes, ausgefülltes, und einfaches Leben, um Zufriedenheit und darum, dass jedes Leben, und sei es doch noch so karg und ereignislos, doch eine Erzählung wert ist. Ein tolles, kleines Buch, das ich eigentlich jedem ans Herz legen kann. Einzig wegen dem holprigen Start (der vermutlich an mir lag) gibt es Punktabzug (noch während ich die Zitate einpflege, habe ich die Bewertung von 3,5 auf 4 gehoben).

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"Meistens schwieg Egger während seiner Touren. "Wem das Maul aufgeht, dem gehen die Ohren zu", hatte Thomas Mattl immer gesagt, und Egger teilte diese Ansicht." In den letzten Tagen habe ich ein kleines, zartes, und doch die ganze Welt enthaltendes Buch Seite für Seite gelesen. Ich habe versucht, dabei behutsam vorzugehen und keinen Buchstaben zu übersehen, wirklich jeden Satz mit Respekt und Achtsamkeit zu lesen. So wie Robert Seethaler, der Autor, in Ein ganzes Leben, das Leben des einfachen Mannes Andreas Egger mit außergewöhnlichem Respekt und großer Hochachtung dem Leser ans Herz gelegt hat. Heute möchte eigentlich fast jeder, den ich kenne (ich selbst natürlich auch!), etwas besonderes sein. Es ist wie so ein Mantra der heutigen Zeit, dass man besonderes leisten muss, auffallen sollte, auf gar keinen Fall ein normales und einfaches Leben führen darf. Normal ist das neue gescheitert! Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, wie hohl dieser Anspruch ist. Er geht an so vielem, das wesentlich ist, vorbei. Die Lektüre dieses kleinen Buches, das auf nur 185 Seiten so viel Leben entfaltet und würdigt, hat mich mit so etwas wie Demut erfüllt, Achtung auch, vor jedem einzelnen Leben. Andreas Egger kommt als vierjähriger in ein Bergdorf. Wir schreiben den Anfang des 20. Jahrhunderts. Er kommt zu einem Bauern, der ihn, den Sohn einer Schwägerin, nur aufnimmt, weil er einen Beutel mit ein paar Geldscheinen um den Hals trägt. Seine Kindheit ist von brutalen Schlägen und harter Arbeit gekennzeichnet. Sie zeigt aber auch schon, wie stark dieser Andreas Egger ist, der sich sein Leben lang von nichts und niemandem wird beugen lassen. Als er alt genug ist, verlässt er den Hof und heuert bei einer Firma an, die Seilbahnen baut. Die Arbeit ist hart und gefährlich. Er baut sich ein eigenes kleines Häuschen oben am Berg. Er lernt Marie kennen, und heiratet sie. Er wird eingezogen und muss in den Kaukasus, an die Ostfront, wo er noch viele Jahre nach dem Krieg in russischer Gefangenschaft verbringt. Er kehrt zurück in sein Dorf und wird Bergführer für Touristen. Am Ende seines Lebens wohnt er in einer Art Höhlenbau oben am Berg, mit Blick aufs Tal, und ist zufrieden, trotz der vielen Schicksalsschläge, obwohl sein Leben ein entbehrungsreiches und hartes gewesen ist. Es gab auch die Glücksmomente. Er wusste jeden einzelnen zu schätzen. Er haderte nicht mit dem Schicksal. Er nahm das Leben an, wie es sich ihm präsentierte, ohne auch nur einmal zu glauben, es stünde ihm etwas Besseres zu. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich habe das Gefühl, aus einer Generation zu kommen, in der wir alle denken, es stünde uns immer etwas Besseres zu, eventuell sogar das Beste. Nichts ist gut genug, beglückend genug für uns. Die Sehnsucht nach einem tollen einem besonderen Leben ist gierig und kennt im Grunde keine Befriedigung. Wie viele zufriedene Menschen kenne ich? So richtig viele fallen mir nicht ein. Die Tatsache, das jedes Leben wertvoll ist, wurde in meiner Lebenszeit immer mehr interpretiert als: mir steht ein perfektes Leben zu. Andreas Egger war irgendwie zufrieden, gemeint hier als: im Frieden mit sich und der Welt, obwohl sein Leben nach heutigen Maßstäben hart war und er nicht viel erreicht hat. „Für seine Begriffe jedoch hatte er es irgendwie geschafft und dementsprechend allen Grund, zufrieden zu sein. Von dem Geld aus seiner Zeit als Fremdenführer würde er noch eine Weile gut leben können, er hatte ein Dach über dem Kopf, schlief in seinem eigenen Bett, und wenn er sich mit seinem kleinen Hocker vor die Tür setzte, konnte er seinen Blick so lange schweifen lassen, bis ihm die Augen zufielen und das Kinn auf die Brust kippte. Wie alle Menschen hatte auch er in seinem Leben Vorstellungen und Träume in sich getragen. Manches davon hatte er sich selbst erfüllt, manches war ihm geschenkt worden. Vieles war unerreichbar geblieben oder war ihm, kaum erreicht, wieder aus den Händen gerissen worden. Aber er war immer noch da.