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Rezensionen zu
Shylock

Howard Jacobson

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Der reiche Kunstsammler Strulovitch hat es nicht leicht mit seiner 16jährigen Tochter Beatrice. Ihren Jahren voraus ist sie in die Kreise älterer und etwas dekadent lebender Reicher geraten. Und nun ist sie auch noch mit einem Fußballer durchgebrannt. Das schlägt dem Faß nun wirklich den Boden aus. Strulovitch sucht Rat bei seinem Zufallsbekannten Shylock, der verwitwet ebenfalls von seiner Tochter entfremdet ist. Mehr als alles andere will Strulovitch erreichen, dass seine Tochter wieder bei ihm und ihrer kranken Mutter ist. Einfach wird das allerdings nicht, denn die junge Frau ist doch sehr gewitzt. Zum 400. Todestag des großen Barden William Shakespeare wurde mit der Veröffentlichung einer Reihe von Romanen begonnen, mit denen bekannte Schriftsteller einige der Werke des Meisters in der heutigen Zeit nachempfunden haben. Eine wunderbare Ehrung für den einzigartigen Dichter. Howard Jacobson hat sich dabei des „Kaufmanns von Venedig“ angenommen. Mit eleganter Sprache gibt er die Gespräche zwischen Strulovitch und Shylock wieder, die an ihren Familien zweifeln und verzweifeln. Wie sollen sie Shylock, verwitwet, und Strrulovitch, dessen Frau nach einem Schlaganfall ans Bett gefesselt ist, mit ihren Töchtern umgehen. Zwischen ihnen ihre Freiheit lassen und dem sie helikopterartigen Beschützen schwanken sie, ohne ein Gleichgewicht zu finden. Wie soll ein Vater da seinen Weg finden? Eine tolle Idee, die einen veranlasst, sich zunächst noch einmal etwas mit der originalen Geschichte zu beschäftigen, um sich der Interpretation des Autors zuwenden zu können. Man versucht sich in die Denkweise von Strulovitch und Shylock hineinzuversetzen, sich am Witz der Geschichte zu erfreuen und die gelungene Übertragung der Story in die heutige Zeit zu würdigen. Zwar wird es jeder heutige Autor schwer haben, es mit Shakespeares Original aufzunehmen, aber dennoch gibt der vorliegende Roman viel und erinnert auf wunderbare Weise an den großen Meister, dessen Werke es jederzeit verdienen wieder gelesen zu werden. 3,5 Sterne

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Durch die Aufteilung in Akte erinnert das Buch an Shakespeares Drama, auch die dialog- und monologlastige Sprache lässt das Theater anklingen. Dieser Klang hat für mich jedoch deutliche Misstöne – die Sprache fühlt sich unnatürlich an für die modernen, zum Teil jugendlichen Charaktere. Viele dieser Charaktere sind meines Erachtens ohnehin zu provokant überzogen, zu wenig differenziert und authentisch für einen Roman. In einem Theaterstück hat jeder Charakter nur eine begrenzte Zeit, um dem Zuschauer sein Wesen und seine Motive zu vermitteln, deswegen ist dort eine gewisse Vereinfachung und Übersteigerung unumgänglich, aber in einem Roman fällt diese Notwendigkeit weg. Wird dennoch vereinfacht und übersteigert, werden aus Charakteren schnell Parodien oder Klischees, und genau das passiert hier meiner Meinung nach. Der Kunstsammler Simon Strulovitch nimmt die Rolle des Shylock ein, seine frühreife Tochter Beatrice die Rolle von Shylocks Tochter Jessica. Das verwöhnte reiche Social-Media-Sternchen Anna Livia Plurabella Cleopatra Eine-Schönheit-ist-eine-ewige-Freude-weiser-als-Salomon Christine (der Name ist Programm) gibt die Portia, während ihr Bekannter D’Anton das moderne Äquivalent des Kaufmanns Antonio darstellt. Die beiden Frauengestalten in “Shylock” fand ich sehr fragwürdig: sie gehen extrem (!) jung sexuelle Beziehungen ein und haben beide einen Vaterkomplex mit inzestuösem Unterton. Strulovitch denkt beängstigend