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Rezensionen zu
Ein halbes Lächeln

Anne Enright

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Kurzgeschichten zu lesen ist wie eine Begegnung mit dem richtigen Leben. Gerade im Lockdown habe ich sie zu schätzen gelernt. Diesen flüchtigen Blick in eine fremde Existenz, die Begegnungen, die den Tag bereichern, wenn man eigentlich nur im Haus sitzt. Natürlich lese ich auch gerne tagelang an einem Roman. Aber diese Kurzgeschichten von Anne Enright sind wie ein kurzer Einkaufsbummel, wie der Plausch über den Gartenzaun. Kurzweilig bereichern sie den Tag, ohne einem Zeit zu stehlen. Und hallen dennoch nach. „Eine Kurzgeschichte schiebt sich in deinen Kopf, wie ein Umschlag unter die Tür deines Zimmers geschoben wird.“ Anne Enright ist eine der wichtigsten irischen Schriftsteller*Innen. Sie erhielt 2007 den Booker Preis für ihren Roman „Familientreffen“ und ihr letzter Roman „Die Schauspielerin“ hat mich ebenfalls sehr begeistert. Sie als Autorin von Kurzgeschichten kennenzulernen, hat mich wirklich fasziniert. Berichtet sie doch im Vorwort von einer sehr persönlichen, durchaus wechselhaften Beziehung zu diesem Genre. „Ich war immer eine Liebhaberin der Kurzgeschichte, in allen schriftstellerischen Phasen, selbst wenn die Gattung meine Liebe nicht erwiderte.“ Ich hingegen finde, dass diese Gattung ihre Liebe durchaus erwidert. Es sind ihr wunderbare Miniaturen gelungen. Menschlicher Schmerz im Alltäglichen, komplexe familiäre Beziehungen mit nur wenigen Sätzen umrissen, treffend, tiefgreifend, berührend. Niemals kommt Langeweile auf, die Porträts sind gelungen, die Dialoge sitzen, das Timing ist perfekt. Eine äußerst empfehlenswerte Lektüre, geeignet für jede Leser*in, jede Situation, jede Tages- und Jahreszeit. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser und Jürgen Schneider, Penguin 2020.

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Die mit zahlreichen Preisen überhäufte irische Autorin verwies sogar Ian McEwan in seine Schranken. Zu Recht: Enrights Geschichten treffen den Kern einer Kurzgeschichte auf den Punkt. Sie lassen Raum für Interpretation, Raum für Mehrdeutigkeiten. Sie faszinieren und irritieren. Als Leser sollten wir uns Zeit nehmen, jede einzelne Geschichte nachwirken zu lassen. Denn Enrights Short Storys sind keine Quickies – zumindest nicht im intellektuellen Sinne. Dieser Erzählband vereint ihre besten Geschichten, die zwischen 1989 und 2017 erschienen sind, darunter auch Werke, die bisher noch nicht in deutscher Sprache veröffentlich wurden. Enrights überwiegend weibliche Protagonistinnen hadern mit ihren Lebensentwürfen. Sie trauern ihren ungelebten Träumen hinterher, reiben sich im Mutterdasein auf, haben die falschen Männer geheiratet, lassen sich durch irische Nächte mit Sex und Alkohol treiben. Ihre Figuren sind ganz auf der Höhe der Zeit, dabei brechen immer wieder typische Merkmale der grünen Insel hervor. Denn das Wetter, das eigentlich keines ist, sondern nur ein „unmerklicher Übergang von feucht zu nass“ prägt den Charakter der Menschen. Die Liebe, changierend zwischen Ablehnung und Anziehung, wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Grandios hebt sich dabei Enrights Fabulierkunst hervor, gepaart mit ihrem unverwechselbaren Humor. Ein Beispiel: „Mit ihm zu schlafen ist so, als beobachte ich einen Mann im nassen Anzug, der Fenster putzt und gut mit den Ottern auf der anderen Seite kann.“ Oft bricht das Anarchische, Satirische, Selbstzerstörerische in ihren Geschichten hervor. Es geht um „ein Wochenende schlechter Sex“. Um einen Cutter, den das subversive Bedürfnis überkommt, geheime Botschaften in millisekundenlang aufblitzenden Filmschnipsel einzubauen. Um eine flachbrüstige Arbeitskollegin, deren Freund man aufgrund ihrer physischen Merkmale Bisexualität unterstellt. Eine irische Studentin erhält in einer amerikanischen College-WG einen beinahe mörderischen Kulturschock. Während der Zahlen-Tick einer Bingo-Queen ihren kompletten Alltag in Formeln taktet, sogar die Frequenz ihres Geschlechtsverkehrs. Verpasste Chancen und falsch gewählte Lebensentwürfe ziehen sich ebenso durch Enrights Prosa. Aber nie so, dass die Materie schwer wird. Diese Art von Galgenhumor beherrschen nur die Könner. Eine Mutter träumt während ihres Urlaubs vom sozialen Aufstieg. Sie hat sogar auf dem Campingplatz einen Ort auf der Schattenseite zugewiesen bekommen, so dass ihre Wäsche nie trocknet. Neidvoll blickt sie auf die wohlerzogenen Kinder der Nachbarn, deren Kleider nie mit Flecken verunstaltet sind. Eine junge Frau erkennt erst nach der Hochzeit mit ihrem viel zu alten, wohlhabenden Ehemann, dass sie all die Jahre in ihren psychisch labilen Mitbewohner verliebt war. Den Irrsinn des ehelichen Zusammenlebens verpackt Enright in treffsichere Pointen. Eine Ehefrau verwöhnt ihren Mann mit einem Spargelmenü – woraufhin er in die Küche geht, um sich ein Wurstbrot zu schmieren. Fazit: Anne Enrights Kurzgeschichten sind keine Quickies, sondern große Literatur, die uns den alltäglichen Wahnsinn menschlicher Beziehungen und Lebensentwürfe vor Augen führt. Sprachlich hervorragend geschrieben, doppeldeutig, bodenlos, bisweilen unglaublich komisch. Dabei immer ganz nah am Leben. Wir lesen die Geschichten mit einem lachenden und weinenden Auge. Sozusagen mit einem halben Lächeln.

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