“ An noch etwas ließ mich dieses Buch sehr oft denken: an meinen Großvater, den ich hier einmal namentlich nennen möchte, weil er ein so wunderbarer Mensch gewesen ist, der ebenfalls ein hartes und entbehrungsreiches Leben geführt hat, der dabei immer ein offenes Herz behielt. Theodor Boddenberg, der mich gelehrt hat, ohne Worte, allein durch sein Tun, dass jedes menschliche Leben gleich viel Wert hat, egal, wie jemand aussieht, was jemand besitzt, woran er glaubt oder woher er kommt. Diese Lektion wurde nie ausgesprochen, aber sie wurde tagtäglich von ihm gelebt. Schon in den 60er und 70er Jahren war unser Haus immer offen für jeden, der neu ins Dorf kam oder schon ewig dort lebte. An unserem Küchentisch bekam der erste Portugiese genauso Kaffee, wie Nesme, die erste Türkin der Straße, in deren Hof am Feuer ich als Kind jahrelang täglich mit ihren kleinen Söhnen spielte und ich liebte es, dass sie den Hof mit einem Reisigbesen fegte, dass sie mehrere Röcke übereinander trug, dass sie aufgeregt schon am frühen Morgen an unsere Tür klopfte und weinend erzählte, wie in der Nacht eine riesige Ratte sie angefallen habe. Als Kind saß ich immer unter dem Küchentisch und spielte, während die Besucher, tagtäglich, Geschichten erzählten, oft mit Händen und Füßen, und Hilfe jeder Art bekamen: ein Stück Land, um endlich ein Haus bauen zu können, einen Job, Geld, einen Sack Kohlen für mau. Ich lernte, dass jedes Leben wertvoll ist. Ich ging niemals davon aus, das sich einmal in einer Zeit leben würde, in der das nicht mehr Konsens sein würde in Europa und den USA. Die letzten anderthalb Jahre haben mich diesbezüglich aufgeweckt. Vielleicht fällt mir deshalb mein Großvater so oft ein. Vielleicht wird mir deshalb erst jetzt diese seine große Lebenslektion so bewusst, dass ich sie in Worte fassen und ihn dafür ausdrücklich würdigen kann: Jeder Mensch ist wertvoll! Aber auch: Es ist wichtig, sich nichts zuschulden kommen zu lassen. Man hat die Verantwortung dafür, ein guter Mensch zu sein. Was das ist, da gibt es eigentlich wenig Diskussionsspielraum. Die zehn Gebote sind beispielsweise, geht man nach meinem Großvater, ein ganz guter Maßstab. Weil ich mich plötzlich in einer Welt wieder finde, in der der Wert eines menschlichen Lebens inflationär abnimmt, hier, wo ich lebe, bekomme ich manchmal Angst. Ein Buch wie das von Seethaler macht mir wieder Mut. So wie mir auch der Gedanke an meinemnen Großvater, der ebenfalls lange in Russland war, der viele Jahre gegen den Krebs gekämpft hat, der vieles von sei Hab und Gut an andere gegeben hat, der nicht einen Tag schlecht gelaunt war, der jedem geholfen hat, mir Mut macht. Jeder Mensch ist wertvoll! Ich möchte die Gelegenheit noch nutzen, ein weiteres Buch von Robert Seethaler zu empfehlen, welches ich im letzten Jahr gelesen habe: DerTrafikant. Leider kam ich nie dazu, es zu besprechen. Aber es ist ebenso wunderbar. Robert Seethaler ist für mich ein Meister darin, das Leben schreibend zu würdigen und die kleinen Dinge, die so leicht unbemerkt bleiben, aber im Grunde das Leben und seinen Verlauf bestimmen, in wunderschöne, noch lange in einem nachhallende Worte zu fassen. (c) Susanne Becker