oft darüber nach, wie verführerisch seine Tochter ist. Interessanterweise tritt Shakespeares Shylock selber in der Geschichte auf. Am Anfang hielt ich ihn für reines Gedankenspiel des bekennenden Shakepeare-Liebhabers Strulovitchs. Aber im Laufe des Buches interagieren auch andere Charaktere mit Shylock, er ist also ein Mensch aus Fleisch und Blut – gleichzeitig ist er ebender Shylock aus dem Venedig des 16. Jahrhunderts. Wie das möglich ist, bleibt unerklärt, und Strulovitch hinterfragt es kaum. Sei’s drum, denn die Dialoge zwischen Shylock und Strulovitch – scharfsinnig, manchmal humorvoll, immer zum Nachdenken anregend – sind für mich das Highlight und Herzstück des Buches. Aber so sehr ich die Dialoge zwischen Shylock und Strulovtich auch genoss, stellte sich doch irgendwann Überdruss ein. Ihre Gespräche drehen sich immer wieder um dasselbe Thema, aus demselben Blickwinkel. Es geht um das Judentum, das traditionelle sowie das moderne, und das jüdische Selbstverständnis in einer nicht-jüdischen Gesellschaft. An sich ein hochinteressantes Thema, aber es dreht sich zu sehr um sich selbst und verliert dadurch an Substanz. Strulovitch, der antisemitische Vorurteile beklagt, unterteilt die Menschen rigoros in “die Christen” und “die Juden”, ohne sich einer Doppelmoral bewusst zu sein. Shylock vertritt den Standpunkt des traditionellen Judentums, während Strulovitch sich als moderner Jude über die Religion erhaben fühlt. Doch als seine Tochter einen Christen heiraten will, nimmt Strulovitch auf einmal antiquierte Vorstellungen an. Und hier wird die Geschichte absurd. Aus dem Drama wird eine Posse: die meisten nicht-jüdischen Charaktere zeigen sich auf einmal plump antisemitisch – Plurabelle und D’Anton lachen hysterisch über Schmähbegriffe wie “Hakennase”, Beatrices Liebhaber Graham zeigt den Hitlergruß –, und Strulovitch ist fest entschlossen, besagtem Liebhaber die Vorhaut zu rauben und ihn dadurch quasi zum Juden zu machen. Durch konstruierte Ereignisse ergibt es sich, dass D’Anton für die Sache einstehen muss. Die Vorhaut stellt also das Pfund Fleisch dar, das Shylock im Originaldrama von seiner Nemesis Antonio fordert, aber das ergibt absolut keinen Sinn: welchen Sinn macht es für Strulovitch, die Vorhaut eines anderen Mannes als Ersatz zu akzeptieren? Dadurch wird der Liebhaber seiner Tochter jedenfalls nicht zum Christen – wobei die Vorstellung, dass man einen Mann durch Beschneidung zum Christen machen kann, natürlich von vorneherein absurd ist.

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"Shylock" ist ein Band des Hogarth Shakespeare Projects, innerhalb dessen namhafte Autoren Shakespeare-Stücke neu interpretieren. "Der Kaufmann von Venedig" - keines von Shakespeares leicht zu fassenden Werken. Zu schablonenhaft allen Vorurteilen entsprechend ist die Figur des Shylock, des Geldverleihers und Zinsschacherers, zu hart geht er mit ihm ins Gericht. Und was treibt den jüdischen Schriftsteller Jacobson um, ausgerechnet dieses Stück zu wählen, wo es doch sicherlich einige andere Möglichkeiten gegeben hätte? Wenn man alle Neben- und sonstigen Stränge beiseite lässt, geht es in Jacobsons Roman um Simon Strulovitch, der verhindern möchte, dass seine Tochter Beatrice einen Nicht-Juden heiratet. Unerwarteten Beistand erhält er von Shylock, dem er auf einem Friedhof begegnet. Ein Buch über die jüdische Kultur und Weltsicht, zur Abwechslung mal von einem Juden geschrieben. Es geht um die Sicht der Christen auf das Judentum, um jüdischen Humor, um Traditionen und ihren Wert in der heutigen Zeit und um Selbstpositionierung zwischen alter und neuer Welt. Shylock ist dabei der zu Fleisch gewordene Geist des alten