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Rezensionen zu
Dunbar und seine Töchter

Edward St Aubyn

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Wie viele Schriftsteller haben sich wohl auf die eine oder andere Weise von Shakespeare inspirieren lassen? Im „Hogarth Shakespeare-Projekt“ haben acht renommierte Autoren ein Drama ihrer Wahl sogar ganz konkret neuinterpretiert, darunter der britische Journalist und Schriftsteller Edward St Aubyn. Er hat sich „King Lear“ vorgeknöpft und aus dem Stoff eine zeitlose, dramatische Familiengeschichte gestrickt. Sie beginnt in einem Sanatorium in Cumbria im Nordwesten Englands. Henry Dunbar, Chef eines Medienimperiums, wurde von seinen zwei intriganten und machthungrigen Töchtern Abigail und Megan mit Medikamenten vollgepumpt und in die Klinik abgeschoben. Es gelingt ihm jedoch, gemeinsam mit dem trinkfreudigen Komiker Peter Walker auszubrechen. Während Peter nur an einer Sauftour interessiert ist, wird aus Dunbars Flucht eine Reise zur Selbsterkenntnis. Schon bald trennt er sich von seinem Begleiter und versucht, trotz seiner schwachen körperlichen Verfassung allein einen Pass zu überqueren. Dabei reflektiert er voller Reue über sein verpfuschtes Leben, seine geliebte Frau, die er durch einen Unfall verlor und seine jüngste Tochter Florence, die er zu Unrecht enterbte. Die körperliche Grenzerfahrung und der völlige Kontrollverlust im tiefsten Wald führen bei Dunbar zu einer seelischen Läuterung. In starken Metaphern beschreibt der Autor, wie psychische und physische Schmerzen sowie Innen- und Außenwelt miteinander verschmelzen. Es kommt einem vor, als suche der einst machthungrige und skrupellose Unternehmer mit dem quälenden Aufstieg auf den Berg die Nähe Gottes, seine Gnade und Erlösung. Währenddessen starten sowohl die „bösen“ Töchter als auch Florence mit ihren jeweiligen Verbündeten eine große Suchaktion. Die Spannung wird dadurch erhöht, dass in vier Tagen eine Aufsichtsratssitzung geplant ist, die über die Zukunft des milliardenschweren Konzerns entscheiden soll. Was die Skrupellosigkeit und Grausamkeit von Abigail und Megan betrifft, werden alle Register gezogen. Ihre Kaltblütigkeit und Gewaltbereitschaft erinnert an so manche Figur aus Shakespeares Vorlage. Edward St Aubyn hat in seinem fesselnden Roman nicht nur den Stoff von King Lear geschickt in die Neuzeit versetzt, sondern auch den Fall und die Läuterung eines Menschen, nachdem er auf die nackte Existenz reduziert wurde, stilistisch und dramaturgisch überzeugend umgesetzt.