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Österreich im frühen 20. Jahrhundert. Andreas Egger kommt als Vierjähriger in das Tal, in dem er fast sein ganzes Leben verbringen wird. Es ist kein großes Leben, er erreicht nicht viel, außer dem, was wohl wirklich wichtig ist: zu überleben und ein zufriedenes Leben zu führen. Ich liebe Bücher, die den “kleinen Mann” ins Zentrum des Geschehens rücken. Wie viele Helden gibt es denn wirklich da draußen? Muss jeder große Taten vollbringen, eine großartige Karriere hinlegen? Sind nur solche, denen dies gelingt, wert, dass man Bücher über sie schreibt? Für mich nicht, denn mich hat von jeher das Leben “normaler” Menschen mehr interessiert. Andreas Egger ist ein solcher Mensch, das Schicksal hält einiges für ihn bereit, an dem ein anderer, ambitionierterer Mann womöglich verzweifelt wäre, doch nicht Andreas Egger. Er sieht an allem die positive Seite, gibt sich mit dem zufrieden, was ihm beschieden wird. Das heißt nicht, dass er keine Ideen hat oder Möglichkeiten erkennt, keine Ziele hat, im Gegenteil, das, was er gerne erreichen möchte, verfolgt er auch. Aber es sind kleine, realistische Ziele, und wenn etwas dazwischen kommt, macht er das beste daraus. Robert Seethalers wunderbarer Roman kann gar nicht genug Leser finden in einer Gesellschaft, in der jeder eine tolle Karriere wollen muss, in der nur eine stetige Leistungssteigerung und Veränderungswillen zählen, niemand, der etwas auf sich hält, mit einer einfachen Arbeit und dem ganz privaten Streben nach Glück zufrieden sein darf. Zeigt nicht die Anzahl der Burnout- und Depressionskranken, was zu hohe Erwartungen seitens der Gesellschaft und an sich selbst bewirken? Geschrieben ist das Buch genau mit jener wunderbaren Leichtigkeit, die mich bereits durch den “Trafikanten” fliegen ließ und die die Lektüre zu einem puren Genuss werden lässt. Dabei stößt man auf so fabelhafte Sätze wie den folgenden: “Die Vergangenheit schien sich in alle Richtungen zu krümmen und in der Erinnerung gerieten die Abläufe durcheinander beziehungsweise formten und gewichteten sich auf eigentümliche Weise immer wieder neu.” “Ein ganzes Leben” ist eines dieser Bücher, die im Gedächtnis bleiben, die mehr als eine Geschichte sind und uns zeigen, worauf es im Leben wirklich ankommt. Der Roman, der auf der Longlist des diesjährigen Man Booker Prize International steht, hätte eine Aufnahme in die Shortlist verdient, drücken wir die Daumen!

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Das erste Wort, das mir zu Robert Seethalers Geschichte einfiel, war Nüchternheit. Am Anfang der Lektüre war ich verwundert, wie nüchtern und direkt der Autor über schlimme Ereignisse in Eggers Leben schreibt. Nach Beendigung des Buches wurde mir jedoch klar, dass es sich hier eigentlich nicht um Nüchternheit, sondern vielmehr um Einfachheit handelt. Seethaler dramatisiert nicht, er bleibt jedoch auch bei Weitem nicht oberflächlich. Spektakuläres wird unspektakulär beschrieben; Trauriges wird nüchtern erzählt - so scheint es. Ihm gelingt es jedoch, in einfache Beschreibungen so viel Bedeutung zu legen, dass der Leser zum einen in die Geschichte hineingezogen wird, zum anderen beim Leser unglaubliche Gefühlsregungen während der Lektüre entstehen, weil der Autor genügend Raum dazu lässt. Ich hatte am Ende das Gefühl, den Protagonisten unheimlich gut zu kennen, weil ich sein ganzes Leben emotional begleitet habe und dennoch würde es mir schwer fallen, eine detaillierte Charakterbeschreibung über ihn abzugeben. Dies macht das Buch so außergewöhnlich. Robert Seethaler findet die richtige Balance zwischen Leichtigkeit und Tiefgang und liefert mit seiner Erzählung eine glaubwürdige und authentische Version des alltäglichen Lebens im 20. Jahrhundert. Die Nebencharaktere sind mir hingegen bis zum Schluss eher fremd geblieben, vielleicht auch weil sie nicht wirklich viel zum Fortgang der Geschichte beitragen und meist nur kurze Zeit in Eggers Leben verweilen. Wer kurze aber eindringliche Geschichten über das Leben, den Tod, Hoffnung und Akzeptanz lesen möchte und sich dabei noch gerne ins 20. Jahrhundert zurückversetzen lässt, sollte sich dieses Buch unbedingt näher anschauen - ich bin jedenfalls schon sehr neugierig auf seine anderen Werke.