Judentums, im ständigen Zwiegespräch mit seiner verstorbenen Frau Leah; Shylock, der den Verlust seiner Tochter betrauert, ihren Verrat, und den kurzen Moment bereut, in dem er einmal ebenbürtig war, einmal Macht über die hatte, die ihn wegen seines Jüdisch Seins verachteten. Strulovitch dagegen ist reicher und unabhängiger Kunsthändler, der nicht im Jüdisch Sein verhaftet sein möchte, aber zunehmend feststellt, dass es trotzdem so ist. Der darunter gelitten hat, dass sein Vater ihn verstoßen hat wegen der Heirat mit einer Nichtjüdin und trotzdem in Erwägung zieht, dasselbe seiner Tochter anzutun. Jacobson zeigt uns den "Kaufmann von Venedig" aus jüdischer Sicht, gibt dem Handeln Shylocks einen Sinn, gibt der Schablone einen Charakter. Und er beweist anhand von Strulovitch, wie sehr diese Schablonen auch heute noch greifen, wie die eigene Herkunft die Sicht der Anderen beeinflusst. Für mich ist dieser Band der Hogarth Shakespeare Reihe der bisher anspruchvollste, aber auch der anstrengendste. Ein Band, in den man sich einlesen muss, dessen Inhalt dem Leser nicht einfach zufliegt. Ein Roman, der nachhallt und die eigenen Ansichten überdenken lässt, so man sich ihm denn öffnet. Das Buch eines offensichtlich sehr klugen und weltoffenen Menschen, der sich seiner Wurzeln sehr bewusst zu sein scheint und sich daran auch abarbeitet. Und eines Menschen, der versteht, dass Heimat da ist, wo man dieselbe Sorte Humor teilt... Ich danke dem Knaus Verlag sehr herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

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Es gibt Bücher, mit denen man ein wenig Geduld haben muss, Shylock von Howard Jacobson war für mich eines davon. Über das erste Drittel des Romans geben sich die beiden Hauptcharaktere, der wohlhabende Kunstsammler Simon Strulovitch und der Witwer Shylock, die einander auf dem jüdischen Friedhof von Manchester begegnet sind, geschliffenen Dialogen hin, sonst passiert allerdings nicht viel. Kurz nach der Begegnung zieht Shylock in Strulovitchs Haus ein und zwischen den beiden Männern entspinnen sich Streitgespräche, deren Hauptthemen die jüdische Identität und der Antisemitismus sind. Was bedeutet es, Jude zu sein? Wer trägt Schuld an Judenverfolgung und Diskriminierung? Wie darauf reagieren? Haben etwa die Juden selbst Anteil daran? Wir erfahren, dass Strulovitch in erster Ehe mit Ophelia-Jane, einer Christin, verheiratet war und daraufhin von seinen Eltern für tot erklärt wurde. Erst die zweite Ehe mit der Jüdin Kay hatte die Eltern wieder versöhnt. Nun dämmert Kay nach einem Schlaganfall in ihrem Bett dahin, und die gemeinsame Tochter Beatrice, kaum 16 geworden, ist mit einem unkultivierten Fußballer durchgebrannt, der eine Vorliebe für jüdische Mädchen hat, für den Frauen im Allgemeinen aber austauschbar sind. Auch Shylock hat eine Tochter verloren, Jessica, und er verbringt viel Zeit im Zwiegespräch mit seiner verstorbenen Frau Leah. Nach 100 Seiten ist genug herumgeredet. Strulovich beschließt zu handeln, die Geschichte nimmt Fahrt auf und bleibt bis zuletzt unterhaltsam und spannend. Der Autor schießt giftige Satirepfeile auf Vieles, unter anderem auf Koch- und Realityshows mit reichen Erbinnen, auf den modernen Kunstbetrieb sowie auf Paolo Coelho und seine Leser, und das Thema Antisemitismus und wie die Juden selbst damit umgehen wird ebenso satirisch und ins Absurde verzerrt abgehandelt. Die Frage, ob dies zulässig sei, lässt sich möglicherweise mit einem Zitat aus dem ersten Kapitel beantworten: „Juden scherzen, Ophelia-Jane, weil ihnen nicht zum Lachen zumute ist“, sagt Strulovitch darin zu seiner Frau. My Name is Shylock, so der englische Titel des Romans, ist