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Heute erscheint die deutsche Übersetzung des neueste Bandes aus der Hogarth Shakespeare-Reihe: Dunbar und seine Töchter ist Edward St Aubyns Version von Shakespeares King Lear. In Shakespeares Stück beschließt der alte König Lear, sein Reich unter seinen drei Töchtern aufzuteilen. Von der zurückhaltenden Reaktion seiner Lieblingstochter Cordelia erzürnt enterbt er sie, sie verlässt den Hof und Lear übergibt sein Erbe an Goneril und Regan, die im Gegensatz zu ihrer Schwester heuchlerisch und berechnend sind. Sobald diese beiden die Macht in Händen halten, hat jedoch jede Schmeichelei ein Ende und sie versuchen, den alten Herrscher möglichst schnell kaltzustellen. Daraufhin kehrt Cordelia zurück, um ihren Vater zu retten. Unterstützt wird sie dabei vom Earl of Kent, einem treuen Weggefährten des Königs, der ebenfalls in Ungnade gefallen ist. In St Aubyns Version des Stoffes ist die Titelfigur Henry Dunbar, der aus einem kleinen Verlag ein mächtiges Medienimperium aufgebaut hat. Seine Töchter Abigail und Megan haben den 80-Jährigen in ein Sanatorium in Cumbria im Nordwesten Englands verfrachtet, wo er mit Medikamenten vollgepumpt wird, um ihn ruhig zu stellen. Geholfen hat ihnen dabei Dunbars persönlicher Arzt Dr. Bob, der dafür einen Millionenbetrag bekommen hat und den die Schwestern nach Belieben für Liebesdienste zu sich beordern, die für ihn alles andere als ein Vergnügen sind. Während der medikamentensüchtige Arzt Pläne schmiedet, wie er den durchgeknallten Schwestern entkommen und dabei noch weitere Millionen abräumen kann, ist Dunbar die Flucht schon gelungen. Gemeinsam mit dem alkoholkranken Komiker Peter Walker hat er sich aus dem Sanatorium davongemacht, und auf seiner unfreiwilligen Wanderung durch den Lake District wird ihm klar, wie unrecht er seiner Lieblingstochter Florence getan hat, die auf ihren Anteil am Erbe nur deshalb verzichtet hat, weil sie einen bescheideneren Lebensstil anstrebt – wenn der Ausdruck bescheiden für die Bewohnerin eines Apartments mit Ausblick auf den New Yorker Central Park irgendeine Berechtigung haben kann. Mit Dunbars Flucht aus dem Sanatorium beginnt ein Wettlauf darum, wer den alten Mann zuerst findet – die beiden älteren Schwestern oder die aus den USA angereiste Florence, die dabei von ihrem Jugendfreund Chris und dessen Vater Wilson, dem von Dunbar gefeuerten Chef der Rechtsabteilung der Firma, unterstützt wird. Dabei baut sich ein Handlungsbogen auf, der das Buch vom ersten Kapitel an zu einer spannenden Lektüre macht, auch wenn die Zuordnung von Shakespeares Vorlage zu den Tragödien kaum Hoffnung auf ein Happy End macht. Die ohne Längen erzählte Geschichte hat von Beginn an einen surrealen Touch. Peter Walker, der alkoholkranke aber offensichtlich hochbegabte Schauspieler, wechselt im Gespräch ständig die Rolle (sein Repertoire reicht von beflissener Hotelempfangsdame über John Wayne bis zum deutschen Kommandeur) ,und die Grausamkeiten der beiden älteren Schwestern wären auch in einem Quentin-Tarantino-Film nicht fehl am Platz. Gleichzeitig bleiben die Ereignisse aber immer real vorstellbar. Dunbar hat vor seiner Abdankung eine Machtfülle, die der eines Herrschers wie Shakespeares Lear in nichts nachsteht. Er ist nicht nur milliardenschwer, sondern auch der Besitzer eines Medienimperiums, das es ihm ermöglicht, Menschen nach Belieben zu unterstützen und zu zerstören, und der Kampf um die Eroberung und Rückeroberung der Macht findet dort statt, wo heute tatsächlich Imperien geschaffen und zerstört werden – auf den Aktienmärkten. Die Beschreibung bleibt dabei immer auf das Wesentliche beschränkt und ist manchmal symbolhaft, so trägt beispielsweise Dunbars Privatjet den Namen Global One. Auch für die Rivalität zwischen den Schwestern liefert der Autor eine kurze aber plausible Erklärung: Abigail und Megan stammen aus Dunbars erster Ehe und sind beim Vater aufgewachsen, nachdem dieser ihre Mutter bei der Scheidung in eine psychiatrische Anstalt hatte einweisen lassen, Florence ist die Tochter von Dunbars tödlich verunglückter zweiter Frau Catherine. Anders als bei anderen Romanen der Hogarth-Shakespeare-Reihe war es mir hier beim Lesen nicht wichtig, möglichst viele Parallelen zu Shakespeares Stück zu finden, der Roman funktioniert meiner Meinung nach auch als Stand-alone ausgezeichnet. In diesem Zusammenhang würde mich eure Meinung interessieren: lieber genaues Quellenstudium oder unverstellter Blick auf das neue Werk? Edward St Aubin, Dunbar und seine Töchter. Aus dem Englischen von Nikolaus Hansen. Albrecht Knaus Verlag München 2017, 253 Seiten. Ich danke dem Knaus-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

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