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Andreas Egger kommt noch als ganz kleiner Bub zu seinem Onkel in die Berge. Dieser ist allerdings nicht begeistert darüber, behandelt den Jungen sehr schlecht, lässt ihn hart arbeiten und drangsaliert ihn wo es nur kann. Während eines erneuten unkontrollierten Wutausbruches bricht ihn der Onkels das Bein, welches anschließend nicht mehr richtig zusammenwächst. So muss sich Andreas nun hinkend fortbewegen, was sein Leben nicht gerade leichter macht. Glücklicherweise ist er irgendwann stärker als sein Verwandter und ist nicht mehr seiner Gewalt schutzlos ausgeliefert. Sobald es geht verlässt der Herangewachsene den Hof und verdient seinen Unterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Da Andreas sowohl recht kräftig und hartgesotten ist, die ihm übertragenen Tätigkeiten ohne großes Murren zuverlässig erledigt, ist er ein gern gesehener Arbeiter. Zu dieser Zeit verliebt er sich in Marie, die neue Kellnerin des Dorfgasthauses. Andreas ist schnell klar die junge Frau heiraten zu wollen. Doch damit er überhaupt seine zukünftige Familie ernähren kann, braucht er ein geregeltes Einkommen. Da kommen ihm die Bauarbeiten für die erste Bergbahn gerade Recht. Trotz seiner Gehbehinderung bekommt der Einheimische eine Stelle in der Baufirma und wird durch seine Arbeitsweise bald zu einem unentbehrlichen Mitarbeiter. Eine gute Gelegenheit endlich Marie zur Frau zu nehmen und mit ihr das selbsterwirtschaftete kleine Anwesen am Berg zu bewohnen. Doch die Freude ist nicht von langer Dauer. Auf Grund der zahlreichen Baumrodungen für die Bergbahn sind die Hänge abschüssig geworden. Eine Schneelawine löst sich, rollt ungebremst auf Eggers Haus zu und begräbt nicht nur den Besitz sondern auch seine schwangere Frau unter sich. Erneut verliert der Mann alles was ihm lieb ist. Nach einer Zeit des Trauerns aber, kämpft sich Andreas zurück ins Leben und beginnt von neuem. Leider nehmen damit die schwierigen, traurigen und lebensbedrohlichen Ereignisse in seinem Leben kein Ende. So muss er u.a. noch den zweiten Weltkrieg, den finanziellen Untergang seines Arbeitgebers oder den neuen technischen Fortschritt überstehen, bis er sein "Ziel" erreicht. Die anfänglichen Kindheitserinnerungen, die von brutaler Gewalt gekennzeichnet sind, haben mich beinahe dazu gebracht das Buch wegzulegen. Als dann auch noch Marie stirbt, ist mir klar, ich höre mit dem Lesen auf. Obwohl der junge Mann so eine gute "Seele" ist, immer jedem hilft, so leiden muss und sich dennoch stets bemüht, verliert er seine große Liebe und steht wieder vor dem nichts. Robert Seethaler schaffte es mit seiner Erzählweise, dass Andreas mir so leid tat, dass ich gar nicht mehr wissen wollte, wie die Geschichte endet. Daher war mein Plan das Buch nach der nächsten Seite wegzulegen und mit der nächsten Handlung zu beginnen. Und genau an dieser Stelle erhält Andreas Egger in seinem verletzten Zustand Hilfe von den Dorfbewohnern indem der Wirt ihm kurzzeitig eine Unterkunft zur Verfügung stellt. Auch an seinen früheren Arbeitsplatz kann er nach der Genesung wieder zurückkehren. Obwohl ihn die Vergangenheit nicht los lässt, gibt er nicht auf und macht unverdrossen weiter. Das hat mir sehr imponiert. Gefallen hat mir ebenso Seethalers nüchterne Erzählweise gefallen. Er heischt kein Mitleid oder rührt seine Leser künstlich zu Tränen. Genau das hat mich in den Bann der Geschichte und auf die Seite der Hauptfigur gezogen. Wie ihr euch also denken könnt, habe ich das Buch nicht weggelegt sondern bis zum Ende gelesen. Dabei bleibt jedoch eines gleich. Andreas muss nach wie vor schwierige Situationen in seinem Leben meistern, doch bleibt er stets stoisch dabei seinen Weg fortzusetzen und sein Leben weiter zu leben. Fazit: Das Leben einer gewaltigen Persönlichkeit, die den gewaltigen Bergen im Hintergrund, in nichts nachsteht.