Teil des Hogarth Shakespeare Projects, und mit Der Kaufmann von Venedig hat er eine Vorlage, die aufgrund der Darstellung des jüdischen Geldverleihers Shylock häufig als Shakespeares kontroversiellstes Stück bezeichnet wird und laut Klappentext auch für Howard Jacobson „das verstörendste Schauspiel aus der Feder des Dramatikers“ ist. Das Stück als Beleg dafür zu betrachten, dass Shakespeare ein überzeugter Antisemit war, wäre jedoch eine grobe Vereinfachung. In seiner detaillierten Shakespeare-Biographie meint Peter Ackroyd, Shylock sei eine Figur jenseits von Gut und Böse, die sich der Interpretation entziehe, und die Art, wie Jacobson diese Figur in seinem Roman verwendet, lässt sich mit Ackroyds Einschätzung in Einklang bringen: Jacobson verpflanzt Shakespeares Shylock ohne viel Federlesen in die moderne Handlung und geht dabei so weit, ihm, wie auch anderen Figuren, gelegentlich Originalzitate aus dem Theaterstück in den Mund zu legen. Gleichzeitig ist Shylock derjenige, der Strulovitch immer wieder zur Mäßigung seiner Rachegelüste auffordert. Strulovitch ist in gewisser Weise ebenfalls Shylock, nur eben die moderne Ausgabe. Diese doppelte Darstellung hat beim Lesen die Frage auftauchen lassen, ob Shylock überhaupt real existiert oder ob es ihn nur in Strulovitchs Fantasie gibt. Die Suche nach einer Antwort und das einfallsreiche Spiel mit anderen Motiven Shakespeares, etwa dem nur angedeuteten homoerotischen Interesse von D’Anton, der die Liaison zwischen Beatrice und ihrem Fußballspieler eingefädelt hat und sich mit pathetischer Hingabe aufopfert, machen das Vergnügen beim Lesen aus.

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Shylock und Strulovitch lernen sich zufällig kennen, auf einem jüdischen Friedhof kommen sie ins Gespräch und der Kunstsammler Strulovitch lädt Shylock in sein Haus ein. Dessen Tochter ist verschwunden, während Strulovitchs Teenager-Tochter Beatrice grundsätzlich zwar noch zu Hause wohnt, aber eindeutig ihre Grenzen testet. Neuester Coup ist die Freundschaft zu It-Girl Plurabelle und die Beziehung zu seinem Fußballprofi, der zu allem Überfluss auch noch kein Jude ist. Für Strulovitch gibt es nur eine Möglichkeit, die Beziehung zu legitimieren: Der Fußballprofi soll sich nachträglich beschneiden lassen. Das erscheint dem jedoch etwas zu gewagt und die Geschichte nimmt Fahrt auf. Howard Jacobsons Roman „Shylock“ ist im Rahmen des Hogarth Shakespeare-Projekts bei Knaus erschienen und ist eine Neubehandlung von Shakespeares Stoff aus „Der Kaufmann von Vendig“. Schwerpunkt des Romans sind die Gespräche zwischen Shylock und Strulovitch, in denen es hauptsächlich um ihre jüdische Identität geht, inwieweit sie sie beeinflusst und wo die Grenzen sind, die sie nicht überschreiten würden. Strulovitch wurde selber von seinem Vater enterbt, als er eine Christin heiratete, trotzdem stellt er jetzt fest, dass er als Vater ebenso handelt und sich nicht vorstellen kann, dass Beatrice keinen Juden heiratet. Die Gespräche zwischen Shylock und Strulovitch sind höchst amüsant zu lesen, sie haben sich scheinbar völlig in eine Blase zurückgezogen, aus der sie Entscheidungen treffen, die am Leben vorbeizugehen scheinen. So hat Beatrice dann auch entsprechend wenig Verständnis für die Vorstellungen ihres Vaters. Die Geschichte mit der nachträglichen Beschneidung führt Jacobson am Ende derart ad absurdum, dass man beim Lesen nur noch lachend den Kopf schütteln kann. Der Roman „Shylock“ von Howard Jacobson ist ein witziger Parforceritt durch das jüdische Selbstverständnis der Hauptfiguren und sehr unterhaltsam zu lesen, daher kann ich den Roman nicht nur Shakespeare-Fans guten Gewissens weiterempfehlen.

