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Rezensionen zu
Es war einmal im Fernen Osten

Xiaolu Guo

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Xiaolu Guo „Es war einmal im Fernen Osten“ Es ist die Autobiographie einer chinesischen Autorin und Filmemacherin, die heute in Berlin lebt und in den 1970er Jahren in Südchina aufgewachsen ist. „Ich kam als Waise zur Welt. Nicht, weil meine Eltern gestorben waren, nein, sie waren beide quicklebendig. Doch meine Eltern haben mich weggegeben. (…) Gleich nach meiner Geburt wurde ich zu einem Bauernpaar gebracht, das in einem entlegenen Bergdorf unserer Provinz am Ostchinesischen Meer lebte“ p.19 Aber auch diesen „Adoptiveltern“ wird das Baby zur Belastung und so bringen sie sie zu ihren Großeltern in ein Fischerdorf auf der Halbinsel Shitang. Dort wächst Xiaolu auf bis ihre Eltern sie zu sich in eine größere Stadt holen. Besonders eindringlich fand ich die Schilderung der Großmutter und deren sklavenähnlichen Lebens im Haus ihres Mannes : „Meine Großmutter war eine gute, manchmal ein wenig ängstliche Frau. Obwohl sie fast nie einen Pfennig in der Tasche hatte, schaffte sie es immer, ein paar kleine Geschenke für die Kinder, die draußen auf der Straße spielten, zusammenzukratzen: Bonbons, Reisreste oder eine Handvoll bunter Muscheln. Sie war gutmütig, still und der bescheidenste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Ich bildete mir ein, dass ihr Buckel eine Folge dieser Demut war. Er machte sie langsam, sie konnte noch nicht einmal in einem normalen Tempo gehen. Natürlich spielten dabei auch ihre winzigen, gebundenen Füße eine Rolle, über die sie sich aber nie beklagte“ p. 29 Als 7jährige lernt sie ihre Eltern kennen und lebt von da an mit Eltern und Bruder in Wenling, wo sie 1980 eingeschult wird. Ihre Erinnerungen an ihre Kindheit sind nicht allzu gut, für westliche Leser*innen aber höchst interessant. Ihre Mutter war eine begeisterte Rotgardistin, ihr Vater dagegen ein „Klassenfeind“. Dieses – zumindest für meine Begriffe – ungewöhnliche Paar hat einen Sohn und eine Tochter, die sehr verschieden behandelt werden und einander auch nicht mögen. Die Familie wohnt in einem kommunistischen Wohnhof, dessen Beschreibung allein es schon wert gewesen wäre das Buch zu lesen. Aus diesen Verhältnissen heraus gelingt es Xiaolu einen Studienplatz an der Filmhochschule in Peking zu ergattern. Während sie noch in china lebt, beginnt sie zu schreiben. Fasziniert hat mich auch ihre Beschreibung der chinesischen Zensur ihrer Romane, was warum geschrieben werden soll oder nicht geschrieben werden darf. Der Roman beginnt damit, dass Xiaolu 2013 mit 40 Jahren in einem Londoner Krankenhaus eine Tochter zur Welt bringt und dann beschließt sich ihrer Vergangenheit zu stellen und ihre Mutter in China zu besuchen.