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Robert Seethaler, in Wien geboren, ist Schriftsteller, Schauspieler und Drehbuchautor, und feierte sein Debüt als Romanautor mit “Die Biene und der Kurt“, für den er 2007 ausgezeichnet wurde. Es folgten mehrere Romane, sowie das Drehbuch für den auf zahlreichen internationalen Filmfesten gezeigten Film “Die zweite Frau“. “Ein ganzes Leben” ist sein fünfter Roman und erschien 2014. Kann man ein ganzes Leben auf nicht einmal 200 Seiten bannen? Robert Seethaler beweist in seinem Roman “Ein ganzes Leben“, das dies durchaus möglich ist, und rafft mehrere Jahrzehnte zu einigen einschneidenden und bedeutsamen Szenen zusammen. Seethaler erzählt die Geschichte von Andreas Egger, der als Kind zum Hof seines Onkels in ein kleines Bergdorf geschickt wurde, den niemanden wollte, und der letztendlich sogar vom Hofherrn zum Krüppel geprügelt wird. Doch trotz seines Hinkens entwickelt sich Egger zu einem starken Mann, stärker als andere im Dorf. Gerade dies bringt ihm letztendlich auch die Chance, sich als Tagelöhner durchzuschlagen – anders hätte er in einer Zeit, in der schon bei der Geburt entschieden wird ob man das Recht hat etwas aus seinem Leben zu machen oder nicht, auch gar nicht überleben können. Egger ist ruhig, schweigsam, ja fast schon eigenbrötlerisch, der sich in sein Schicksal zu fügen scheint, aber auch versucht, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sei es eine Arbeit bei Bittermann & Söhne, eine Firma, die den Seilbahnbau ins Dorf bringt – und damit den Tourismus – oder die Liebe selbst. Eine Liebe, die so einfach und doch so besonders ist, dass sie wahrlich zu Egger passt. Egger ist ein einfacher Mann, mit der Natur verbunden, mit einem Ohr für den Wind und die Berge, voll Ehrfurcht für die Kraft von Mutter Natur. Der Bau der Seilbahnen fungiert als Symbol – so ist Egger doch gezwungen, sich auf den Fortschritt einzulassen, doch all die Veränderungen in der Welt, all die Hektik, haben auch ihre Schattenseiten. Menschen sterben, Menschen die Egger ans Herz gewachsen sind, Menschen die ihm die Welt bedeuten – und auch er selbst sieht sich letztendlich gezwungen, in den Krieg zu ziehen; er, den die Armee mit seinem Hinkebein zu Beginn noch gar nicht wollte. “Ein ganzes Leben” ist unglaublich schlicht gehalten, sowohl in der Sprache als auch im Inhalt. Nichts scheint überflüssig, und doch ist jedes Wort am richtigen Ort, hat jede Szene ihre Bedeutung und hinterlässt eine Spur in Eggers Leben – und im Kopf des Lesers selbst. Demütig akzeptiert Egger den Fortschritt und die Probleme, die dieser mit sich bringt, lässt die Moderne aber nie ganz in sein Leben einziehen – deutlich in der Art und Weise zu sehen, wie er mit dem damals aufkommenden Phänomen des Fernsehens umgeht. Ein einfaches Leben, ein Dorf in dem die Zeit stillzustehen scheint, ein Einzelgänger der versucht mit den Veränderungen klarzukommen, die das Leben für ihn bereithält, und ein Autor der es schafft, sogar Töne und Geräusche – oder deren Abwesenheit – in Worte zu fassen. “Ein ganzes Leben” überzeugt mit einem einfachen, jedoch perfekt zur Geschichte passenden Schreibstil und erzählt von Höhen und Tiefen, von Stillstand und Veränderung, von gewinnen und verlieren. Ein melancholischer Roman der genau wie sein Hauptcharakter Andreas Egger in seiner Einfachheit besonders ist. Wenn man sich denn darauf einlässt.

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