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Simon Strulovitch ist eigentlich ein ganz moderner Jude. Er ist vermögend, sammelt Kunst und seine Ansichten sind weder besonders radikal, noch außergewöhnlich. Doch sobald es um seine Tochter Beatrice geht, sieht er rot. Diese besaß schon als 13-Jährige den Körper einer 23-Jährigen und so rechtfertigt Strulovitch seinen Kontroll- und Überwachungszwang ihrem inzwischen 16-Jährigen Ich gegenüber; besonders nachdem seine Frau Kay einen Schlaganfall erlitt und zum Pflegefall wurde. Die ganze Verantwortung der Familie lastet auf seinen Schultern, auf die sich Strulovitch mit dem Erwachsenwerden seiner Tochter eine weitere Last aufbürdet: was ist des Judens wahre Lebensweise? Eine absonderliche Zusammenkunft – das Setting Alles beginnt auf einem Friedhof. Der Tod hat Einkehr gehalten, Strulovitchs Mutter ist verstorben und ebenso die geliebte Ehefrau Shylocks. Seine Tochter Jessica ist verschwunden und das, was Shakespeare im „Der Kaufmann von Venedig“ berichtet, ist längst vergangen, Gemunkel im Munde derer, die Shylock fürchten, ihn verachten oder zu ihm aufsehen. Auch Strulovitch ist voreingenommen gegenüber Shylock und doch fasziniert ihn dieser ernste Mann, der in seinem Denken extrem und in seinen Urteilen schnell ist; er kann nicht vergessen, kann nicht vergeben, kann nicht mehr wohltätig sein. Beide Männer sind von Trauer ergriffen und unterscheiden sich doch drastisch voneinander. Strulovitch dagegen ist ein wohltätiger Kunstsammler anglo-jüdischer Kunst. Er ist kein echter Gläubiger, sondern ein weltlicher Jude, doch wie weit seine Wohltätigkeit geht, wie sehr sie nur aus dem Schein besteht, bleibt offen. Sobald es um seine Tochter Beatrice geht, wird er zum zwanghaften Kontrolleur; regelrecht zur Bestie, die allem Rationalen entsagt und in unbändiger Wut nur eines will: seine Tochter an einen jüdischen Mann verheiraten – aber weshalb? Eine kuriose Parodie mit ernstem Kern – die Geschichte Und dann beginnt die Geschichte. Beatrice gerät in die Kreise der reichen Erbin Plurabelle, die keine Grenzen kennt, die mit Geld alles kaufen kann, sich moralischen Schranken nicht unterwirft und das Spiel mit den Menschen liebt. D’Anton ist ihr Diener und dieser erfüllt der erfolgreichen Moderatorin einer Fernsehsendung jeden Wunsch und sei er noch so an der Grenze des (Il-)Legalen. Plurabelle ist eine tragische Figur, die sich jeden Luxus leisten kann, aber eigentlich nur der Einsamkeit zu entfliehen versucht, den einen Menschen zu finden, mit dem sie ihr Leben teilen kann. Sie existiert in einer Welt der Oberflächlichkeiten, ist gezeichnet von Schönheitsoperationen und nutzt Erfolg und Geld für das Pompöse. Beatrice und der Christ So verschafft sie dem Fußballer Gratan Howsome, einem Christen, eine wunderschöne Jüdin: Beatrice. Die darauf anspringt, sich in die exzentrische Welt Plurabelles begibt, die Beachtung jener genießt und weiß: ihr Vater wird explodieren und doch ist sie wild entschlossen, diesen Mann sogar zu heiraten. Denn darum geht es auch in „Shylock“, um eine Vater-Tochter-Beziehung, die aus den Fugen geraten ist, die niemals wirklich normal war, in der Vater und Tochter zwei extreme Pole bilden, die sich abstoßen, auflehnen und gegeneinander prallen. Sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an, um zu schockieren, sich gegenseitig zu verletzen, die