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Rezensionen zu
Wir können nicht allen helfen

Boris Palmer

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Während des Wahlkampfes im Spätsommer 2017 hatte man zwischenzeitlich das Gefühl, dass es in Deutschland nur noch ein politisches Thema gibt: Migration und Flüchtlinge. Im berühmten TV-Duell wurde von 90 Minuten ungefähr 60 nur über sichere Herkunftsländer, Abschottung Europas und Terrorprävention gesprochen, andere Themen wie soziale Ungleichheit kamen deutlich zu kurz. Kein Wunder, dass manche Menschen Angst haben, dass die Politik sich nur noch um die Flüchtigen kümmert und nicht mehr um sie. Ein Thema, das so viel Raum in der gesellschaftlichen und medialen Debatte einnimmt, ist eigentlich dafür prädestiniert, dass Bücher darüber geschrieben werden von jedem, der sich gerade dazu bewogen fühlt. Das Buch, das ich heute vorstelle, entstammt den Gedanken eines Mannes, der besonders im Jahr 2015, in dem die Berichterstattung über die neu Angekommenen noch überwiegend positiv war, negativ auffiel. Ein Skandal – ein Grüner, der sagt „Wir schaffen das nicht!“. Als ich zuhause erzählt habe, welches Buch ich mir zur Lektüre rausgesucht hatte, gab es skeptische Blicke. Meine Eltern waren und sind kein großer Fan von Boris Palmer, dem jungen grünen Oberbürgermeister der Stadt Tübingen. DAS BUCH „Wir können nicht allen helfen“, das ist der Titel des diskutierten Buches und es ist auch gleichzeitig das Motto. Auf den ersten Blick keine sehr grüne Einstellung, auf den zweiten auch nicht. Palmer berichtet aus seinem eigenen Alltag, welche Risiken er in der unkontrollierten Zuwanderung sieht, mit welchen Problemen er als Oberhaupt einer weltoffenen Studentenstadt konfrontiert ist und was er für Lösungswege sieht. Palmer berichtet von bürokratischen Hürden, die eine menschenwürdige Unterbringung schwierig machen, von Menschen, die ihm einen Eintritt in die AfD nahelegen, weil er sagt, dass Deutschland nicht jedem Hilfesuchenden Schutz gewähren kann. Zwischendurch hatte ich allerdings beim Lesen das Gefühl, dass es Palmer um etwas ganz anderes, größeres geht. Er sieht die Veränderungen des gesellschaftlichen Diskurses der letzten Jahre. Wer sagt, dass er einer Zuwanderung wie im Jahr 2015 kritisch gegenübersteht, wird in eine Ecke gestellt mit Menschen, die Flüchtlingsheime anzünden, umgekehrt wird jeder, der für Flüchtlinge ist, als Gutmensch, Deutschlandhasser und Volksverräter beschimpft. Die Diskussionskultur ist geprägt von Diffamierungen und Beleidigungen, Argumente kommen weder von der einen, noch von der anderen Seite. Palmer prangert das Schwarz-Weiß-Denken an, das sich in den letzten zehn Jahren vermehrt in politischen Fragestellungen eingeschlichen hat. Entweder du bist für Flüchtlinge oder gegen Flüchtlinge und damit ein Arschloch. Differenzierungen finden kaum mehr statt. Er zeigt auf, wie verbissen beide Seiten agieren und wie wenig die Extreme zur Lösung der Probleme beitragen. MEINE MEINUNG Einige Punkte, die Palmer zum Thema Flüchtlingspolitik nennt, haben sicherlich ihre Berechtigung, besonders vor dem Hintergrund, dass er die Probleme nicht von Berlin aus betrachtet, sondern vom Rathaus seiner Stadt. Die Nähe, die Palmer zu den Bürgern zeigt, lässt ihn glaubwürdig wirken und die Lösungsvorschläge, die er nennt, sind bei genauerem Hinsehen alles andere als menschenverachtend. In manchen Belangen muss ich Palmer allerdings auch deutlich widersprechen. Im Einzelnen will ich darauf gar nicht eingehen, weil ich jedem die Chance geben möchte, sich selbst ein Bild zu machen, und sicherlich auch keine Expertin auf dem Gebiet der kommunalen Flüchtlingspolitik bin. Was ich aus dem Buch mitnehme, ist eine Änderung meiner Grundhaltung gegenüber Menschen, die kritisch an Themen herangehen. Ich neige selbst dazu, diese sofort zu verurteilen, in eine bestimmte Ecke zu drängen, aber das ist genau der Fehler. Wer sich nicht verstanden und ernstgenommen fühlt, misstraut und hält sich an diejenigen, die ihn vermeintlich verstehen, auch wenn sie in Kreise geraten, die radikal oder extremistisch sind. Es ist auf jeden Fall viel Stoff zum Nachdenken, den Palmer seinem Leser mitgibt. Das Buch ist eindeutig ein Plädoyer für einen offeneren und ehrlicheren Diskurs über ein Thema, das Deutschland wohl noch mehrere Jahre beschäftigen wird.

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