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Xiaolu Guos kraftvolle Erzählstimme habe ich bereits kennen- und lieben gelernt in ihrem Roman „Ich bin China„. Mit „Es war einmal im Fernen Osten“ hat sie ein ganz persönliches Buch verfasst, das den Leser tief im Mark erschüttert: Xiaolu Guo berichtet von ihrer Kindheit und dem Heranwachsen in einem China, das von der Kulturrevolution sowie der Ein-Kind-Politik gebeutelt ist. Sie erzählt ihre schwierige Familiengeschichte und von den traditionellen Rollen zwischen Mann und Frau, die besonders ihre Großmutter hart getroffen hat. Die tragische Geschichte von Xiaolu beginnt schon als sie ein Baby ist, denn ihre Eltern geben sie an eine arme Bauernfamilie ab. An diese ersten beiden Jahre kann sie sich nicht erinnern, doch aufgrund der Armut dieser Familie landet Xiaolu mit zwei Jahren wieder bei ihren Großeltern, die in einem kleinen Dorf am Meer, in Shitang, leben. Dort erlebt sie in den nächsten Jahren eine harte Zeit. Ihr Großvater ist gefühlskalt und gewalttätig gegenüber ihrer Großmutter. Aber das ist keine Besonderheit, denn in Shitang hört man ständig die Schläge von Männern und das Weinen von Frauen. „Shitang war zu einem Stein in meiner Brust geworden. Die scharfen Ekcen und Kanten der Steinhäuser hatten auch mich versteinert, mich unbarmherzig und aggressiv gemacht.“ (Es war einmal im Fernen Osten | Xiaolu Guo | S. 26) Es war einmal im Fernen Osten – der Stand der Frauen Aber nicht nur die ersten Lebensjahre von Xiaolu Guo sind traurige Jahre, sondern auch die ihrer geliebten Großmutter. Denn ihre Großmutter hat durchweg ein unterdrücktes und von Gewalt durchzogenes Leben führen müssen. Nicht einmal einen echten Namen hat man ihr als Frau zugestanden. Sie war immer nur die Ehefrau ihres Mannes oder die Mutter ihres Sohnes Xiuling. Sie wurde unterdrückt und ihre Füße schon als Kind gebunden. Sie kann sich deshalb nur schlecht bewegen, den Haushalt und die schwere Arbeit muss sie dennoch verrichten und auch im Dorf am Meer, wurde sie nie richtig aufgenommen als eine, die sich nicht richtig mit den Gebräuchen dieser Gegend auskannte. Als Xiaolu mit 7 Jahren ihre Eltern kennenlernt, beginnt für sie in neues Leben. Ihre Großmutter wird zurück gelassen und sie zieht für die Schule mit ihren Eltern nach Wenling. Dort erfährt sie, dass sie auch einen älteren Bruder hat, doch statt geschwisterlicher Liebe herrscht zwischen den beiden ein Konkurrenzkampf. Ihre Mutter ist eine kaltherzige Frau, die von Xiaolu nicht viel hält. Für sie ist sie nur ein Maul mehr, das gestopft werden muss. Zu ihrem Vater fühlt sie sich hingegen hingezogen, denn dieser ist ein ruhiger Mann und Künstler. Er ist der einzige – neben ihrer Großmutter – der Xiaolu in ihrem Bestreben etwas aus ihrem Leben zu machen, unterstützt. Doch gegen ihre Mutter erhebt er kein Wort und so bleibt die Beziehung zwischen Xiaolu und ihrer Mutter weiterhin erkaltet. Es war einmal im Fernen Osten – ein Stück (chinesische) Frauen-Geschichte Xiaolu Guos Buch ist nicht nur eine Geschichte über ihre eigene Vergangenheit und ihre Familie. Sie ist ein Stück chinesische Geschichte verbunden mit dem Fokus auf das Leben als Frau in den 1970er Jahren und danach in einem kommunistischen System. Sie erzählt von Missbrauch, Gewalt und Unterdrückung sowie Zensur, aber auch von den Chancen, die ihr durch ihre eigene Zielstrebigkeit gegeben wurden. Sie berichtet von ihrer Naivität und dem Glück, das sie in den Westen geführt hat. „Es war einmal im Fernen Osten“ ist eine Geschichte aus einer anderen Welt. Ihre kraftvolle Stimme entführt den Leser regelrecht auf jeder einzelnen Seite. Manchmal hat sie etwas Magisches und dann wiederum trifft sie die brutale Realität wie ein scharfes Messer: Unterdrückung, Missbrauch und Rechtelosigkeit von Frauen als Normalität. „Es war einmal im Fernen Osten“ ist ein Buch, das die Geschichte einer Frau erzählt, die die meiste Zeit ihres Lebens einsam war. Ein Zuhause hat sie weder in ihrer Heimat aufgrund ihrer schwierigen Familiengeschichte gefunden, noch im Westen, dessen Sprache sie kaum sprach. Sie ist dennoch ihren Weg weitergegangen. Einsamkeit war immer ein Teil von Xiaolu Guo. Umso beeindruckender ist es, dass sie mit diesem überaus persönlichen Buch ihre Einsamkeit und ihre erschreckende Vergangenheit nicht verheimlicht, sondern mit uns teilt. Denn Einsamkeit und Unfreiheit treffen in China wahrscheinlich immer noch viele Frauen. „Es war einmal im Fernen Osten“ hat mich tief beeindruckt und mir wieder vorgehalten, wie privilegiert ich in der westlichen Welt als Frau bin.

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Dieser Roman zeigt aus der Sicht Xiaolu Guos die besonderen Zustände im kommunistischen System unter Mao Zedong und die Unterschiede zwischen Ost und West. Wenn man Xiaolu Guos dramatischen Schilderungen ihrer Kindheit folgt, wird man sensibilisiert für die chinesischen Unfreiheiten und Zwänge. Rechtlosigkeit von Frauen und Mädchen, Missbrauch, Armut und Gewalt gehören auch zu ihrem Lebenslauf dazu. Erst nach und nach beginnt sie sich davon zu befreien. Xiaolu bekam nach schweren Jahren der Kindheit dank ihres aufgeschlossenen Vaters eine Schulausbildung ermöglicht, die sie später zu einem Studium der Filmakademie in Peking befähigte. Während ihres Studiums kommt sie in den Genuss ausländischer Filme, lernt über ihren Horizont hinauszuschauen und erlebt das Aufbegehren der Regimegegner. Nach dem Studium schreibt sie angepasste Drehbücher für Seifenopern des chinesischen Fernsehens, doch ihr kritischer Geist ist damit nicht zufrieden. Ein Stipendium in London bringt ihr westliche Filmkunst näher. Diese Biografie liest sich ergreifend, spannend und man ist von der Rechtlosigkeit mehr als betroffen. Man mag kaum glauben, dass solche Zustände in China noch vor nicht allzu langer Zeit an der Tagesordnung waren. Die Einkindpolitik führte dazu, dass die Kinder aufs Land zu den Großeltern gebracht wurden, Mädchen nicht selten getötet wurden und Schule für weiblichen Nachwuchs ein Luxus war, der nicht gewollt war. Viele Chinesen erlebten Hunger und Armut und Denunziantentum und Verachtung für westliche Ausrichtung machten viele offiziell zu Systemgegnern. Erst nach dem Tode von Mao vollzog sich ein gesellschaftlicher Wandel, der Xiaolu Guo ein Leben zwischen Ost und West ermöglichte. In London verarbeitet sie endlich ihre Gefühle und bringt in ihre Drehbücher und Filme die Themen Entfremdung, Heimatlosigkeit und Heimweh ein. Alles Dinge, die sie selbst erlebt hat. Ihre eigene Identität ist irgendwo zwischen Ost und West, Heimat oder Exil. Diese Biografie gibt den Blick frei auf die Rechtlosigkeit von Frauen und Mädchen in China und den großen Kulturschock zwischen Ost und West. Ein berührendes und eindringliches Buch mit Spannung, Dramatik und anprangernder Offenheit. Von mir eine volle Leseempfehlung für diese interessante Lektüre.

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