Absichten des anderen zu durchschauen und zu durchkreuzen. Das nicht zuletzt, weil der Mann, den Beatrice heiraten will, erst kürzlich in den Schlagzeilen stand als er den Hitlergruß in aller Öffentlichkeit vollführte – ohne dessen Tragweite, den historischen Hintergrund, überhaupt ansatzweise zu verstehen. Und damit beginnt die Gier nach dem Fleisch: die Vorhaut als Symbol ohne Grundlage. Die Schuldfrage Währenddessen lädt Strulovitch Shylock in sein Haus ein, zum Zwiegespräch zweier Männer über gar existentielle Fragen: Wozu ist der Jude fähig? Wie sieht er sich selbst und wie sieht die Welt den Juden? Shylock ist ein gebrochener Mann seit dem Tod seiner Frau. Der Schauprozess, über den alle munkeln, liegt weit zurück und er hat sich von der Welt entfremdet, führt heimliche Gespräche mit seiner toten Frau. Seine Tochter Jessica bleibt verschwunden und er hat verloren, wird zum Beobachter in Strulovitchs Kampf um dessen Tochter, seine Integrität und dem neuen, jüdischen Weltbild, das er sich im Wahn, die Tochter zu beschützen, erschafft. Was ist die Tochter wert? Und hier wendet sich irgendwann das Blatt zwischen den Extremen. Wer ist extremer Jude, wer ist weltlicher Jude? Mit der Rebellion seiner Tochter entdeckt Strulovitch seine Religion auf’s Neue und die (nicht-)vorhandene Vorhaut des künftigen Schwiegersohns wird zum Symbolbild einer nicht nur über Jahrtausende andauernden Geschichte, sondern auch über einen persönlichen Feldzug der Rache, die keine Grenzen kennt. Und dort hinein, in die brodelnde, gar brennende Linie zwischen Vater und Tochter geraten alle anderen Figuren: Ein Netz aus Intrigen beginnt sich zu spannen. Und alles erscheint wie eine Parodie in Howard Jacobsons Roman; überspitzt und unwirklich. Hinter jedem Satz verbirgt sich der reinste Zynismus, den man als Leser erst einmal begreifen muss, um ihn zu extrahieren und das herauszuheben, was dort wirklich steht, zwischen den Zeilen unter all den vielen Worten, die für mich nicht immer ein sinnhaftes Konstrukt ergeben haben; manchmal hätte ich mir etwas weniger Beschreibungen, etwas weniger Wortgewalt gewünscht. Jacobsons Romanadaption befasst sich ebenfalls, ganz klar, mit dem Judentum und dem Antisemitismus, wie dies schon Shakespeare getan hat, doch klärt jener sie mit einer Fülle an Metaphern, die es wiederum erst zu entschlüsseln gilt; wäre da nicht dieses Kabarett der ganzen Geschichte. Manches bleibt dabei auf der Strecke, manches muss der Leser immer und immer wieder lesen, um es zu begreifen, und manches ist einfach und komplex zugleich. Der Kern des Ganzen – die Figuren „Shylock“ ist eine überspitzte Geschichte. Hinter jeder Figur verbirgt sich Lug und Trug, jeder besteht nur aus Schein und nicht aus dem eigenen Sein. Maskenhafte Fratzen begegnen sich auf den Straßen einer überaus extravaganten Gegend, bedrohen sich und trauen einander nicht über den Weg. Es gibt kein Schwarz und kein Weiß, sondern nur Chaos und darin eingebettet der Mensch, ob Jude oder Christ, der Mensch, der sich hinter einem Schild versteckt, das er der Welt hinhält, es bemalt und etwas konstruiert, das sein Ich sein soll: das Ich, das er der Welt präsentiert. Shylock Und dann trennt Howard Jacobson doch den Juden vom Christen und setzt den einen auf die eine Seite und den anderen auf die andere Seite – mit einem winzigen Detail, das die Sache wieder zum Kippen bringt – am Ende. Und was macht Shylock? Er spielt eine Rolle am Rande des Romans. Er ist bodenständiger als in Shakespeares Komödie, hat von seinem Schicksal „gelernt“ und man betrachtet ihn als Leser ganz anders in diesem modernen Stück: Er hat mehr Tiefe erfahren, bleibt nicht der stereotype, jüdische Wucherer, sondern wirkt besonnener mit der Welt und den Menschen darin. Aber dennoch ist er ein düsterer Charakter, den man nicht vollständig durchdringen kann, er ist undurchschaubar in seinen Motiven und spricht nie klar über seine Ansichten. Aus Erfahrung? Simon Strulovitch Strulovitch dagegen wird zu einer Art Spiegelbild des Shakespearschen Shylocks, der sich seiner neu gewonnenen Religiosität hingibt, aber nicht der Religion wegen, sondern des Prinzips und somit forciert er die Vorhaut zum einzigen wahren und aussagekräftigen Symbol des Juden. Diese unsagbare „Verstümmelung“ wird Dreh- und Angelpunkt der Geschichte und es ist ein Ziehen und Zerren auf allen Seiten, wen es am Ende treffen wird. Während der Shakespeare-Shylock allerdings sehr einseitig dargestellt wird, so besitzt Strulovitch Entwicklungspotenzial (wenn auch in eine sehr bedenkliche Richtung). Exzentrische Figuren Eine exzentrische Figur neben der anderen versammelt Howard Jacobson in seiner Romanadaption und genau an diesen Figuren habe ich einen Narren gefressen. Das beginnt schon allein bei der Namensgebung der Figuren, die Jacobson neu ins Spiel bringt und die denkwürdig ist: Anna Livia Plurabella Cleopatra Eine-Schönheit-ist-eine-ewige-Freude-weiser-als-Salomon Christine oder auch Gratan Howsome. Während die Geschichte mal mehr mal weniger durchschaubar in ihren Strukturen und in ihren großen Fragen über das jüdische und christliche Dasein in der modernen vom Konsum zerfressenen Welt war, so waren die Figuren durchweg herausragend. Nicht aufgrund von Sympathie, Intelligenz oder Charisma, sondern aufgrund ihrer Exzentrik und ihrer überspitzten Darstellung, der vielen unterschiedlichen Beweggründe und der darüber hinaus bestehenden Tiefe ihres Daseins. Der Leser kann jeder Figur mehr als nur einen Charakterzug abgewinnen, sie hinterfragen und dahinter noch Seiten entdecken, die sich verstecken, nur ein bisschen zwischen den Zeilen hindurch blinzeln. Für das gesamte Buch bedarf es eine aufmerksame Lektüre, sonst verliert man als Leser nur allzu leicht den Durchblick, den Anknüpfungspunkt an die ernsthafte Thematik, die in diesem Buch steckt, trotz all der überbordenden Verrücktheit. Fazit zum Schluss Kein leichter Einstieg ist Howard Jacobsons„Shylock“ in das Shakespeare-Projekt. Aber ein durchaus lohnenswerter, besonders nach der Lektüre des Originals. Ich empfand diesen Roman als Zusatzlektüre für „Der Kaufmann von Venedig“ spannend, denn er beleuchtet noch einmal ganz andere Perspektiven, nimmt eine Metabetrachtung vor, indem er die eigentliche Handlung Shakespeares Komödie in die Vergangenheit und seine eigene als Fokus setzt. Und dabei entsteht eine Art Reflexion für den Leser und für die Figuren, der ich immer noch nachhänge – ist Shylock geläutert? Aber ebenso ist es dem Autor gelungen, dem Buch eine eigene Stimme zu verleihen, „Shylock“ ist keine einfache Adaption des Shakespearschen Originals in eine moderne Zeit, mit anderem Ort und denselben Figuren. Es ist weit mehr in sehr komplexer Struktur, mit Vernetzungen, besonderem Setting und überspitzten Formulierungen.

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Darüber, dass der Knaus Verlag in diesem Jahr acht Werke Shakespeares‘ in neuer Erzählung veröffentlicht, habe ich ja schon im Beitrag zum „Wintermärchen“ von Jeanette Winterson erzählt. Jetzt durfte ich auch den zweiten Band lesen, in dem Howard Jaconson den „Kaufmann von Venedig“ neu erzählt. „Der Kaufmann von Venedig“ erzählt die Geschichte Shylocks. Ein jüdischer Geldverleiher der Antonio, einem venezianischen Kaufmann, Geld leiht und statt Zinsen „ein Pfund Fleisch“ aus Antonios Körper fordert, sollte dieser das Geld nicht rechtzeitig zurückzahlen können. Antonios Schiffe verschwinden, er kann Shylock das Geld nicht zahlen und enteignet diesen schließlich mit einem Trick. Nicht zuletzt deshalb wird dem „Kaufmann von Venedig“ heute Antisemitismus vorgeworfen, weshalb er oft als unspielbares Stück gehandelt wird. Howard Jacobson nimmt das zum Ausgangspunkt seiner Romanfassung. Shylock bekommt einen jüdischen Kunstsammler an die Seite gestellt, dem er zufällig begegnet. Strulovitch hat eine Tochter, die viel zu reif ist für ihr Alter und eine Frau, die seit ihrem Schlaganfall nicht mehr sprechen kann. Er sucht Trost bei Shylock, der wie er selbst viel durchgemacht hat und beide Männer unterhalten sich darüber, was es heißt ein Jude zu sein, was einen Juden überhaupt zum Juden macht und über Beatrice, Strulovitchs Tochter, die dabei ist sich in einen Fußballstar zu verlieben, der doppelt so alt ist wie sie und noch dazu Christ. Strulovitch, der nicht verstehen kann, was seine Tochter an einem Fußballer findet, der sein einziges Tor mit einem Hitlergruß auf dem Feld feiert, versucht Gratan dazu zu überreden, sich wenigstens beschneiden zu lassen ehe er mit seiner Tochter anbändelt. Gratan von dem Gedanken verschreckt, flieht gemeinsam mit Beatrice nach Venedig. Jacobson nimmt die Darstellung des Juden Shylock in Shakespeares Stück als Ausgangspunkt seines Romans und stellt die wirklich großen Fragen unserer Zeit, was macht Religion mit uns und was macht uns religiös. Wo hört Religion auf und fängt Fanatismus an. Das alles macht er, in dem er Shakespeares‘ Shylock einen Partner erfindet. Die Gespräche der beiden sind das wahrlich lesenswerte an diesem Buch, nachdenklich, bitterböse und ironisch unterhalten sie sich über ihre Religion und ihre Töchter, die dem einen bereits entglitten ist und dem anderen zu entgleiten droht. Ich bleibe dabei, die Idee Shakespeares Werke in Romanfassungen vorzulegen ist grandios und ich werde wohl auch die anderen Bände alle lesen müssen. Shylock ist bei Knaus erschienen. ISBN: 978-3-8135-0674-7 288 Seiten, 19,99 €.

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In der Neuerzählung von „Der Kaufmann von Venedig“ wird die Geschichte von Strulovitch erzählt, dessen Tochter in die falschen Kreise gerät und sich in einen Fussballer verliebt. Das Problem ist, er ist kein Jude. Ihr Vater hat damit ein Problem, weil er das eigentlich nicht so vorgesehen hat. Ich habe die Originalgeschichte leider nicht gelesen und von daher kann ich nur sagen, war es für mich teilweise sehr schwer in die Handlung reinzukommen. Stellenweise ging es sehr gut, aber dann hat es manchmal wieder gestört. Daher würde ich jedem empfehlen vorher das Original zu lesen. Die Erzählweise des Autors war sehr schön, aber auch sehr anspruchsvoll und so muss man doch ein gewisses Durchhaltevermögen haben, damit man das Buch nicht gleich wieder zur Seite legt. Ich konnte auch keine wirkliche Verbindung zu den Charakteren herstellen und ich denke es liegt mit der Schreibweise zusammen. Ich glaube, aber der Autor hat das auch nicht beabsichtigt. Die Thematik mit dem Problem der anderen Religion ist doch, so glaube ich, dass Hauptaugenmerk des Autors. Howar Jacobson versteht es aber sehr gut, daraufhinzuweisen, was einem wichtig sein sollte und was nicht. Die Chemie zwischen Shylock und Strulovitch hat mir sehr gut gefallen, obwohl ich nicht so rausfinden konnte, ob Shylock real ist oder ob er nur ein Hirngespinst von Strulovitch, weil ja nur die beiden kommunizieren. Deswegen eher schwierig zu beurteilen. Das Ende war für mich nicht vorhersehbar, aber es war gut beschrieben.

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